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Kultur: Zeichner und Wunder

Die Welt im Negativ: Wie Marc Brandenburg verwirrende Ansichten des Alltags in die U-Bahn hängt

Irgendwann im Laufe des Gesprächs macht man den Marc-Brandenburg-Test: Taugt etwas – in diesem Fall der Künstler selbst – als Motiv für eine seiner Zeichnungen? Kann eine Alltagsszene diese irre, dunkelschimmernde Dämonie entwickeln? Man kneift unauffällig die Augen zu, um sich sein Gegenüber in Graphit und als Negativ vorzustellen.

Brandenburg wirkt entspannt, raucht. Hinter ihm Sträucher. Sie verdecken notdürftig hässliche, verwinkelte Sozialbauten, die in dieser Untersicht aussehen, als würden sie gleich würfelweise auf einen herabfallen. Es könnte funktionieren: Der Blick verliert sich in Fluchten und Geschlinge, auch das Gesicht Brandenburgs, hinter Pilotensonnenbrille und Vollbart, bietet keinen Halt.

„Ich versuche Momente festzuhalten, die nicht eindeutig sind“, sagt Brandenburg, der genau aus diesem Grund auch nicht verraten möchte, ob er seinen Namen erhalten oder erfunden hat. Er sitzt vor einem Café in der noch schwachen Sonne, man hat ein Diktiergerät auf den Tisch gelegt, er hat sich aufgerichtet und nervös gelacht. Und angefangen zu erzählen, offen und charmant. Davon etwa, dass er oft zehn Stunden hintereinander zeichnet und dann, wenn er durch die Stadt läuft, völlig geplättet ist vom visuellen Overkill da draußen. Selbst auf ein Handy verzichtet der 1965 in Berlin Geborene. Dabei sieht er wie ein urbaner Hipster aus. „Es ist mir einfach oft alles zu viel“, sagt er.

Davon handeln seine Zeichnungen, die er seit über zehn Jahren meist im Din-A- 4-Format anfertigt. Vom Zuviel. Als wolle er die anbrandenden Bilder bändigen, fotografiert er Szenen im Park, im Nachtleben, in der schwulen und linken Subkultur, Freunde, Demonstrationszüge, Fußballfans, Hare-Krischna-Anhänger, Rummelplätze, Spielzeug. Oder er sammelt Bilder aus Magazinen, Bilder von den Teletubbies, von Bodybuildern, von Stars. Diese Fotografien verwandelt er mit dem Fotokopierer in Negative, um Gegenstände und Menschen am Computer oft in Schlieren aufzulösen. Die zeichnet er dann mit dem Bleistift gewissenhaft ab.

In dieser umgestülpten Welt werden aus normalen Stadträumen verstrahlte Halden, Menschen zu Schießbudenfiguren, Gesichter zu Masken; stumm und ausdruckslos schauen sie aus dem Bildraum zurück, den Betrachter an. Ronald McDonald, das Schnellrestaurant-Maskottchen, wirkt invertiert noch bizarrer, die Teletubbies grinsen, als wollten sie gleich Amok laufen, das harmlose Spielzeugnilpferd wird im nächsten Moment aufstehen, ein Messer zücken und sich Opfer suchen. Ist die Gegenwart tatsächlich so abgründig, wie sie durch Brandenburgs minimale Verfremdungseffekte erscheint? Der Künstler muss jedenfalls oft lachen, wenn er über seine Arbeiten spricht.

Vielleicht braucht es eine Außenseiterposition, um diesen entfremdenden Blick so beharrlich zu inszenieren, wie es der Autodidakt tut. Kann sein, dass es damit zu tun hat, dass der Künstler in der texanischen Heimat des Vaters in einer kaputten Familie aufwuchs, als Zwölfjähriger mit der Mutter nach Westberlin zurückkehrte, sich nirgends zu Hause fühlte. Vielleicht hängt das Außenseitergefühl auch mit seiner dunklen Hautfarbe zusammen. Oder mit seiner Homosexualität. „Vor allem aber mit dieser Grunderfahrung, die Punkrock mit sich brachte“, ergänzt Brandenburg. 1979, als Punk in Berlin aufschlug, war der 14-jährige Marc bereit, ihn in Empfang zu nehmen. Er trug einen Schottenrock, trieb sich im SO36 rum, war mit Ratten Jenny befreundet, die irgendwann Martin Kippenberger krankenhausreif prügelte, wohnte später mit Christiane F., dem Kind vom Bahnhof Zoo, in einer WG. Marc Brandenburg startete als Modedesigner, spielte in Filmen und Videos mit. Wenn die Galerie Crone, die ihn heute vertritt, ihm zu Ehren eine Party im Club Berghain schmeißt, dann legt er noch heute das Stacheldrahthalsband an.

Ein Dasein als Zeichner, zumal es sich meist auf kleinformatigen Blättern manifestiert, will zu solch einer subkulturellen Karriere kaum passen. Auch nicht so recht zu den häufig krawalligen Motiven oder dem Begehren, das in manchen seiner Zeichnungen in schwarzem Feuer auflodert. Es ist, als würde der Lärm, der sich einem aus den Bildern entgegenwirft, durch das Papier selbst wie von einem Schallschutz wieder absorbiert. „Als ich mit dem Zeichnen anfing, wusste ich sofort: Das ist es!“ Auch das ein Bändigungsprozess: das stille und konzentrierte Abzeichnen.

Seine Arbeiten reiht Marc Brandenburg für gewöhnlich nebeneinander an die Wand. Der Betrachter ist versucht, diese rhythmische Bildfolge wie Storyboards zu lesen – nur wird kaum eine Geschichte erzählt. Eher wirken sie wie lose verbundene Traumsequenzen, wie ein assoziativer Bewusstseinsstrom. „Hirnsturm“ nannte er mal eine Ausstellung. Die Wände der Galerie waren dunkel gestrichen und seine Arbeiten unter Schwarzlicht gehängt. Die Schlieren und Graphitverwischungen verstärken den Effekt, dass alles in Bewegung ist, fällt und aus irgendwelchen Rahmen kippt.

Wie gerufen kam deshalb das Angebot der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), die 32 Hintergleisflächen des U 2-Bahnsteigs unter dem Alexanderplatz zu gestalten, sagt Marc Brandenburg. Fährt man mit der U-Bahn ein, rauschen die vergrößerten Zeichnungen vorbei und verstärken noch einmal den Taumel. So jedenfalls stellt Brandenburg sich die Sache vor. Denn im Moment können seine Bilder nicht aufgehängt werden – Szenen von einer Kreuzberger Maidemonstration, die passend zum 20. Jubiläum des jährlichen Untergrundereignisses, auf der einen Seite des Bahnsteigs zu sehen sein sollen, während gegenüber tagebuchartige Snapshots aufgereiht werden. Doch gibt es technische Probleme seitens der BVG zu beheben, bevor die Großstadtbilder am Mittwoch gebändigt in den Stadtraum entlassen werden.

So lange stehen sie wie in einem Atelier auf dem Bahnsteig. Und wenn die Bahn, auf die man wartet, nicht einfährt, macht man vielleicht den Marc-Brandenburg-Test. Kneift die Augen zusammen und sieht sich um. Ist die Welt wirklich so – abgründig?

„Underground“, bis 30. Juni auf dem Bahnsteig der U2 unter dem Alexanderplatz.

Daniel Völzke

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