zum Hauptinhalt
Kaspar Hauser

© Katalog/Stadtarchiv Ansbach

Zeichnungen von Kaspar Hauser: Das Niemandskind malt

An Kaspar Hauser entzünden sich bis heute die Fantasien: War er ein Fürstensohn oder doch ein Hochstapler? Jetzt sind erstmals seine Aquarelle und Zeichnungen in Ansbach zu sehen.

Ein fein aquarelliertes Schlaraffenland. Bilder aus einer paradiesisch anmutenden Gegenwelt. Fast zum Zubeißen. Eine Birne scheint sich dem Betrachter entgegenzuwölben. Blauschwarze Trauben hängen schwer von einem Weinblatt herab. Kirschen, oder sind es Pflaumen?, reflektieren das Sonnenlicht und sprengen fast ihren Goldrahmen. Ein Schmetterling mit eigenartig gelben, roten und blauen Flügeln flattert vorbei. Darunter findet sich die Signatur des Künstlers: „Kaspar Hauser fec.(it)“.

Kaspar Hauser, so heißt der etwa 16 Jahre alte Junge, der 1828 in Nürnberg aufgegriffen wird. Er macht, so eine zeitgenössische Quelle, den Eindruck „gänzlicher Verwahrlosung“ und einer „Kindheit, die mit seiner Größe kontrastierte“. Er kann sprechen, beherrscht aber nur wenige Worte. Alle Menschen nennt er „Bue“, alle Tiere „Ross“. „Weder vom Tag noch von der Nacht, weder von der Sonne noch vom Monde“ soll er einen Begriff haben. In einem Begleitschreiben, das er bei sich trug, heißt es: „Daß lesen und schreiben Habe ich ihm schon gelehrte er kan auch mein Schrift schreiben wie ich schreibe.“ In der Wache, wohin man ihn bringt, schreibt er seinen Namen auf ein Blatt Papier: Kaspar Hauser.

Ob bei diesen Blättern von Kunst zu reden ist, darüber lässt sich streiten

Der Findling, der schnell Aufsehen erregte und empathisch als „Kind Europas“ bezeichnet wurde, war lernbegierig und fleißig. Neben dem Schreiben gehörte seine Leidenschaft dem Zeichnen. In der fränkischen Stadt Ansbach, wo Hauser 1833 unter bis heute ungeklärten Umständen an den Folgen einer Stichverletzung starb, werden jetzt zum ersten Mal 45 Zeichnungen und Aquarelle von ihm gezeigt.

Die meisten stammen aus Privatbesitz, einige wurden sogar aus England ausgeliehen. Hauser hat den fast surreal wirkenden Kopf einer nächtlichen Erscheinung mit weit aufgerissenen Augen gezeichnet, Kompositionsblätter aus einer Zeichenschule abgekupfert und ein Wappen festgehalten, von dem er geträumt haben will. Das Wappen mit Szepter und gekreuzten Schwertern befeuerte die Spekulation, dass das Niemandskind in Wirklichkeit ein Prinz von Baden gewesen sei, der nach der Geburt vertauscht wurde und seine ersten Jahre im Schloss Beuggen am Rhein verbracht habe.

Aquarelle wie dieses von einem Obstkorb hat Hauser in Schablonentechnik gemalt.
Aquarelle wie dieses von einem Obstkorb hat Hauser in Schablonentechnik gemalt.

© Abbildungen: Katalog/Stadtarchiv Ansbach

Kaspar Hauser hat auch eigene, etwas holprige Gedichte illustriert: „Mein erstes Jahr begrüß ich heut / In Dank und Liebe hoch erfreut. / Von vieler Noth und Last gedrückt / Von heute an genieß ich / was mein Herz entzückt.“ Die Aquarelle von Pflanzen und Früchten, die den Großteil seiner Produktion ausmachen, waren als Gabenblätter an Freunde gedacht, gemalt mit der kindlichen Begeisterung fürs Schenken. Auch sein letztes Bild war ein Geschenk, die penible Kopie eines Porträts der bayrischen Königin Therese, ihr mit der Bitte um Schutz verehrt. Vier Monate nach der Begegnung mit dem Königspaar war der Künstler tot.

Ob bei diesen Blättern von Kunst zu sprechen ist, darüber lässt sich streiten. Der Kurator Christian Schoen moniert Hausers „sklavische Übersetzung der Bildvorlage“ und kommt zu dem Verdikt: „Ein tiefes Verständnis etwa für die Proportionen des Menschen oder freies Inszenieren von Ausdruck und Gebärde hat sich bei ihm nicht eingestellt.“ Die Aquarelle folgen der sogenannten „orientalischen Malerei“, einer aus England stammenden Kunstmode, die Hauser von seinem zeitweiligen Pflegevater, dem Lord Stanhope, vermittelt wurde.

In Ansbach wurde Hauser zum mürrischen Melancholiker

Der Abenteurer, von vielen für einen Betrüger gehalten, schenkte seinem Zögling einen Farbkasten, Pinsel und Papier, bevor er für immer aus dessen Leben verschwand. Angeblich stand Stanhope in Diensten des Hauses Baden, ein weiteres Indiz für die Theorie von Hausers hoher Geburt. Bei der auch als „Velvet Painting“, Samt-Malerei, bezeichneten Technik wurden Formen und Muster mit Schablonen auf Papier, Stoff, Tapeten oder Pappe übertragen. Auch ohne größeres Talent konnte man zu dekorativen Resultaten gelangen. Wichtiger war die Fleißarbeit.

Aquarell von Pflaumen, gemalt in Schablonentechnik.
Aquarell von Pflaumen, gemalt in Schablonentechnik.

© Abbildungen: Katalog/Stadtarchiv Ansbach

„Caspars Leben wurde nun immer einförmiger und zurückgezogener. Er hatte niemand, mit dem er eine vertrauliche Unterhaltung führen konnte. Alle Wege waren ihm verhasst, jede Verrichtung fand ihn lau. Zudem war das Wetter immer schlecht, der November brachte gewaltige Stürme, und so saß er in der freien Zeit auf seinem Zimmer, glitt mit den Blicken über die Hügelränder oder streifte bang den Himmel und sinnierte unablässig. Er wartete, wartete“, schreibt Jakob Wassermann in seinem 1908 erschienenen, elegant girlandenhaften Roman „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“ über den letzten Winter des aufgefundenen jungen Mannes.

Vom euphorischen Staunen über eine Welt, die er von Grund auf entdecken musste, war in Ansbach, der zweiten Station seines neuen Lebens, nicht mehr viel übrig. Als er in Nürnberg ein Kruzifix des mittelalterlichen Bildhauers Veit Stoß sah, soll Hauser tief bestürzt gewesen sein und darum gebeten haben, den gequälten Menschen herunterzunehmen. Im Nürnberger Gefängnisturm „Luginsland“, in dem er zunächst untergebracht war, so heißt es, habe er die Häuser, die er aus dem Fenster sah, zunächst für Kulissen gehalten, gemalt von „einem Tüncher mit weiß, blau, grün, gelb, rot, alles durcheinander“. In Ansbach wurde Hauser zum mürrischen Melancholiker. Nach dem Tod seines Obervormundes, des Gerichtspräsidenten Anselm Ritter von Feuerbach, fühlte er sich erneut verwaist. Seine Arbeit als untergeordneter Gerichtsschreiber empfand Hauser als ermüdend monoton.

Mit seinen selbstzerstörerischen Attacken soll Hauser um Aufmerksamkeit gebettelt haben

„Er ist ein im Finstern gezogenes Gewächs, das zu spät ins Sonnenlicht gebracht“, hat Feuerbach über seinen Zögling gesagt. Inzwischen stellt die Mehrheit der Forscher infrage, dass Kaspar Hauser abgeschnitten von der Welt in einem dunklen Raum aufgewachsen sein soll. Kein Kind hätte aus medizinischer Sicht einen solchen Kerker überlebt. Hauser gilt jetzt als Hochstapler. Demnach starb er nicht durch einen Mörder, sondern durch eigene Hand, per Verletzung mit einer Stichwaffe, die versehentlich stärker ausfiel als gewünscht.

Aquarelle von Pfirsichen, gemalt in Schablonentechnik.
Aquarelle von Pfirsichen, gemalt in Schablonentechnik.

© Abbildungen: Katalog/Stadtarchiv Ansbach

Bereits 1829 war Hauser, noch in Nürnberg, mit Stichwunden am Kopf gefunden worden. Er erzählte, von einem maskierten Mann angegriffen worden zu sein. Für das Attentat gab es genauso wie für den späteren Mordanschlag im Ansbacher Hofgarten keine Zeugen. Und beide Episoden passierten zu einer Zeit, als Hauser unter nachlassendem Interesse für sich und seinen Fall litt. Mit den selbstzerstörerischen Attacken könnte er um Aufmerksamkeit gebettelt haben. Die Kronprinzentheorie, der auch Jakob Wassermann anhing, gilt als widerlegt, seit zwei Genanalysen ergaben, dass Hauser nicht der Sohn der Großherzogin von Baden gewesen sein kann.

Trotzdem halten Verschwörungstheoretiker am Mythos vom ermordeten Fürstenkind fest. Im Katalog der Ansbacher Ausstellung wärmt Eckart Böhmer noch einmal die Saga vom blaublütigen Komplott, von Dunkelmännern und vom Dolchstoß im Hofgarten auf. Böhmer fungiert als Intendant der Kaspar-Hauser-Festspiele. Fürs Theater ist ein Mord weitaus attraktiver.

„Kaspar Hauser Bildwelten“, Markgrafenmuseum Ansbach, bis 4. September. Der Katalog (Verlag F. Pustet) kostet 20 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false