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Kultur: Zeit der Zeichen

Füllhorn, berstend: Das „Internationale Literaturfestival“ hat im Haus der Berliner Festspiele seine Mitte gefunden

Mit Tänzen um das goldene Kalb Wortkunst begann und endete das Internationale Literaturfestival Berlin: Am 6.September sprang der 76-jährige Hans Magnus Enzensberger wie ein junger Hüpfer aus der ersten Saalreihe auf die Bühne, um spritzig, zuweilen auch kokett selbstverliebt Gedichte von Wallace Stevens zu lesen. Auf der Abschlussveranstaltung am Samstagabend begeisterte die südafrikanische Künstlerin Ghcina Mhlophe mit Tanz, Gesang und Erzählen. Zwischen beiden Auftritten lag ein 12-tägiger Lesungs- und Diskussionsmarathon, und dessen Bilanz fällt rundum positiv aus: volle Säle, gute Stimmung, entspannte Autoren und ein deutlicher Qualitätssprung bei Moderatoren wie Übersetzern. Etabliert war das „ilb“ bereits, im fünften Jahr läuft es recht rund.

Das Füllhorn war bis zum Bersten gefüllt, obwohl Festivalleiter Ulrich Schreiber dem Tagesspiegel noch im April eine Reduzierung auf 120 Autoren angekündigt hatte. Trotz einiger Absagen wie die der erkrankten Doris Lessing waren es schließlich doch wieder 150 Schriftsteller, die aus aller Welt einflogen – neben den big names (Nobelpreisträger Kenzaburo Oe, Carlos Fuentes, Ismail Kadaré, Kazuo Ishiguro, Inger Christensen, Juri Andruchowytsch, Durs Grünbein) viele zu Unrecht Unbekannte: William Gass, ein 80-jähriger Nordamerikaner von der literarischen Statur eines William Gaddis, der mosambikanische Mythensammler Mia Couto oder der irische Moritatensänger Matthew Sweeney. Nur bei den Frauen sah es weniger verheißungsvoll aus.

Immerhin hatte das Festival die Zahl der Veranstaltungen in der ganzen Stadt mit Schwerpunkt Charlottenburg von 350 auf 300 reduziert. Gelesen wurde vor 32000 Zuhörern (1000 mehr als im letzten Jahr) in Clubs, Kinos, Bibliotheken, Museen, Schulen, sogar an der Gegensprechanlage eines Wohnhauses, womit manch tief verwurzelter Klingelstreichweglaufreflex bekämpft werden konnte. Die bestens besuchten Auftritte der Kinder- und Jugendautoren fanden vormittags statt, ansonsten konzentrierte sich das „ilb“ erstmals auf den Abend. Verzichtet wurde auf nächtliche Prominentenauftritte, nicht aber auf die kurzen, oft faszinierenden musikalischen Darbietungen vor den Lesungen, welche nun länger als eine Stunde dauern durften.

Entscheidenden Anteil an der Zufriedenheit aber hatte der Hauptveranstaltungsort mit seiner unaufdringlich perfekten Technik. Im letzten Jahr hatte Ulrich Schreibers Unternehmen aus den schön-ruinösen Sophiensälen in Berlin-Mitte in das Kreuzberger HAU wechseln müssen, wo sich die Besucher zwischen den verstreut liegenden Theatern verloren. Das HAU war eine Zwischenlösung. Der ehemalige Bauleiter Schreiber steuerte das Festival glücklich unter das Dach der Berliner Festspiele, deren Intendant Joachim Sartorius sich über die Abrundung seines Angebots freute und auf eine „jahrzehntelange Zusammenarbeit“ hofft. Problematisch schien allerdings das Haus der Festspiele mit seinem riesigen, für Lesungen ungeeigneten Saal zu sein. Doch das Festival nistete sich glücklich im Foyer des Theaters und in der Seitenbühne ein. Das Autorenzelt wurde im Garten aufgestellt, und so galt an den flachen Tischen des Pavillons davor, dem Café Nabokov, die Devise: Durch diese schmale Gasse muss die Intellektuelle oder der Autor kommen – trinken wir also noch einen.

Weil das „ilb“ chronisch unterfinanziert ist, arbeitet es mit vielen Institutionen zusammen. Nicht immer wirkte das Ergebnis so sinnfällig wie bei dem mit der Heinrich-Böll-Stiftung organisierten Symposium „System Putin“. Erstaunlich war schon der vom Forschungsministerium mit 51000 Euro finanzierte Albert-Einstein-Tag, ärgerlich die Talkshow auf dem „Blauen Sofa“ des „Club Bertelsmann“ und des ZDF. Rüdiger Safranski klagte dort über „unser aller“ Last mit Abschreibungsfonds, von der ihn die „Kulturrevolution“ des CDU-Steuerexperten Paul Kirchhof erlösen möge. Das Literaturfestival hat andere Sorgen als der Fernsehphilosoph: 2005 und 2006 schießt der Hauptstadtkulturfonds je 350000 Euro zu, doch das Festspielhaus ist teurer als HAU oder Sophiensäle. Erwartet wird ein Defizit von 40000 Euro. 200000 Euro mehr wünscht sich Schreiber, auch, um alle Beteiligten besser bezahlen zu können. Auf Drängen des Hauptstadtkulturfonds erhalten die Autoren diesmal 200 Euro je Abend, Moderatoren, Übersetzer und Schauspieler wie Frank Arnold oder Friedhelm Ptok nur 100 Euro – knapp die Hälfte des Üblichen.

Leise Hoffnung hegt Ulrich Schreiber, dass das internationale Literaturfestival nach der geglückten Kooperation auch organisatorisch ein Teil der Festspiele wird. Seine Planungen für das nächste Jahr sind schon weit gediehen. Der Karibe Edouard Glissant hält die Eröffnungsrede, China könnte Thema des Symposiums sein. Das Datum bleibt: Vom 6. bis 17. September 2006 ist Berlin dann wieder Babel.

Jörg Plath

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