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Kultur: Zeit und Traum

Vier Männer, sie nennen sich Inges Idee. Wie die Künstler den öffentlichen Raum aufmischen

Sie hängen von der Decke wie Regentropfen, drehen sich ein bisschen im Luftzug: 200 Kunststofffiguren, die in der Leitstelle der BVG am Tempelhofer Ufer an Stahlseilen baumeln. Sie wirken wie das schwebende Spiegelbild zu dem Häufchen Streikender, die vor der Tür für höhere Löhne kämpfen. Auf ihren Schultern liegt feiner Staub – sie hängen hier schon seit 2001: die „Menschen“ der Berliner Künstlergruppe Inges Idee, der nun der Künstlerbund eine Ausstellung mit Modellen, Bildern und Skizzen widmet.

Inges Idee, das sind vier Künstler: Axel Lieber, Hans Hemmert, Georg Zey und Thomas Schmidt. Sie machen seit 1993 Kunst im öffentlichen Raum und am Bau, nicht nur in Berlin, sondern auch in Singapur und Tokyo, Kopenhagen und Paris. Die Kunst von Inges Idee kann so aussehen wie bei der BVG, wo „Menschenfiguren als Metapher für Bahn- und Busfahrer“ baumeln. Oder ganz anders.

Erst gestern wurden die neusten Skulpturen der Gruppe auf dem Schlossplatz in Köpenick enthüllt: zwei Bronzepferde, den Reiterstandbildern vor dem Charlottenburger Schloss nachempfunden – aber ohne die fürstlichen Reiter. Die „wilden Pferde“ schreiten stolz in Richtung Schlossinsel Köpenick und sind doch eingezwängt zwischen Straßenbahnschienen und mehrspurigen Straßen.

In den Park der Marinetechnikschule Parow nahe Stralsund legten die Künstler 2002 ein riesengroßes blaues Boot. Allerdings sieht es nicht aus wie die Gorch Fock sondern wie ein gigantisches Spielzeugbötchen. Den Kontrast zwischen Kinderspiel und gestrengem, technisch-analytischen Marinealltag fanden nicht alle Rekruten der Schule passend. Marinetechnik, ein Kinderspiel? „Es gab Beschwerden“, sagt Georg Zey. Einige der Männer fühlen sich in ihrer Ehre verletzt. „Für uns war es eine Herausforderung, für diesen Ort etwas zu finden“, erinnert sich Axel Lieber. Der Installation ging eine Begutachtung des Ortes voraus. „Befindlichkeitsanalyse“ nennen es die Künstler. Denn für Zey, Lieber und Kollegen zählen nicht nur die Architektur vor Ort und die Menschen, die dort verkehren, sondern auch „emotionale Kriterien“. Wie kann Kunst in einen solch ideologisch besetzten, männlichen Bereich wie eine Militärschule eindringen, ihn vielleicht verändern?

Für die Künstler geht das so: Der öffentliche Raum wird zum Text, der dekonstruiert, neu interpretiert und dessen Leerstellen ergänzt werden. Eine Sinnsuche beginnt, etwa nach Art des französischen Philosophen Derrida, die gar kein eindeutiges und nur auf eine Weise deutbares Ergebnis haben muss, sondern sich jedem Betrachter unterschiedlich erschließen kann. Dass sich die Kunst von Inges Idee in diesen „Text“ nicht immer harmonisch integriert, sondern oft scharfe Kontraste setzt, ist gewollt. „Wir möchten, dass sich die Leute des Ortes wieder bewusst werden“, sagen Zey und Lieber. Die Menschen sollen stehen bleiben, lachen oder sich wundern. „Unsere Kunst demokratisiert den öffentlichen Raum“, sagt Zey. Der zunehmend privatisierte Raum soll so wieder allen zugänglich gemacht werden.

Im Gegensatz zur Galerie gibt es auf der Straße aber kein Fachpublikum, die Skulpturen müssen auch beim zufälligen Passanten funktionieren. So etwa bei der Gruppe überdimensionierter Elstern, die seit 1999 im Garten vor der Landeszentralbank Berlin und Brandenburg in Potsdam stehen. Die diebischen Vögel scharen sich um die Bank – und demonstrieren, dass es sich auf dieser Welt vor allem um eines dreht: Geld.

Vom Hörsaalgebäude des physikalischen Instituts der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald hängt, dank Inges Idee, seit zwei Jahren ein blauer Tropfen. Scheinbar den Gesetzen der Schwerkraft folgend, verweist die Skulptur nicht nur auf den Lehrinhalt der Fakultät, sondern bringt die starre Architektur in Bewegung. Diese Dynamisierung ist den Künstlern wichtig. „Surreal“ seien die Fließbewegungen, die sich in ihren Installationen finden. Skulptur und Raum werden dadurch bewegt und müssen vom Betrachter in neuer Beziehung zueinander gedacht werden.

Meistens arbeitet Inges Idee für Wettbewerbe, oft fragt auch ein Kunde direkt bei der Gruppe an. Die vier Künstler – drei von ihnen sind Bildhauer, einer Maler – treffen sich regelmäßig, alle paar Wochen für zwei bis drei Tage. Nicht alle von ihnen wohnen noch in Berlin. Axel Lieber fliegt aus Malmö ein, Thomas Schmidt lebt in Köln. Ihre lange Freundschaft sei förderlich für die gemeinsame Arbeit, sagt Axel Lieber. Er selbst studierte als Meisterschüler an der Kunstakademie in Düsseldorf und kam anschließend nach Berlin. Dort traf er auf Hemmert, Zey und Schmidt, alle drei ehemalige Studenten der Hochschule der Künste. Geboren sind sie alle zwischen 1960 und 1962, gemocht haben sie sich sofort.

„Ideenfindung ist der Kern unserer Arbeit“, sagen die Künstler. Alle vier arbeiten hauptberuflich alleine, für die Projekte von Inges Idee raufen sie sich zusammen. Beim Brainstorming wird gezeichnet, geschrieben und wieder verworfen. Und auch wenn ihre persönlichen Werke sehr unterschiedlich seien, haben sie alle ähnliche Vorlieben. Zum Beispiel die Beschäftigung mit Objekten und Alltagsgegenständen.

Der Gründung von Inges Idee gingen wirtschaftliche Überlegungen voraus. Im darniederliegenden Kunstmarkt der späten achtziger Jahre in Berlin fanden die Künstler eine Nische, als die Kommunen Mittel für öffentliche Kunst-Projekte bereitstellten. Sie erkannten: „Damit kann man Geld verdienen.“ In ihrem Kreis vermissten die vier Herren damals eine Dame, „weibliche Intelligenz“, wie sie heute scherzen. Irgendwann fiel der Name Inge. Eine imaginäre Fünfte im Bunde, die alle Einfälle der anderen unbescheiden unter ihrem Namen vereinte. Als wäre es einfach Inges Idee.

Deutscher Künstlerbund, Rosenthaler Straße 11, bis 9. Mai (Di-Fr 14-18 Uhr). Katalog (Verlag für moderne Kunst, Nürnberg) 25 €. Arbeiten von Axel Lieber sind bis 3. Mai (Mi-Sa 14-18 Uhr) bei Loop, Jägerstraße 5, zu sehen.

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