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Kultur: Zerfall und Verwesung statt politischer Bilder - Ausstellung im Potsdamer Alten Rathaus

Als die Fotografie erfunden wurde, waren Physik und Chemie sind noch fest mit Magie und Mystik verschmolzen, und das Licht auf Fotopapier einzufangen, wirkte auf die Menschen wie ein Wunder. Die Bilder von Gábor Kerekes gleichen einer Zeitreise zurück in diese Wunderwelt: astronomische Zeichnungen auf Schiefertafeln, mit brüchigem Leder überzogene Metallkolben, das nächtliche Himmelsgestirn erstmals dicht herangeholt.

Als die Fotografie erfunden wurde, waren Physik und Chemie sind noch fest mit Magie und Mystik verschmolzen, und das Licht auf Fotopapier einzufangen, wirkte auf die Menschen wie ein Wunder. Die Bilder von Gábor Kerekes gleichen einer Zeitreise zurück in diese Wunderwelt: astronomische Zeichnungen auf Schiefertafeln, mit brüchigem Leder überzogene Metallkolben, das nächtliche Himmelsgestirn erstmals dicht herangeholt. Seit den Anfängen schnappt aber auch immer wieder die alte Falle zu: Die künstlichen Bilderwelten erscheinen so glaubwürdig wie die Welt selbst. Bei Kerekes entpuppt sich der Mond auf den zweiten Blick als Blitzableiterkugel, an der Eis und Hitze gefressen haben. Das Himmelsgestirn ist in Wirklichkeit die Maserung eines Golden-Delicious-Apfels, und das Bild "Entladung" könnte auch ein Spiegelei unterm Röntgenschirm sein. Der Fotograf lacht sich ins Fäustchen: töricht, eine Alchimie zurückerobern zu wollen, die wir mit der Sünde der Erkenntnis längst verloren haben.

70 Bilder versammelt die Ausstellung "Zeitgenössische Fotografie aus Ungarn" im Potsdamer Alten Rathaus (bis 3. 10., Dienstag - Sonntag 10 - 18 Uhr, Katalog 16 Mark). Die technisch bravourösen Aufnahmen der sechs Fotokünstler sind dokumentarische Alltagseindrücke oder zeitlose Kunstbilder, die ihre Herkunft zu vergessen suchen.

Seit sich Ungarn dem Westen angeschlossen hat, sind auch die Zeiten der politischen Fotografie vorbei. Zerfall und Verwesung bleiben Thema: Imre Drégely zeigt einen alten Gasboiler als träges, unberechenbares Monster, das gleich alles Leben um sich herum in die Luft sprengen könnte. Und nur wenige Stunden, bis die hundert kleinen Fische von Maden zersetzt werden. Der Tod ist ein häufiger Gast. Tote Körperteile hat Zsolt Péter Barta fotografiert und ist doch an ihrer Schönheit und ihrem Geheimnis interessiert: Zwei starre Toten-Hände sehen aus wie betend zum Himmel gerichtet. Wo die Fotografen einen Blick auf die Alltagsrealität riskieren, fehlt auch die beliebte Großstadtimpression, Menschen in der Untergrundbahn, nicht: Lenke Szilágyis 13 Ansichten aus Budapester U-Bahnanlagen, Hinterhöfen oder Krankenhäusern zeigen Menschen, die nach dem System-Wechsel nicht alles verloren, aber nichts gewonnen haben.

Auch Imre Benkös Bilder vom Rock-Festival "Pepsi Sziget" stellen dar, wie die Menschen ohne die Kraft zukunftstiftender Hoffnungen einen einsamen Rausch in der kommerzialisierten Summertime-Stimmung erleben. Doch nie klagen die Bilder an. In den neuen Zeiten, in denen alles möglich scheint, sind die Menschen ihre eigenen Opfer und damit keine. Das sind Zeitdokumente, die, anders als die Kunstbilder, auch ein Ende der Fotografie überleben werden.

Simone Kaempf

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