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Aus den Tiefen der Abstraktion. Die Bilder von Julia Schramm entstehen zunächst spontan. Die Künstlerin schüttet Farbe auf die Leinwand, erst danach trägt sie Motive mit Pinsel, Lappen, Finger auf – mit Vorliebe Vögel wie bei dem Gemälde „Kühlender Wald“.

© Galerie

Zitadelle Spandau als Kunstort: Wo Steine ins Universum entschweben

Eine neue Ausstellung und große Pläne: Kulturamtsleiter Ralf F. Hartmann bringt die Zitadelle Spandau auf zeitgenössischen Kurs.

Die Malereien von Julia Schramm wirken wie dystopische Landschaften: zerfurchte Oberflächen, satte Farben, kraterartige Risse. All das sind Elemente einer Kunst, die sich vollends einer dunklen, mystischen Gedankenwelt verschrieben hat. Die Berliner Künstlerin zeigt in ihrer Ausstellung mit dem Titel „schälen, gießen“ im Spandauer „Zentrum für Aktuelle Kunst“, kurz ZAK genannt, neueste Arbeiten. Sie sind allesamt in einem Spontanverfahren entstanden: Die Malerin schüttet Farbe auf Leinwand, lässt so Schichtungen entstehen und trägt später die Motive mit Pinsel, Lappen oder Fingern auf. In der Mitte ihrer Bilder erkennt man immer wieder Vögel, die wie stumme Zeugen einer Katastrophe wirken. Sie lugen mit eisigen Augen hervor, plustern sich auf, schauen leer zur Seite und lösen beim Betrachter ein Gefühl des Unbehagens aus. Was wollen uns diese Vögel sagen? Ihre Stummheit verstört.

Schramms fantastische Werke sind Teil einer größeren Ausstellung im Zentrum für Aktuelle Kunst, zusammengestellt vom neuen Kulturamtsleiter Ralf F. Hartmann. Fünf zeitgenössische Künstler hat der Kunsthistoriker ausgewählt, deren Werke in die frisch renovierten Räume der Kaserne im Innenhof der Zitadelle getragen und vier verschiedene Präsentationen arrangiert. Darunter sind auch die Acrylarbeiten von Sabine Herrmann zu sehen, eine der prägenden Malerinnen Berlins seit der Wendezeit. Ihre abstrakten Werke wirken durch die grellen Farben ungeheuer lebendig. Ihre Titel geben einen Hinweis darauf, womit sich die Künstlerin hier beschäftigt hat, was ihre spontanen Eingebungen waren.

Bilder aus dem Reich des Unbewussten

Der Sinn der Titel erschließt sich erst beim zweiten Blick. Und das auch nur vage wie etwa bei dem Gemälde „Himmel über Kreuz“, das mit den Farben Gelb und Rosa spielt und erst nach und nach den Eindruck einer Wolkenlandschaft erweckt. Auf Herrmanns Bilder zu schauen, ist tatsächlich wie ein naiver Blick in einen bewölkten Himmel: Im ersten Moment wirken die Motive undurchdringlich und chaotisch. Doch je länger man hinsieht, desto stärker beginnt die Fantasie zu wirken und umso deutlicher treten die Ideen hervor, die sich hinter den abstrakten Formen und Umrandungen verbergen. Plötzlich erzählen die Bilder Geschichten aus dem Reich des Unbewussten: über Liebe, Verzweiflung, Leid und Tod.

Einen ähnlichen Ansatz wählt auch der aus Heidelberg stammende Künstler Peter Hock, dessen Kohlezeichnungen an hypernaturalistische Räume und Mikroskopaufnahmen erinnern. Sie zeigen schwarz-weiße Blasen, Sprengsel, Tupfer und Punkte. Die häufig an Steine erinnernden Partikel scheinen sich bei längerer Betrachtung zu bewegen, als wollten sie ins Universum entschweben. Den Betrachter packt geradezu eine Lust, nach ihnen zu greifen, sie zu berühren und neu zu sortieren.

Als Zweiter in der Gemeinschaftsausstellung mit Peter Hock unter dem Titel „Blackdance“, präsentiert der Flensburger Timo Herbst seine Zeichnungen. Auch seine Arbeiten beschäftigen sich mit Dynamiken. Ganz konkret zeichnen sie Bewegungen von Tänzern nach. Auf seinen Werken sind Füße und Hände zu sehen. Auf dem weißen Papier sind die Richtungswechsel förmlich abzulesen, als Spuren, die ein Sprung oder eine Drehung hinterlässt. Diese verblüffende Effekte ziehen den Betrachter wie ein Sog ins (Tanz-)Geschehen.

Ab 2019 will Ralf Hartmann die alte Kaserne bespielen

Die beeindruckende Schau ist bereits das zweite Projekt von Ralf Hartmann, der seit dem Sommer 2017 der neue Kulturamts- und Ausstellungsleiter des Bezirks Spandau ist. Schon die letzte Ausstellung war ambitioniert: Hartmann präsentierte im Zentrum für Aktuelle Kunst den Bildhauer und Objektkünstler Hartmut Böhm, der seine sogenannten „Darlegungen“ im Raum platzierte. Doch Hartmann ist Routinier. Der neue Leiter hat sich bereits zuvor als Direktor der Galerie Nord, dem Kunstverein Tiergarten, einen Namen gemacht. Nun, noch weiter im Westen der Stadt, will er weiterhin zeitgenössische Produktionen präsentieren – in einem Teil Berlins, der von den kunstaffinen Bewohnern des Innenstadtrings bislang eher ignoriert worden ist. „Das ist eine Herausforderung“, gesteht Hartmann. „Aber eine schöne.“

Der 54-Jährige, der zudem elf Jahre lang an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig gearbeitet hat, zuletzt als Prorektor, freut sich auf seine neue Aufgabe. Ab Januar 2019 will der Kunsthistoriker die Räume der alten Kaserne komplett mit aktueller Kunst bespielen: 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche insgesamt „Es wird natürlich nicht einfach sein, die Spandauer dafür zu begeistern“, weiß er zwar. Aber der Ausstellungsmacher hat Erfahrungen mit Aufbauarbeit. „Als ich vor 14 Jahren in Moabit beim Kunstverein Tiergarten anfing, haben meine Kollegen damals auch gesagt: ‚Du bist doch wahnsinnig!' Doch am Ende hat es funktioniert.“

Auch in Spandau sollen sich wieder seine Projekte in der ganzen Stadt herumsprechen und so die Aufmerksamkeit für die Kunstszene vor Ort wecken. Dabei will der Kunstamtschef nach einem eher der Figuration gewidmeten Anfang künftig mutigere Projekte in Angriff nehmen: „In den nächsten Jahren soll es stärker thematische Schwerpunkte geben.“ So ist geplant, studentische Ausstellungen zum Thema Feminismus zu zeigen. Erste positive Reaktionen auf seinen neuen Kurs zeigen bereits, dass seine Ideen gut ankommen.

ZAK (Alte Kaserne, Zitadelle), Am Juliusturm 64, bis 30. 9; tägl. 10 – 17 Uhr. Führungen am 9.9. (18 Uhr) und 15. 9. (15 Uhr).

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