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Kultur: Zombies der Zukunft

Noch ein Fest für Janacek: Luc Perceval untersucht „Die Sache Makropoulos“ in Hannover

Merkwürdig spät kommt er, der Tribut der Opernwelt an Leos Janacek: Während der 150. Geburtstag des großen mährischen Komponisten im vergangenen Jahr ohne sonderliches Aufhebens verstrich, scheint die überfällige Neubewertung des vielleicht wichtigsten Opernoeuvres des 20. Jahrhunderts jetzt doch noch nachgeholt zu werden: Vor drei Wochen befreite Michael Thalheimer an der Berliner Lindenoper seine „Katja“ von allem folkloristischen Oberflächendekor, nun geht mit dem Flamen Luk Perceval ein weiterer Schauspielmann der „Sache Makropoulos“ auf den Grund. Wie Thalheimer ist auch der Flame, der ab der kommenden Spielzeit als Hausregisseur an die Berliner Schaubühne geht, ein Reduzierer, ein Verknapper, der die Werke solange reduziert, bis er an ihre Essenz gelangt. Und noch mehr als bei Thalheimer besteht diese Essenz für ihn im Nacht- und Abseitigen, ist das Herzblut, dass er ihnen abpresst, rabenschwarz.

Auch in der „Sache Makropoulos“ ist ihm die verwickelte, zwischen Krimi und softem Grusel oszillierende Handlung um die 337 Jahre alte Operndiva Emilia Marty nicht allzu viel wert. Während das Stück bislang vorrangig als Vehikel für in die Jahre gekommene Operndiven genutzt wurde – so auch zuletzt bei Nikolaus Lehnhoff an der Deutschen Oper –, ist Percevals Emilia, Christiane Iven, genau der Antityp des männermordenden Vamps: Ein großes, etwas pummeliges Mädchen, das schon zum kurzen Vorspiel auf einer Schaukel über den bis auf die Bohlen skelettierten Bühnenboden schwingt und in deren rundem Mezzosopran in den dramatischen Ausbrüchen noch ein Rest kindlichen Schönheitsglaubens mitzuklingen scheint. Eine Cousine von Lewis Carrolls Alice im weißen Tüllrock, unschuldiges Objekt für all die alten Männer, die dieses Stück füllen.

Es ist eine Geschichte des Missbrauchs, die Perceval erzählt: 337 Jahre lang, von dem Moment an, als ihr Vater am Prager Kaiserhof sein lebensverlängerndes Elixier an seiner Tochter ausprobierte, bis in die Gegenwart, in der für sie eine menschliche Existenz zwischen Hure und Madonna immer noch unmöglich ist. Schonungslos führt Perceval die Männerriege vor, die Emilia nachgeifert, mehr noch, er zieht sie bis auf ihre langen Unterhosen und Schlafanzüge aus, versteckt Ekel und Bedrohlichkeit nicht hinter gesellschaftlich-boulevardesker Fassade, hinter Vatermördern und Monbijou- Bärtchen. Und räumt so auch den Blick auf die von Janacek auskomponierte Brutalität des Stücks frei: Auf die eruptiven Tuttistöße, grellen Blechbläserfanfaren und zahnradartig klackernden Rhythmen, die hier jeden Hauch einer zarten, menschlichen Streichermelodie sofort zermalmen. Beseligten Geigenschimmer lässt Hannovers Chefdirigent Shao-Chia Lü erst in dem Moment zu, in dem sich Emilia von ihrem Leben lossagt, indem sie, selbst zur menschenverachtenden Existenz geworden, verzeiht.

So weit, so gut. Doch diese Geschichte ist nur die eine Seite von Percevals „Sache“ – auf der Schaukel, die als nahezu einziges Element die Bühne von Annette Kurz beherrscht, schwingt noch etwas ganz anderes, Universelleres mit. Denn das schwerelose Gleiten Emilias taugt zugleich als Sinnbild für die Existenz, die sie sich über die Jahrhunderte aufgebaut hat, um überhaupt überleben zu können: die der perfekten Künstlerin, der begnadeten Opernsängerin, für die die Bühne sowohl Sicherheit bedeutet wie die nahezu einzige Möglichkeit, Gefühl zeigen zu können. Am Ende werden all die Übrigen versuchen, das alte Ritual noch einmal in Gang zu bringen – vergeblich. Emilia verreckt auf ihrer Schaukel wie ein Papagei auf seiner Käfigstange. Denn nicht nur ihre Zeit ist vorbei, auch, mit ihrem Tod, so enthüllt sich in Hannover auf frappierende Weise, komponierte Janacek 1926 genau am historischen Schnittpunkt von Puccinis „Turandot“ und Bergs „Wozzeck“ prophetisch das Ende der herkömmlichen Oper, deren Entstehung wohl nicht ohne Grund genau in die Jahre der Erfindung von Emilias Lebensverlängerungselixier fällt: Wie den armseligen Unterhosenträgern all ihr aristokratisch-bourgeoiser Glamour genommen ist, so hat auch die Oper ihre Funktion verloren. Und doch liegt gerade darin die Hoffnung. Wenn die junge Sängerin Krista am Ende in einem emanzipatorischen Erkenntnisakt das Rezept von Emilias Trank in Stücke reißt, heißt das nichts anderes, als dass nun die Zeit einer neuen Musik anbrechen kann. Der Zukunftsmusik einer besseren Menschheit.

Jörg Königsdorf

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