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Überraschender Besucher an einer Villenfassade in der Lichterfelder Ringstraße.

© Frederik Hanssen

Zu den Wurzeln (6): Säulen und Türmchen in Lichterfelde

Zu Hause sind alle Covid-Ecken ausgeleuchtet. Wir gehen in dieser Sommerserie an den Anfang zurück: Urlaub in der Kindheit und Jugend.

Genau zwei echte Berliner gibt es in der Kulturredaktion des Tagesspiegels, alle anderen Kolleginnen und Kollegen sind Zugezogene. Was mich sonst mit Stolz erfüllt, erweist sich natürlich als Nachteil, wenn es um einen Blick auf jene Region geht, in der man geboren wurde.

Da habe ich nichts Entlegenes zu bieten, kein Kaff im Nirgendwo, aus dem jeder unbedingt raus will, kein ländliches Idyll, bergig, seenreich, von reinster Luft durchweht.

Um zu meinen Wurzeln zurückzukehren, genügt eine S-Bahn-Fahrt. Neun Stationen ab Potsdamer Platz, um genau zu sein. In Lichterfelde-West habe ich die ersten sieben Jahre meines Lebens verbracht, im hinteren Bereich einer zweigeteilten Acht-Zimmer-Wohnung.

Die es hier zuhauf gibt, hinter Fassaden voller Gipsstuck, bevorzugt in Neo-Barock-Optik, gerne auch mit Säulen und Türmchen geschmückt. Noch prächtiger sind nur die Villen, die sich der Geldadel des Kaiserreiches in den Seitenstraßen errichten ließ.

Wobei die Verheerungen des Zweiten Krieges auch hier für die typische Berliner Mischung im urbanen Raum gesorgt haben, mit Bescheidenem aus den Aufbaujahren, ästhetischen Sünden der Siebziger und Investorenarchitektur der Jetztzeit zwischen den erhaltenen Altbauten.

Viel Platz zum Flanieren

Die nur mäßig gepflegten Vorgärten aber und die weitgehende Abwesenheit von SUVs zeigen an, dass Lichterfelde-West heute keine Spießergegend ist und offensichtlich auch kein Revier für Statussymbol-Protzer. Die Nähe zur Freien Universität hat stets ein akademisches Klientel angezogen, Treffpunkt der Ernährungsbewussten ist „Bio Lüske“, untergebracht im ehemaligen Kino „Der Spiegel“.

Auf der zentralen Drakestraße rauscht unablässig der Verkehr. Die wahre Lebensader des Kiezes aber ist die Bahntrasse. Sie machte die Gründung der Villenkolonie von 155 Jahren erst möglich. Im Stil eines Landeshauses der italienischen Renaissance ist der Bahnhof gehalten, und wer hier aussteigt, kann der preußischen Spielart von dolce vita nachspüren. Behaglich hatten die Wohlhabenden es hier, mit viel Platz zum Flanieren.

Ihre Konsumlust konnte sie im 1887 erbauten „West-Bazar“ befriedigen. Das U-förmige Gebäude mit viel dekorativem Fachwerk im Giebelbereich hat die Zeitläufte überdauert und lockt heute mit sechs Einzelhändlern, einer Bar und einem Eis-Café lockt. Überhaupt fällt die Fülle alteingesessener Traditionsgeschäfte auf, vom Optiker Schleicher über den Jeans Corner in der Curtiusstraße bis zum Juwelier Danowski. Auch meine Eltern sind ihrem früheren Nachbarn, dem Elektromeister Komke, als Kunden treu geblieben – obwohl sie schon mehr als vier Jahrzehnte nicht mehr in der Gegend wohnen.
Bisher erschienen: Worms (2.7.), Völklinger Hütte (9.7.), Berlin-Konradshöhe (14.7.), Leverkusen (17.7), Kassel (21. 7.)

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