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Kultur: Zufriedene Demokraten

Betroffenheit, Ratlosigkeit, Entsetzen, Schock? Nein.

Betroffenheit, Ratlosigkeit, Entsetzen, Schock? Nein.VON BODO MORSHÄUSEREine Nation stellt sich dumm.Wer sich über den Erfolg der DVU in Sachsen-Anhalt wundert, hat keinen Schimmer von der rechten Proll-Szene in Neufünfland, wo es absolut in ist, rechts zu sein.Grund zum wundern war vielmehr jahrelang, warum die große Gruppe rechtsextrem denkender Bürger nicht rechtsextrem wählte.Wahrscheinlich wählten sie vorher gar nicht.Die Wahlbeteiligung ist um 15 Prozentpunkte angestiegen.Die Jungwähler sind zur Wahl gegangen.Zwei Tatsachen, die den Demokraten zufrieden machen müßten.Ist aber nicht so.Ist eine Wahl mit 70 Prozent Beteiligung nicht eine größere Legitimation für die Gewählten als eine mit 54 Prozent Beteiligung? Ist nicht so.Jetzt ist die Zeit der Legendenbildung und, gewollt oder ungewollt, der Verharmlosung sowie der Übertreibung.Zehn Minuten nach Schließung der Wahllokale wußte SPD-Thierse, daß DVU-Wähler ehemalige CDU-Wähler seien.Die CDU erklärt den Erfolg der Rechten damit, daß die SPD-Regierung sich von der PDS dulden ließ.Andere sehen den Grund in den 3 Millionen Mark, die die DVU ausgeben konnte.Außerdem hört man, die Erstwähler hätten die DVU in den Landtag gewählt.Alles Quatsch, Legende und Verharmlosung.Selbst wenn die 100 000 Erstwähler DVU gewählt hätten, wären die Rechten mit den übrigen 90 000 Stimmen von Nicht-Erstwählern auch in den Landtag eingezogen.Als notorisch bekannter Übertreiber faselt der Frankfurter sogenannte Linke Micha Brumlik vom größten Erfolg des deutschen Nachkriegsfaschismus und holt sich aus dem Wahlergebnis stolz die Bestätigung dafür, daß er mit seiner abstrusen Faschismusthese immer schon richtig gelegen habe.Wer hat den Wahlerfolg der DVU zu verantworten? Die Erfahrung lehrt, daß der rechte Rand gestärkt wird, wenn die etablierten Parteien nicht zu Entscheidungen kommen.Das war beim damals zehnjährigen Krampf um den Asylkompromiß nicht anders als beim neuerlich jahrelangen Tauziehen um eine Steuerreform.Seit zwei Jahren werden die Verfassungsschutzpräsidenten der neuen Länder nicht müde, vor einer Ausweitung der rechtsextremen Szene dort zu warnen.Hier und da hört man, der Erfolg der DVU sei "an den Medien vorbei" geschehen.Das ist eine interessante Selbstbeschreibung der Medien, deren Wahrnehmungsschwelle, was Rechsextremismus betrifft, erst von einem brennenden Asylantenheim an aufwärts berührt wird, obwohl sie es ja auch sind, die die Warnrufe der Verfassungsschützer in Kurzberichten mitteilen.Helmut Kohl hat vor der Wahl den Rentnern Briefe geschrieben.Gerhard Frey hat den Jugendlichen Briefe geschrieben.Warum hat nicht auch Helmut Kohl den Jugendlichen Briefe geschrieben? Bodo Morshäuser hat zwei Bücher über den Rechtsextremismus geschrieben ("Hauptsache Deutsch", 1992 und "Warten auf den Führer") und zuletzt den Roman "Der weiße Wannsee" (alle drei bei Suhrkamp) veröffentlicht.

BODO MORSHÄUSER

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