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Nach dem Sturm. Klaus Dörr kennt sich aus in Berlin. Das hilft bei der gewaltigen Aufgabe, die er vor sich hat – die Volksbühne zu retten.

© Volksbühne/Arthur Zalewski

Zukunft der Berliner Volksbühne: „Theater ist immer Mannschaftssport“

Tradition verpflichtet: Klaus Dörr, Interimsintendant der Volksbühne, über seinen Spielplan, die Zukunft des Hauses und wie er mit dem Druck umgeht.

Eigentlich war er geholt worden, um der Volksbühne von Chris Dercon eine solidere Theaterstruktur zu geben. Doch dann war plötzlich Dercon weg, und Klaus Dörr wurde auf zwei Jahre zum Interimsintendanten ernannt. Er wurde 1961 in der Pfalz geboren, war von 2006 bis 2013 Geschäftsführender Direktor des Maxim Gorki Theaters und stellvertretender Intendant unter Armin Petras. 2013 wechselte er als Künstlerischer Direktor und stellvertretender Intendant mit Armin Petras ans Schauspiel Stuttgart. Jetzt ist er wieder in Berlin, auf einem schwierigen und nicht sehr dankbaren Posten.

Herr Dörr, wie fühlt es sich an, im Intendantenzimmer zu sitzen, wo jahrzehntelang Frank Castorf zu Hause war? Gibt es in der Volksbühne Gespenster?

Nein, es spukt hier nicht. Es sind ästhetisch bildende Geister, die uns alle verfolgen. Und es ist für mich eine wahnsinnige Ehre, in diesem Zimmer zu sitzen. Denn wir alle sind doch von Frank Castorf, genauso wie von Heiner Müller und von Einar Schleef und ihrem Theater geprägt. Das betrifft die Sehgewohnheiten wenigstens einer Generation.

Die Volksbühne, das ist mehr als ein Haus.

Sie war immer ein Kristallisationspunkt. Als ich in den frühen neunziger Jahren nach Berlin kam, habe ich meinen Kalender nach den Terminen in der Volksbühne und dem Berliner Ensemble organisiert, das war das Wichtigste. Da traf man sich. An diesen Orten haben Künstler ohne wirtschaftlichen Druck gearbeitet. Das hat sich sehr geändert. Damals hat niemand nach Besucherzahlen und den Einnahmen gefragt. Die Refinanzierungsquote lag deutlich unter zehn Prozent. Heute sind es fünfzehn, zwanzig Prozent.

Die Volksbühne befindet sich jetzt in einer speziellen Situation. Man wird Sie nicht noch zusätzlich unter Druck setzen, oder?

Bisher nicht. Aber auch das wird sich nach unserer ersten Spielzeit ändern, die ja eine Zwischenspielzeit ist. Wir haben jetzt eine Mischung aus bereits geplanten Premieren und Produktionen, sowie Neuproduktionen, Übernahmen und Gastspielen, die wir einladen oder herausbringen. Mit der Spielzeit 2019/20 wird die Politik auch bei uns Einnahmen und Auslastung wieder thematisieren. Ich lege allerdings großen Wert auf eine publikumsfreundliche Preisgestaltung. Der Theaterbesuch muss erschwinglich sein.

Wie finden Sie jetzt die Produktionen, die zur Volksbühne passen?

Mit dem Spagat zwischen künstlerischem Anspruch und der Kasse bin ich bestens vertraut. Und ich habe mich eingehend mit der über 100-jährigen Geschichte der Volksbühne beschäftigt. Da gab es nicht nur Frank Castorf, sondern auch Max Reinhardt, Erwin Piscator, Benno Besson, es gab Oper, Operette und Tanz. Ein wichtiger Ausgangspunkt meiner Spielplanüberlegungen ergibt sich aus der Jahreszahl 2019: Was war vor 100 Jahren, 1919, was war 1939, 1969, 1989? Vom Schauspiel Stuttgart übernehmen wir „Das 1. Evangelium“ von Kay Voges, aus Bochum den „Volksverräter“, als Gastspiele werden wir hier die „Unterwerfung“ von Houellebecq mit Edgar Selge vom Hamburger Schauspielhaus haben und aus Hannover „Der Auftrag“ von Heiner Müller in der Regie von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner mit Corinna Harfouch. Bis Mitte Oktober steht dann der Spielplan bis Ende Juni 2019.

Es klingt wie eine Art alternatives Theatertreffen.

Und wir hatten Glück, dass Leander Haußmann Zeit hat im Herbst etwas bei uns zu machen, „Haußmanns Staatsicherheitstheater“. Sasha Waltz wird bei uns im Februar 2019 eine neue Kreation zeigen, danach kommt Constanza Macras. Von beiden werden wir auch ältere Stücke übernehmen. Vor der Sommerpause wird Stefan Pucher hier ein Stück inszenieren.

Das heißt, es gibt eine Solidarität mit der Volksbühne in der jetzt schwierigen Lage?

Unbedingt. Ich habe überregional sehr große Unterstützung und Solidarität erfahren. Die Kollegen machen uns vernünftige Preise und Konditionen. Thorsten Lensing hat uns angeboten, eine Serie von „Unendlicher Spaß“ zu spielen, und das werden wir in Absprache mit den Sophiensälen tun. In der nächsten Spielzeit gehen wir dann wieder zu einem ausschließlich selbst produzierten Repertoirebetrieb über. Unsere Gewerke, unsere Mitarbeiter, alle sind darauf ausgerichtet und sehr froh darüber. Wir wollen ein Kernensemble aufzubauen, allerdings in dem Wissen, dass das erst einmal nur bis 2020 läuft. Dann muss man sehen, wie der Senat das Haus grundsätzlich ausrichten will.

Sie sind der Interimsintendant, ein merkwürdiger Titel. Wann, denken Sie, wird es eine Entscheidung über die Zukunft der Volksbühne geben?

Ich weiß, dass Kultursenator Klaus Lederer viele Gespräche führt. Klar ist: Wer immer es machen wird, braucht wenigstens anderthalb Jahre zur Vorbereitung. Und das ist schon sehr sportlich, in so kurzer Zeit ein neues Team, ein Ensemble zusammenzustellen, Stoffe zu entwickeln. Und die Leute müssen auch frei sein.

Also müsste man Ende 2018 oder Anfang 2019 eine Entscheidung über die künftige Intendanz haben?

Ich denke schon.

Und was ist, wenn der Interimstrainer – wie manchmal im Fußball – Erfolg hat? Muss man dann trotzdem weitersuchen?

So stellt sich die Frage nicht. Es geht um die künftige Positionierung des Hauses in der Berliner Theaterlandschaft. Was sollen die Schwerpunkte sein, soll es ein inszenierender Intendant werden? Ich gehe davon aus, dass das das präferierte Modell für die Intendanz der Volksbühne ist: ein Regisseur oder eine Regisseurin. Mein Job ist es, mich um diese beiden Spielzeiten zu kümmern.

Inszenierende Intendanten gibt es nicht mehr so viele, wie man auch in Berlin sieht. Woran liegt das?

Die Gesamtsituation hat sich gewandelt. Es liegt, wie gesagt, mehr Druck auf den Häusern. Künstler haben immer weniger Lust, die wachsenden Personal- und Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, weil sie für alles im Alltagsgeschäft verantwortlich gemacht werden. Stellen Sie sich vor, Sie hocken vier Stunden in der Bausitzung und sollen anschließend auf der Probe kreativ sein. Es hängt aber auch nicht an einer Person, denn Theater ist immer Mannschaftssport. Die Galionsfigur, die vorne steht, ist nie ein Einzelkämpfer.

Entscheidend ist doch auch, wie man mit der Tradition der Volksbühne umgehen will. Tradition kann eine Last sein.

Man muss die Last verteilen, es geht nur im Team. Als die Schaubühne – auch sie hat eine starke Geschichte – den großen Wechsel erlebte, waren Sasha Waltz und Thomas Ostermeier Anfang dreißig. Das liegt nun bald zwanzig Jahre zurück. Am Berliner Ensemble übernahmen in den frühen Neunzigerjahren fünf Männer im Rentenalter die Leitung. Das ist kein gutes Beispiel, das ging auch nicht gut.

Das Gespräch führte Rüdiger Schaper.

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