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Die Volksbühne in Berlin.

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Zukunft der Berliner Volksbühne: Wenn der Kurator kommt

Die Volksbühne war unter Frank Castorf 25 Jahre lang das Epizentrum des deutschsprachigen Theaters. Nach seinem Weggang soll sie das auch bleiben. Ein möglicher Nachfolger ist bereits im Gespräch: Chris Dercon von der Londoner Tate Modern.

In seiner mufflig-nonchalanten Art hat es Frank Castorf selbst ausgeplaudert. Dass er noch bleibt, über seinen Vertrag hinaus, der 2016 ausläuft. Dass es Nachspielzeit gibt für den Intendanten der Volksbühne. Wie viel, das stand im Interview mit der „Zeit“ nicht. Die Verhandlungen mit dem Berliner Senat pendeln sich, wie man hört, auf eine kurze Zugabe ein. Noch mal ein oder zwei Jahre drauf, maximal bis 2018, und dann Schluss. Nach einem guten Vierteljahrhundert, in dem die Volksbühne lange Zeit das Epizentrum des deutschsprachigen Theaters war.

Das soll sie wieder werden. Dafür ist Chris Dercon als Nachfolger von Frank Castorf im Gespräch. Der Belgier, 1958 geboren, leitet seit 2011 die Tate Modern in London mit der Turbinenhalle, die man als gewaltigen theatralischen Raum sehen kann. Olafur Eliasson und Tino Sehgal haben dort Projekte realisiert. Davor hat Dercon das Haus der Kunst in München in die Gegenwart geholt – mit Künstlern wie Christoph Schlingensief und Ai Weiwei.

Chris Dercon ist kein Intendant, sondern ein Kurator. Aber so läuft es ohnehin in der Theaterszene. Festivals werden kuratiert, bei Stadt- und Staatstheatern lässt sich das ebenso beobachten. Weniger Ensemblepflege, mehr Event- und Biennalencharakter. Schneller Konsum. Formate statt Form. Wobei auch das Kuratorenwesen über Künstlerverschleiß klagt und nachhaltigere Präsentationen sucht.

Castorfs Theater mutierte zur Installation

Chris Dercon
Chris Dercon ist als Nachfolger von Frank Castorf im Gespräch.

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Wenn der Kurator zur Volksbühne kommt, dann muss man das nicht gut und richtig finden. Aber es hat eine gewisse Konsequenz, und der Intendantenmarkt ist leer. Matthias Lilienthal hat den Weg bereitet. Der frühere Chefdramaturg der Volksbühne, Erfinder des Hebbel am Ufer und künftige Intendant der Münchner Kammerspiele, hat kuratorisch gedacht am HAU, aber auch schon an der Volksbühne.

Und was macht eigentlich eine Castorf-Inszenierung aus? Sein Theater mutierte zur Installation. Schauspiel lässt sich das nicht mehr nennen, eher Performance-Biotop. Die Akteure verausgaben sich in Textgebirgen, gefilmt von Videokameras. Das Bühnenbild gleicht einer bewohnten Skulptur.

Den Castorf-Stil kann man imitieren, so wie es – schwer zu ertragen – die Epigonen tun. Aber kopieren kann man diese Volksbühne niemals. Schon deswegen nicht, weil sie ein komplexes Geschehen war, ein gutes Nachwendemonster, vergleichbar einem Free-Jazz-Ensemble aus disparaten Rhythmen und ausgedehnten Soli. Viele der alten Helden, ob Regisseure oder Schauspieler, sind nicht mehr dabei, die Familie ist verstreut, verkracht oder erschöpft; ein natürlicher Prozess. Eine letzte fantastische Blüte, die auf dem ausgelaugten wundersamen Humus gedeiht, zeigt sich in den Kreationen des Regisseurs Herbert Fritsch.

Was würde aus René Pollesch, aus Herbert Fritsch?

Wenn nun das epochale Castorf-Ding unwiederholbar ist, so lässt es sich vielleicht doch interpretieren – mit einem Chris Dercon am Mischpult. „ Ich bevorzuge es eigentlich eher, eine Volksbühne zu sein als ein Mausoleum, in dem nur zelebriert oder angebetet wird.“ So sprach Dercon im Bayerischen Rundfunk, als er 2010 nach London aufbrach. Dercon? Volksbühne? Trotz allem sehr gewöhnungsbedürftig. Wobei man sich gut vorstellen kann, wie Matthias Lilienthal und Berlins Kulturstaatssekretär Tim Renner eine solche Lösung austüfteln.

Es gibt Fragen. Was würde bei einem Chris Dercon aus René Pollesch, Herbert Fritsch, was aus den Schauspielern und dem Repertoire, und soll Castorf noch inszenieren? Wie würde sich eine solche Volksbühne zum HAU verhalten? Wäre sie übermächtige Konkurrenz oder entstünde ein neuer Theaterverbund des Landes Berlin, ein Performance-Theater-Koloss mit dem „Tanz im August“-Festival? Dercon hat eine Affinität zum Tanz, und als Haus für Choreografen war die Volksbühne auch schon mal gedacht. Wie würde sich dann die Lage für die Berliner Festspiele darstellen, die vom Bund finanziert werden? Würden sie nicht am stärksten von so einer Volksbühne bedrängt und verdrängt? Hätten wir dann zwei Spielarten der Berliner Festspiele?

Auch deshalb wurde die Sache so lange hinausgeschoben. Was auch geschieht, die Castorf-Nachfolge setzt ein Zeichen. Sie betrifft alle anderen Bühnen, nicht allein in Berlin. Was sich hier ankündigt, ist eine Neuordnung der Theaterlandschaft.

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