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Wissensspeicher. Die Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg ist Teil der Zentral- und Landesbibliothek, die jährlich 70 000 neue Medien aufnimmt.

© Wolfgang Stahr/laif

Zukunft der ZLB: Lesen und lesen lassen

An der Berliner Zentral- und Landesbibliothek gibt es Streit um den Buchankauf. Ein Plan sieht vor, neue Titel über einen externen Dienstleister zu erwerben. Dagegen gibt es Widerstand.

Auf der Straße wurden Flugblätter an Passanten verteilt, sie zeigten einen Rettungsring, darauf der Slogan: „Rettet die ZLB!“. Im Internet haben über 13 000 Menschen eine Petition gegen die „weitere Vernichtung von Berliner Bibliothekskultur durch Privatisierung, Rationalisierungen und Einsparungen“ unterschrieben. Als das Thema im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses diskutiert wurde, fiel das fürchterliche Wort „Büchervernichtung“. Bibliotheks-Vorstand Volker Heller kontert, bei dem Vorwurf, dass künftig alle Medien ohne Ausleihen nach zwei Jahren ausgesondert würden, handele es sich um „eine erfundene Behauptung“, die den Ruf des Hauses beschädigt.

Was ist los an der ZLB? Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek ist nach eigenen Aussagen die größte öffentliche Bibliothek Deutschlands und „die am besten besuchte Kultur- und Bildungseinrichtung Berlins“. Sie besteht aus der Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg (AGB) und der Berliner Stadtbibliothek in Mitte. Rund 3,4 Millionen Medien stehen hier zur Verfügung. Und noch ein paar Zahlen sind wichtig, um den aktuellen Konflikt zu verstehen: Jährlich kommen etwa 70 000 neue Medien ins Haus, rund 28 000 davon sind Schenkungen und Pflichtexemplare der Berliner Verlage; knapp 40 000 wählt das hauseigene Lektorat aus. Darunter befinden sich wiederum 29 000 Bücher. Sie werden größtenteils bei Berliner Buchhandlungen bestellt, mit Labeln, Metadaten, Schlagworten versehen und in den Bestand eingepflegt. 100 der 300 Mitarbeiter sind in diesen aufwendigen Prozess eingebunden.

So war es immer. Aber so soll es nicht bleiben nach dem Willen Volker Hellers, der den Vorstandsposten 2012 von der nach Katar abgeworbenen Claudia Lux übernahm. Heller war zuvor Leiter der Kulturabteilung des Berliner Senats, jetzt hat er die undankbare Aufgabe, die ZLB auch ohne Neubau auf dem Tempelhofer Feld zukunftsfähig zu machen. Die Situation ist unschön: Es fehlt an Platz, Geld, Personal. Hinzu kommt, dass manche Prozesse an der ZLB, böse gesagt, auf dem Stand von 1990 sind. Von innovativen Angeboten wie der vielerorts üblichen „Patron Driven Acquisition“, bei dem E-Books auf Nutzerwunsch angeschafft werden, ist man weit entfernt.

Ein großer Teil der Bücher soll künftig regalfertig geliefert werden

Das will Heller ändern. „Tariflich bedingte Kostensteigerungen haben dazu geführt, dass nicht mehr alle Stellen besetzt werden können. Zugleich muss unsere Bibliothek neue Themen und Services für sich wandelnde Bedürfnisse anbieten“, schrieb er. Sein Plan sieht so aus: Die Kollegen sollen deutlich weniger Zeit mit dem Durchsehen von Bestelllisten und dem Konfektionieren von Büchern zubringen, um mehr Spielraum für Nutzerbetreuung und die Vermittlung digitaler Kompetenzen zu haben. Auch für verlängerte Öffnungszeiten und neue Präsentationskonzepte. Gerade hat sich die ZLB in einer kleinen Ausstellung dem brisanten Thema „Wohnen in Berlin“ gewidmet. „Die Bibliothek als Unterstützer der Stadtgesellschaft – das ist die Zukunft“, sagt Heller.

Das heißt im Umkehrschluss, dass Arbeit ausgelagert werden muss. „Fremdleistungsquote“ lautet das Stichwort. An vielen wissenschaftlichen Bibliotheken beträgt sie mittlerweile 50 Prozent, an den öffentlichen bis zu 70 Prozent. Bei der ZLB sind es unter fünf Prozent. Heller will die Radikalwende: Ein großer Teil der Bücher soll künftig regalfertig geliefert werden. Das empfiehlt ein Konzept, das die Professoren Konrad Umlauf (Humboldt- Universität) und Cornelia Vonhof (Hochschule der Medien Stuttgart) im Auftrag des ZLB-Vorstands erstellt haben. Als Dienstleister wird die Ekz-Bibliotheksservice GmbH in Reutlingen empfohlen. Das Unternehmen wurde einst von Kommunen, Ländern und Stiftungen gegründet, um Lektorate durch Kooperationen zu entlassen. Warum sollten in jeder Stadtbibliothek die gleichen Ratgeber, Sprachlehrkurse oder Reiseführer gesichtet werden?

Die Gegner des Outsourcing fürchten um die Vielfalt des Angebotes

Wissensspeicher. Die Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg ist Teil der Zentral- und Landesbibliothek, die jährlich 70 000 neue Medien aufnimmt.
Wissensspeicher. Die Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg ist Teil der Zentral- und Landesbibliothek, die jährlich 70 000 neue Medien aufnimmt.

© Wolfgang Stahr/laif

Heute ist die Firma nur noch zu einem Drittel in öffentlichem Besitz. 44 Millionen Euro Umsatz macht sie im Jahr, neben Medien und Dienstleistungen verkauft man auch Regalsysteme, Möbel, Zubehör. Vor allem durchforstet das Unternehmen mithilfe eines großen Lektorennetzwerks die 90 000 deutschsprachigen Neuerscheinungen. Zwischen 14 000 und 16 000 Titel kommen dann in die Auswahl für den „bibliothekarischen Bestandsaufbau“. Bibliotheken können das gesamte Paket beziehen oder nur Teile. Die Feinjustierung liegt beim Auftraggeber. „Standing Order“ nennt man dieses Verfahren.

Viele Bibliotheken arbeiten mittlerweile außerdem mit sogenannten „Approval Plans“. Dabei werden von Dienstleistern Kauflisten vorbereitet, die die Bibliothekslektoren gegenchecken. Beide Verfahren haben sich in Deutschland flächendeckend durchgesetzt. „Wir arbeiten mit Standing Order und Approval Plans“, sagt Jeanette Lamble von der Berliner Staatsbibliothek. Man sei sehr zufrieden damit.

Aus anderen Großstädten klingt es ähnlich: „Wir sind sehr anspruchsvoll, wir arbeiten mit Dienstleistern, die einen möglichst umfassenden Service anbieten können“, erklärt Achim Bonte, Stellvertreter des Generaldirektors der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden. „Wir haben uns vor Jahrzehnten um das Thema Outsourcing einzelner Arbeitsvorgänge gekümmert“, sagt Klaus Kempf von der Bayrischen Staatsbibliothek. Und Anna Zwenger-Mathavan von der Münchner Stadtbibliothek ergänzt: „Wir kaufen bei der Ekz ein, das ist ein gängiges Vorgehen.“

Nur in Berlin regt sich erbitterter Widerstand. Der Personalrat, Mitarbeiter und engagierte Bürger haben eine Front gebildet. Neben Online-Petition und besagtem Flugblatt gibt es eine 44-seitige kritische Stellungnahme zum Konzept der Professoren. Wehren sich hier ein paar ewig Gestrige gegen lange verschleppte Umstrukturierungsprozesse? Oder ist der Protest gegen den Ekz-„Mainstream“ berechtigt?

Der Stiftungsrat beschloss, dass künftig 24 000 Bücher zentral bezogen werden

Hier wird es kompliziert. Denn dem Konzept ging ein monatelanger interner Streit voraus. Laut Personalrat Lothar Brendel gab es schon Ende 2013 Überlegungen, ob das Gesamtpaket Sinn macht. Die Lektoren sahen die Ekz-Titelliste des Jahres durch und befanden bei mehr als einem Drittel der 16 000 Titel, dass sie nicht ins ZLB-Profil passen. Denn die beiden Berliner Häuser nehmen eine Sonderstellung zwischen Uni- und Kiezbibliothek ein, auch sind sie eine wichtige Anlaufstelle für Lernwillige in Ausbildungsberufen und auf dem zweiten Bildungsweg.

Es folgte ein Workshop, an dem auch die öffentlichen Bibliotheken von Hamburg und Bremen teilnahmen, die „als einzige in Deutschland das standardisierte Gesamtpaket der Ekz komplett übernehmen“, erinnert sich Brendel. Trotzdem blieben die Mitarbeiter bei ihren Bedenken, woraufhin das Gutachten in Auftrag gegeben wurde. „Aus meiner Sicht war das Teil einer Inszenierung, die darauf hinauslief, dass der Stiftungsrat dem Konzept von Herrn Umlauf und Frau Vonhof zugestimmt hat.“ Tatsächlich beschloss der Stiftungsrat, dem auch Kulturstaatssekretär Tim Renner angehört, dass künftig 24 000 Bücher über die Ekz bezogen werden. Da das Ekz-Paket aber maximal 16 000 Titel umfasst, könnte man das Kontingent einfach mit Doppelexemplaren aufstocken, schlugen die Gutachter vor.

Würden diese Pläne umgesetzt, dann blieben – so Brendels Rechnung – nur 6000 Titel, über die das Lektorat selbst bestimmen darf. Ein deutlich verringerter Spielraum, um das Profil des Hauses zu bewahren. Brendel listet etliche Bereiche auf, denen Schaden zugefügt würde: die große Pädagogikabteilung, die medizinischen Fachbücher, Politik, Sozialwissenschaften, Geschichte, Kinder- und Jugendliteratur, die Sprachkurs-Sammlung. Wachsen würde vermutlich das Segment der Massen- und Gebrauchsware, mit Ratgebern und Handbüchern. Außerdem, so eine weitere Befürchtung, würde sich der Bestand mehr als bisher mit dem der über 70 Berliner Bezirksbibliotheken überschneiden. Denn auch die kaufen über die Ekz. „Wenn man in jeder öffentlichen Bibliothek die gleiche Auswahl findet, dann stimmt etwas nicht“, sagt Brendel.

Als Modernisierungsgegner wollen die Mitarbeiter trotzdem nicht dastehen. „Wir haben schon vor langer Zeit Alternativen vorgeschlagen: Approval Plans mit Berliner Buchhändlern, semiautomatisierte Geschäftsgänge, Einführung weiterer E-Book-Plattformen.“ Die Angestellten haben keine Angst vor Veränderungen oder gar vor dem digitalen Zeitalter, betont der Personalrat. Volker Heller hat sich gewiss keine öffentliche Debatte um den ZLB-Medienetat von rund zwei Millionen Euro gewünscht. Zwar kommt Rückendeckung aus der Kulturverwaltung, man begrüße ausdrücklich, „dass sich der Vorstand mit dem Thema langfristige Sicherung der Leistungsfähigkeit auch in der veränderten Medienlandschaft beschäftigt und das Gutachten in Auftrag gegeben hat“, sagt Pressesprecher Günter Kolodziej. Mit dem leisen Umstellen auf ein großes Buchpaket aus Reutlingen wird es jetzt wohl trotzdem schwierig werden. Dafür ist der Unmut im Haus und vor der Tür mittlerweile zu laut geworden.

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