zum Hauptinhalt
Humor als Überlebensmittel: Helmut Dietl.

© imago

Zum 70. Geburtstag des Filmregisseurs: Helmut Dietl - Der Philosoph, der Filou

Mit "Schtonk!" und "Rossini" hat er dem deutschen Kino der letzten Jahrzehnte unerreichte Komödien geschenkt: Am Sonntag wird Helmut Dietl 70 Jahre alt. Eine Verneigung.

Wenn Helmut Dietl Namen vergisst oder partout nicht nennen will, wird’s gefährlich. In dem legendären „Schtonk“-Interview von 1992 im „Stern“ hat er einen Herrn mit Doppelnamen nicht mehr parat: Gerd Schulte-Hillen, Vorstandschef bei Gruner+Jahr während des „Stern“-Skandals um die gefälschten Hitler-Tagebücher – und längst unrühmliche Fußnote der Mediengeschichte. Vor zweieinhalb Jahren, vorm Kinostart von „Zettl“, seiner missglückten Brüllfarce über die Berliner Republik, hat er einen bekannten SPD-Mann nur als „der Dicke da“ in Erinnerung und muss sich von den „Spiegel“-Interviewern aushelfen lassen. Willi Winkler wiederum, der in der „Süddeutschen“ den Dietl schmerzendsten „Zettl“-Verriss geschrieben hatte, ist nur „jemand, dessen Namen ich am liebsten vergessen würde“ – so gesagt im „Zeit-Dossier“-Interview letzten November, in dem er seine Lungenkrebserkrankung öffentlich machte.

Große Komödie, großes Drama – und vor allem eine Rücksichtslosigkeit gegenüber der Welt und gegenüber sich selbst: Das ist das Faszinosum und Universum des Helmut Dietl. Wer sich - ein wenig bang vor der Aufgabe, einem derart Schwerkranken zum Siebzigsten zu gratulieren - in Archivmaterial gerade aus den wilden Zeiten vor Erfindung des Internets vertieft, kommt aus dem Lachen und Staunen und heiteren Selbstzweifel kaum heraus. Was lässt sich über diesen Mann noch sagen, das er nicht schon selber furios gewusst und famos ausgedrückt hätte? Von Einblicken in seine lebenslang mühevoll niedergehaltene Misanthropie bis zum Humor als Überlebensmittel, von der „Wahrheit, nicht Wirklichkeit“ als künstlerischem Credo bis zu intimen Fragen zum Liebesleben, gemeinsam gewissenhaft beantwortet mit Lebenabschnittspartnerin Veronica Ferres in den frühen neunziger Jahren.

 Ein Pedant für große Ziele

Dieser Mann geht immer aufs Ganze. Der autorisiert seine Interviews nicht tot, wie so manch anderer aus seiner Celebrity-Klasse und deutlich darunter. Der dreht – oder muss man, nach dem „Zettl“-Debakel, sagen: drehte? – seine Filme als Perfektionist, als „Pedant“, wie er selber sagt, weil er ihnen das Äußerste an Leben injiziert und folglich sich selbst und seinen Leuten das Innerste abverlangt. Über die Ergebnisse konnte man lange Zeit nur schwärmen. Unter Münchnern rühmte der unvergessene Michael Althen - bei der Wiederbesichtigung der TV-Serien „Münchner Geschichten“ (1973-74) und „Monaco Franze“ (1982) auf DVD – Dietl und seinen Ko-Autor Patrick Süskind als „große Liebende“ ihrer Stadt, „die sie in ihrem Spagat zwischen Bodenständigkeit und Weltstadtwahn wie keine anderen erkannt haben“. Und: „Wer danach nicht in München leben wollte, dem war nicht zu helfen.“

Was überhaupt für die noch eher zärtliche Spottlust des frühen Dietl gelten mag, jedenfalls bis „Kir Royal“ (1986) mit Franz Xaver Kroetz als legendärem Klatschreporter Baby Schimmerlos. Ja, das schönste Geschenk, das man Helmut Dietl und sich selbst zu seinem Geburtstag am Sonntag machen kann, wäre wohl, diese Sieben- und Achtstünder in einem Rutsch wiederzusehen. Oder noch einmal, wieder zehn Lebens- und Schaffensjahre weiter, die signifikant ausgekühlte Quintessenz des Dietl’schen Blicks auf die Münchner Film- und Medien-Schickeria: „Rossini“. Er habe „der neuen deutschen Komödiengemütlichkeit einen funkelnden Eisblock entgegengeschleudert, so scharfkantig, dass man sich beim Lachen dran schneidet“, fand der Tagesspiegel damals – und tatsächlich, Dietl war damals auf einsamer Höhe zwischen dem zunächst warmherzigem Blick aufs eigene Soziotop und der späten Verachtung für den modernen Menschenzoo. Oder sollte man es zuerst wagen, ausgerechnet „Zettl“ wiederzugucken, mit inzwischen gewonnenem Abstand zu jener denkwürdigen Verriss-Kanonade, die auch die Zuschauerzahlen in den Abgrund zog?

 "Rossini": mordskomisch und herzallerschlimmst

Irgendwann, irgendwann. Jetzt lieber „Rossini“, die unerreicht großartige deutsche Komödie der, sagen wir, letzten achtzig Jahre. Einen Film, der vom Totalklamauk bis zum hochelegant inszenierten Selbstmord, vom mordskomischen Männerduell bis zum herzallerschlimmsten Frauensolo alles auspackt, was das tolle, absurde, laute, todschreckliche Leben so bietet – mit elf Hauptdarstellern, aber ohne einer einzigen bequemen Identifikationsfigur. Und wer nicht alles dabei war: von fantastischen, inzwischen nahezu völlig ins Fernsehen abgewanderten Leuten wie Heiner Lauterbach, Hannelore Hoger, Edgar Selge, Jan Josef Liefers und, leider auch, Joachim Król bis hin zu anderen wie Burghart Klaußner, der - hier in einer allerliebsten Winzrolle als Winkeladvokat – inzwischen im Kino groß rauskam. Und Meret Becker: Den ganz großen Film mit dieser Ausnahmeschauspielerin werden wir eines Tages bestimmt noch sehen!

Dass Helmut Dietl diesen schon mit dem grandiosen „Schtonk!“ (1991) ins Visier genommenen Gipfel nicht wieder erreicht hat, weder mit „Late Show“ (1999), seiner Satire auf die TV-Branche mit Thomas Gottschalk und Harald Schmidt noch mit „Vom Suchen und Finden der Liebe“ (mit Alexandra Maria Lara und Moritz Bleibtreu, 2004) noch, erst recht, mit dem verpatzten Berliner Auswärtsspiel „Zettl“: Sicher hat es mit der fortschreitenden Verdunkelung des Dietl’schen Menschenbilds zu tun. Vielleicht muss man denn doch irgendwie lieben, worüber man sich wirkungsvoll lustig machen will - und diese Liebe im großen Maßstab ist Dietl, von einer späten privaten Ehe-Heimat abgesehen, abhanden gekommen. Wer spräche darüber erbarmungsloser als er selber? „Zu Zeiten von Monaco Franze, da mochte ich die Menschen noch lieber“, sagte er der „Zeit“. Und, dortselbst übers Altwerden: „Man mag sich selber immer weniger.“

 Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?

Nein, jetzt hier nichts mehr über den Krebs, diese besonders blöde Pointe, die vielleicht dem Teufel oder dem lieben Gott an einem schlechten Tag einfällt, nicht aber Helmut Dietl. Lieber eine plötzliche, fröhliche Assoziation beim Durchgucken von Porträts dieses Mannes, der, irgendwo zwischen Philosoph und Filou, nicht viel ausgelassen hat, stets bärtig, stets halbwegs langhaarig, stets mit Schalk im Blick: der alte Spruch „Würden Sie diesem Mann einen Gebrauchtwagen abkaufen?“ Einen Lamborghini schon. Einen weißen, versteht sich.  

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false