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Die Krimiautorin Ingrid Noll wird 80.

© Uwe Anspach/dpa

Zum 80. Geburtstag der Krimiautorin Ingrid Noll: Mörderinnen von nebenan

Ihre Frauenfiguren verfechten einen sanften Feminismus, deren Taten immer vernünftig und nachvollziehbar sind: Der Krimiautorin Ingrid Noll zum 80. Geburtstag.

„Welche Frau rast schon gern mit einem fremden Wagen über die Autobahn, noch dazu mit einer mehr als merkwürdigen Fracht!“ Die Frankfurterin Nelly, alleinerziehende Mutter und patente Betreiberin eines illegalen Mittagsrestaurants, braucht eines Nachts Hilfe: eine Leiche ist zu entsorgen. Welcher Mann würde sich da nicht sofort als Kavalier am Steuer zur Verfügung stellen, schon um sich weiterhin so fantasievoll bekochen zu lassen? Dabei könnte der Helfer jederzeit Nellys nächstes Opfer werden.

Die Heldinnen der Krimiautorin Ingrid Noll appellieren geschickt an den sogenannten gesunden Menschenverstand. Was sie tun, wirkt jederzeit vernünftig und nachvollziehbar. Auch geschehen die ausgesprochen unblutigen, ja „humanen“ Morde im Verlauf der Handlung oft so spät und beiläufig, dass einem die Täterin längst ans Herz gewachsen ist; Strafe hat sie jedenfalls nicht zu erwarten.

Gerahmte Buchumschläge im Arbeitszimmer

Da bildet die sympathische, zwischen gebratener Kalbshaxe und Veggie-Donnerstag jonglierende Nelly aus Ingrid Nolls jüngstem Roman „Der Mittagstisch“ keine Ausnahme. Das Buch ist mit einer Startauflage von 75 000 Exemplaren erschienen, Diogenes führt seine Bestsellerautorin mit insgesamt 52 Titeln auf, einschließlich Hörbücher. „Diogenes war das Glück meines Lebens“, sagte Noll kürzlich in einem Interview mit dem Schweizer Magazin „SonntagsBlick“. Nachdem sie ihr Manuskript „Der Hahn ist tot“ 1990 unverlangt eingesandt hatte, rief sie Verleger Daniel Kehl an und machte die Sache fix. Hermine Huntgeburth verfilmte 1999 den Stoff mit August Zirner als scheuem Schriftsteller, der von seiner 52-jährigen Verehrerin Rosemarie (Gisela Schneeberger) mit aller Konsequenz zum Liebesglück gezwungen wird. Nicht weniger Erfolg hatte zuvor Rainer Kaufmanns filmische Adaption „Die Apothekerin“ mit Katja Riemann in der Titelrolle.

Die geschmackvollen Buchumschläge von Ingrid Nolls Krimis hängen gerahmt in ihrem Arbeitszimmer in Weinheim an der Bergstraße. Es sind die Trophäen einer Spätberufenen, denn Noll begann erst mit 54 Jahren mit dem Schreiben, nachdem sie drei Kinder großgezogen und ihrem Mann in dessen internistischer Praxis bei der Büroarbeit geholfen hatte. Aus dieser Tätigkeit muss sie wertvolle medizinisch-anthropologische Kenntnisse gewonnen haben. So klagt etwa ein gewisser Jean Paul in ihrem sanft sarkastischen Roman „Rabenbrüder“ nach einem Leichenschmaus: „Drinnen in der warmen Stube überwältigte ihn das unangenehme Gefühl, kurz vor dem Ausbruch einer schweren Krankheit zu stehen. Übelkeit, Augenflimmern, Gelenkschmerzen und ekelhafte Kopfschmerzen waren eindeutige Vorboten. Er hätte besser auf die sechs Krapfen verzichten sollen.“

Familiäre Harmonie

„Ich wurde am 29. September 1935 in Schanghai geboren, das ist aber auch das einzig Exotische an mir“, sagt Ingrid Noll über sich. Die Arzttochter, die schon als Kind heimlich Geschichten erfunden hatte, kehrte 1949 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück und kam auf ein Mädchengymnasium in Bad Godesberg. Ein Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Bonn brach sie nach ihrer frühen Heirat ab. Ingrid Nolls Frauenfiguren verfechten einen sanften, mehrheitsfähigen Feminismus im Dienste der familiären Harmonie. Droht diese außer Balance zu geraten, dient die Beseitigung des – stets männlichen – Störenfrieds allein dazu, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Dieses restaurative Muster kennt man von realen Giftmörderinnen wie der als „Blaubeer-Mariechen“ bekannt gewordenen Rheinländerin Marie Velten, die sich in den achtziger Jahren vor Gericht als rührende Mutter und Opfer ihrer tyrannischen Ehemänner darstellte.

„Blut, Messer, eine wachsbleiche Frau, ein Toter“: Nellys Küche in Nolls neuem Roman „Der Mittagstisch“ bietet so manche Überraschung, gerade auch in „gastrosexueller“ Hinsicht. Ingrid Noll ist zu ihrem heutigen 80. Geburtstag vor allem eines zu wünschen: anhaltende Schaffensfreude.

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