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Zum Raum wird jetzt die Zeit: Neupräsentation der Berliner Nationalgalerie

Noch ist die architektonische Erweiterung reine Vision, konkret dagegen möchte man die Sammlung Pietzsch mit ihren Surrealisten für die Nationalgalerie gewinnen – dafür braucht es ein realistisches Platzangebot.

Am Ende wartet die Nacht. Im Dämmer trifft Conrad Felixmüllers „Agitator“ auf die Skulptur der verzweifelten „Mutter mit Kindern“ von Käthe Kollwitz. Deutschland im aufkeimenden Krieg ist das Thema im letzten Raum, bevor einen die Neue Nationalgalerie aus ihrem Bauch entlässt. Der Schatten nach dem Licht: eine ungewohnte Dramaturgie, aber der konsequente Abschluss einer Neupräsentation, die vieles anders macht.

Udo Kittelmann hat sich Zeit gelassen, um die Sammlung der Klassischen Moderne nach seinen Vorstellungen zu ordnen. Nach einem ersten Rundgang mit dem Museumschef und dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Michael Eissenhauer, liegen auch die Gründe dafür offen: Es ging nicht nur um die Frage, nach welchen Kriterien man rund 250 Werke aus einem hochkarätigen Fundus wählt, der das Zehnfache umfasst. Seit kurzem lässt das Bundesbauministerium dazu prüfen, ob man die Neue Nationalgalerie unterirdisch ausdehnen kann. Mies van der Rohe habe das selbst schon im Sinn gehabt, erklärte Eissenhauer. Dies sei bei der intensiven Beschäftigung mit dem Gebäude in den vergangenen Monaten herausgekommen.

Noch ist die architektonische Erweiterung reine Vision, konkret dagegen möchte man die Sammlung Pietzsch mit ihren Surrealisten für die Nationalgalerie gewinnen – dafür braucht es ein realistisches Platzangebot. Nach wie vor sieht Eissenhauer auch die Gemäldegalerie als Kandidaten, allerdings mit einer Einschränkung: „Wenn man die Alten Meister mit Würde umziehen lässt“, meinte der Generaldirektor. Und fügte hinzu, das Kulturforum als Standort müsse bis dahin so attraktiv sein, dass ihm die Abwesenheit von Rembrandt und Rubens nicht schade.

Die Neue Nationalgalerie schafft es allein, lautet knapp gefasst Kittelmanns Antwort. Dafür sorgt nicht nur die Sammlung mit ihren reichen Beständen von Ernst Ludwig Kircher, Max Beckmann, August Macke oder Rudolf Belling , die in der Neupräsentation „Moderne Zeiten“ großzügig vertreten sind. Sondern ebenso das Museum als Ikone der Moderne. Ihm zollt Kittelmann Respekt, wenn er sogar den originalen Teppich für das Foyer aus dem Depot holen und aufarbeiten lässt. Dass van der Rohes Barcelona chairs darauf wie zur Eröffnung von 1968 arrangiert sind, versteht sich fast von selbst. Ein paar Rückbauten und der Blick in den Skulpturengarten sorgen ebenso für frische Eindrücke wie die Präsentation – obwohl sie sich strikt beschränkt.

1945 ist Schluss. Die nächsten 18 Monate wird sich das Haus auf jene Jahrzehnte konzentrieren, in denen die Moderne erst Fuß fassen musste. Ihre Werke sind chronologisch und thematisch gruppiert, das Raumthema gibt jeweils ein Gemälde oder eine Skulptur vor. „Potsdamer Platz“ ist ein Titel, der offen mit den Assoziationen und der Attraktivität von Kirchners gleichnamigem Bild spielt. Für den letzten Raum „Nacht über Deutschland“ stand ein 1945 entstandenes Gemälde von Horst Strempel Pate, das selbst für Dauergäste der Neuen Nationalgalerie ein Novum sein dürfte.

Neu ist auch die „Schattengalerie“: In fast jedem Raum hängen schwarz-weiße Reproduktionen jener Gemälde in Originalgröße, die der Sammlung im Zweiten Weltkrieg abhanden gekommen sind. Ein imaginäres Museum, das „nicht moralisierend“ (Kittelmann) die Verluste beklagen, sondern die Sammlung in ihrer ursprünglichen Gänze zeigen will. Dazu gehört der Blick auf jene Gemälde, die wie Heinrich Vogelers Agitationsbild „Baku“ in den zwanziger Jahren als pädagogische Propaganda für eine bessere Welt im Kommunismus entstanden. Curt Querners neusachliche „Demonstration“ (1930) taucht ebenso selbstverständlich im Kanon der Kunstgeschichte auf wie die wunderbar modernistischen Berlin- Ansichten aus den zwanziger Jahren von Oskar Nerlinger, die später die Nationalgalerie Berlin-Ost ankaufte. Da hatte sich Nerlinger dem sozialistischen Realismus verschrieben und war für westdeutsche Museen nicht länger zeigbar. „Moderne Zeiten“ bricht mit diesem Tabu. Als Schau, die sich einengt und den Blick zugleich weitet: Das ist schon ziemlich gelungen.Christiane Meixner

Neue Nationalgalerie, ab 12. März

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