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Kultur: Zum Sterben zu viel

Wie sich Bühnenkünstler selbst ausbeuten.

Vielleicht gehört das schon zur Ausstellung dazu, dass man sie erst einmal gar nicht findet. Das muss man als eine in den Raum übertragene Infografik lesen: So versteckt die Schau „Brenne und sei dankbar“ im hintersten Teil der Akademie der Künste am Pariser Platz präsentiert wird, so vernachlässigt ist auch die freie Tanz- und Theaterszene.

Und tatsächlich setzen die beiden Macher, die Schauspielerin Gesche Piening und der Medienkünstler Ralph Drechsel, auf Infografiken, die auf schnelle und eindrückliche Weise die prekäre Lage von Bühnenkünstlern darlegen. Dabei stützen sie sich auf Statistiken aus dem „Report Darstellende Künste“, der Ende 2010 vom Fond Darstellende Künste herausgegeben wurde und die wirtschaftliche, soziale und arbeitsrechtliche Lebenssituation von Schauspielern, Tänzern und Performern in Deutschland beleuchtete. Berlin ist die erste Station der Wanderausstellung.

Anhand von zwölf Plakaten werden viele Zahlen genannt. Manche sind bekannt, es schadet aber nichts, sie erneut vor Augen geführt zu bekommen. Andere überraschen. So machen etwa die Budgets der freien Tanz- und Theaterszene nur 0,3 bis 2,5 Prozent des Kulturetats aus. Mit jährlich 101 Euro staatlicher Kulturausgaben pro Einwohner liegt Deutschland im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld. An der Spitze steht Liechtenstein mit 588 Euro. Aber auch Spanien, Slowenien und Italien platzieren sich vor der Bundesrepublik. Über der Liste, die wie ein Kassenzettel gestaltet ist, prangt in großen Buchstaben: „Kulturnation Deutschland“. Im Hintergrund dräuen dunkle Gewitterwolken.

Und es geht ernüchternd weiter. Laut Report schießen 85 Prozent der freien darstellenden Künstler in ihre Produktionen eigenes Geld und verzichten auf angemessene Entlohnung. Das Jahreseinkommen von 9430 Euro bei Frauen und 14124 Euro bei Männern liegt etwa 40 Prozent unter dem Durchschnittseinkommen aller deutschen Arbeitnehmer, geringfügig Beschäftigte eingeschlossen. Am Ende bleibt den Künstlern eine Rente von 427 Euro im Monat. Außerdem wurde ermittelt, dass Tanz- und Theaterdarsteller nur ein Drittel der Woche für künstlerische Arbeit aufwenden. Der Rest geht für nichtkünstlerische Jobs, Organisation und Akquise drauf. Offensichtlich wollen oder können sich viele wegen ihres unsicheren Einkommens keine eigene Familie leisten. Mehr als zwei Drittel, so veranschaulicht ein Balkendiagramm, haben keine Kinder. In den 60er Jahren als politische und unabhängige Alternative zum behäbigen Stadttheatersystem gegründet, unterliegt heute die freie Szene marktwirktschaftlichen Kriterien. Wer dabei sein will, beutet sich selbst aus.

Schuldzuweisungen, Lösungsvorschläge oder Hoffnungsschimmer gibt es in der Ausstellung keine. Sie fördert nur eine traurige Bilanz an die Oberfläche. Denn wer macht sich schon die Mühe, den über 700 Seiten starken Report des Fonds Darstellende Künste zu lesen? Wäre doch schön, wenn die Plakate auf ihren weiteren Stationen an freien Theaterbühnen und Ausbildungseinrichtungen einen prominenteren Platz bekämen. Anna Pataczek

bis 30.9., Akademie der Künste, Pariser Platz, Passage, Mo–So 10–22 Uhr

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