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Ismael Ivo. 1955 – 2021.

© imago images/POP-EYE

Zum Tod des Choreografen Ismael Ivo: Schamane des Tanzes

Sinnlich und politisch: Ismael Ivo schuf ein radikales Tanztheater, oft auch in Berlin. Nun ist er an Covid-19 gestorben.

Von Sandra Luzina

Die Tanzwelt trauert um Ismael Ivo. Der Choreograf und Tänzer ist am Donnerstag im Alter von 66 Jahren in seiner Heimatstadt São Paulo an einer Covid-19-Erkrankung verstorben. Dies teilt das Festival ImPulsTanz mit, dessen Mitbegründer Ismael Ivo war. Auch in Berlin, wo er von 1985 bis 1996 lebte, hatte Ismael Ivo viele Freunde und Bewunderer.

Geboren wurde Ivo 1955 als Sohn eines Bauarbeiters und einer Putzfrau in São Paulo. In den 1970ern studierte er zunächst Sozialwissenschaft und Psychologie sowie Philosophie und Soziologie in seiner Heimatstadt, ab 1976 absolvierte er parallel eine Tanzausbildung im Dance Center Ruth Rachou. 1983 nahm Ivo eine Einladung von Alvin Ailey nach New York an – es war der Beginn einer exzeptionellen Karriere. Nachdem er 1985 nach Europa übersiedelt war, arbeitete er mit vielen Größen der internationalen Tanz-, Musik- und Theaterszene wie George Tabori, Yoshi Oida, Koffi Koko und Marcia Haydée zusammen.

In Berlin hat Ismael Ivo wichtige Soloarbeiten wie „Delirium of a Childhood“ und „Apocalypse“ entwickelt. In Zusammenarbeit mit Johann Kresik entstanden die Erfolgsstücke „Francis Bacon“ (1994) und „Othello“ (1996). Mehrfach ist er beim Festival „In Transit“ im Haus der Kulturen der Welt aufgetreten. Hier zeigte er 2006 auch die Wiederaufnahme einer seiner ersten Choreografien: „As Galinhas“ ist ein radikales Stück über Rassismus, Gewalt und Unterdrückung und markierte den Beginn einer neuen expressiven Tanzsprache.

Früh reflektierte er die Themen Postkolonialismus und Rassimus

Ismael Ivo hatte eine Affinität zum japanischen Butoh, dem Tanz der Dunkelheit. Aber auch der deutsche Tanz hat ihn stark geprägt – und er hat als Afrobrasilianer dem Tanz in Deutschland nicht nur neue Ausdrucksformen erschlossen. Er hat in seinen Performances – lange vor der Black Lives Matter-Bewegung – das Bild des schwarzes Körpers in der westlichen Kultur reflektiert und Themen wie Postkolonialismus und Rassismus auf radikale Weise verhandelt. Und das hieß bei Ismael Ivo: Alle existentiellen Fragen wurden bei ihm auf den Körper bezogen. Er entwickelte das Konzept einer „biblioteca do corpo“ – und aus diesem Körpergedächtnis schöpfte er in all seinen Arbeiten. Sein Tanz war ungemein ausdrucksstark, er war sinnlich und politisch, besaß aber immer auch auch eine spirituelle Dimension. Der herausragende Performer wurde als Magier und Schamane des Tanzes gefeiert.

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Ivo war aber auch ein leidenschaftlicher Initiator und Vermittler. Gemeinsam mit Karl Regensburger gründete er 1984 das Tanzfestival ImPulsTanz Wien. Von 1996 bis 2005 leitete Ivo das Tanztheater des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, von 2005 bis 2012 die Sektion Tanz der Biennale in Venedig. Von 2017 bis 2020 war Ismael Ivo Direktor des Balé da Cidade de São Paulo.

Ivos überraschender Tod ist für die Tanzwelt ein großer Verlust. „Ismael hat mit seiner unglaublichen Expressivität im besten Sinne deutsches Tanztheater verkörpert“, sagte Karl Regensburger. „Er war trotz der Aura des Samba-Feelings zugleich immer sehr am deutschen Wesen interessiert.“ Das sei auch der Grund gewesen, weshalb er Künstler wie Heiner Müller oder Johann Kresnik zu seinen Freunden zählte. Es sei ein Drama, dass Ivo inmitten seines Schaffensdrangs von Covid hinweggerafft worden sei. „Er war noch nicht fertig mit all seinen Plänen“, sagte Regensburger. Im Herbst hätte er in São Paulo das Choreografische Zentrum Ismael Ivo eröffnen sollen.

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