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Kopfüber in den Abgrund. Nick Tosches.

© picture alliance / Effigie/Leema

Zum Tod des Schriftstellers Nick Tosches: Der Dante der Rock'n'Roll-Kultur

Er war ein Pionier des Gonzo-Journalismus und schrieb Bücher über Jerry Lee Lewis und Dean Martin. Nun ist Nick Tosches mit 69 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Es war ein Lärm, der die Welt ins Wanken brachte. Als Jerry Lee Lewis 1955 seinen ersten Hit „Whole Lotta Shakin’ Goin’ On“ herausbrachte, war die Hälfte der Hörer verzückt. Die andere fürchtete sich. „Er war überall, tönte gleich Donnergrollen ohne Regen aus Autos und Bars und all den offenen Fenstern der Unerlösten.“

Nick Tosches beschreibt den Sänger als dionysischen Umstürzler und (Selbst-)Zerstörer. Er sieht in ihm ein „Wesen von mythischer Abkunft“, gar einen „Redneck-Faust, der „ein unschuldiges Amerika kopfüber in den bodenlosen Abgrund einer neuen Rock’n’Roll-Kultur schleuderte“.

„Hellfire“ heißt das 1982 erschienene Buch, das so lodernd wie sein Titel ist. Greil Marcus feierte es als „schönstes Buch, das je über einen Rock’n’Roll-Musiker geschrieben wurde“, der britische „Guardian“ setzte es auf Platz 1 seiner Liste der besten Musikbücher.

Tosches ist ein Chronist des amerikanischen Traums, seine Biografien über vergessene Country-Pioniere, den Boxer Sonny Liston oder das Songwriter-Duo Hall & Oates lieferten stets auch gesellschaftliche Diagnosen.

Der Antipode von Jerry Lee Lewis ist für ihn Elvis Presley, der gezähmte Rebell, der jeden Reporter servil mit „Sir“ anredete.

Er ließ Silberdollars in übergroßen Slippern verschwinden

In „Dino“, seinem Buch über Dean Martin, beschreibt Tosches die Verbindungen zwischen Unterhaltungsindustrie und Mafia. Der Sänger, ein „Renaissance-Menschen der Mobkultur, hatte vor seiner Karriere als Croupier in einer illegalen Spielhölle gearbeitet. Dabei entwickelte er großes Geschick, immer wieder Silberdollars in seinen übergroßen Slippern verschwinden zu lassen.

Las Vegas, wo der Entertainer in Showbizz-Kathedralen wie dem „Sands“ Triumphe feierte, war vom Westküsten-Paten Bugsy Siegel gegründet worden. Auch in Chicago, New York, Atlantic City waren viele Nachtklubs, in denen Martin auftrat, Profitcenter der organisierten Kriminalität. Martin Scorsese erwarb die Rechte an dem 700-Seiten-Buch, doch ein Film ist daraus leider bis heute nicht geworden.

Tosches wollte Rock-Journalismus auf ein neues Plateau heben

Nick Tosches, 1949 in Newark geboren, begann in den siebziger Jahren für Magazine wie „Creem“ und den „Rolling Stone“ zu arbeiten. Zusammen mit Kollegen wie Lester Bangs und Hunter S. Thompson gehörte er zu den Begründern des Gonzo-Journalismus, einer erweiterten, extrem subjektiven Form des Reportierens, die spielerisch mit Fakten umgeht. Er wollte, sagte Tosches, den „Rock-Journalismus auf ein neues Plateau“ heben. Manchmal rezensierte er Platten, die es gar nicht gab.

Ab 1988 veröffentlichte er auch Hard-Boiled-Thriller, als seine beste belletristische Arbeit gilt der Roman „In the Hand of Dante“, in dem ein unbekanntes Manuskript der „Göttlichen Komödie“ auftaucht. Eine Drogen-Reportage für „Vanity Fair“ begann er so: „Sie sehen, ich musste zur Hölle gehen. Man könnte auch sagen, ich hatte Heimweh.“ Nick Tosches ist am Sonntag in New York gestorben. Er wurde 69 Jahre alt.

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