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Der Klang des Aufrichtigen. Peter Schreier (29. 3. 1935 – 26. 12. 2019).

© picture alliance / dpa / H. Schmidt

Zum Tod des Tenors Peter Schreier: Ehrlich, unentbehrlich

Weltklasse aus Dresden: Peter Schreier war einer der ganz Großen seines Fachs. Nun ist er im Alter von 84 Jahren in Dresden gestorben.

Seine Stimme, und das war eine Seltenheit, verriet seine Persönlichkeit ganz und gar. Es war der Klang des Aufrichtigen, des Unverstellten, des Schlichten, den er sich trotz Weltkarriere – er war mit und nach Fritz Wunderlich zu seiner Zeit der lyrische Tenor schlechthin – bewahrte. Schreier, 1935 in Meißen geboren und im sächsischen Gauernitz aufgewachsen, war seiner ganzen Prägung nach Dresdner, und er blieb es über alle politischen Geschicke hinweg. Als DDR-Bürger privilegiert, blieb er sich im Dienst seiner Sache aber immer treu. Aus der sächsischen Kantorentradition kommend, wird er Kruzianer, Mitglied des einzigartigen Dresdner Kreuzchors unter Rudolf Mauersberger, und erzogen in der Disziplin eines Heinrich Schütz und im Geist von Johann Sebastian Bach.

Sein Weltgefühl wird von Anfang an sakral geprägt, doch auch später behielt er ein Moment sächsisch-protestantischer Religiosität. Bis an die volkstümliche Unterhaltungsgrenze stellte er sein Talent in den Dienst dieser Schlichtheit. Musik blieb für ihn ein klarer religiöser Akt „soli Deo gloria“, in welche Tiefen oder Untiefen es ihn auch verschlug. Etwa die der Oper. Da wurde er der in seiner Wahrhaftigkeit unvergleichliche Mozarttenor. Er konnte nichts aufbauschen mit seiner Stimme, nie mogeln, zeigte immer nur, was er wirklich hatte, und das war genug.

Dabei war die Bühne nicht seine Welt. Er war kein Spieler, kein Darsteller, und gerade deshalb hatte er wunderbare Rollen: allen voran den Tamino aus der „Zauberflöte“. Er verfügte auch in reiferen Jahren noch über die erforderliche Jugendlichkeit. Auch der Ferrando in „Così fan tutte“ lag ihm, wie die Spieltenor-Rollen, die er mit Ehrlichkeit adelte und aus dem Schwankgetue der Opernklischees erlöste. Dann seine schlichten Menschendarstellungen: sein „Meistersinger“-David, sein Palestrina von seltener Identifikation mit Hans Pfitzner, aber auch sein Ausflug in den Karajan-„Ring“ als Loge und Mime – alles Figuren, die etwas von seiner Intelligenz bekamen. Wie kaum einer kannte er seine Grenzen und überschritt sie nur, als Carlos Kleiber ihn für die „Freischütz“-Aufnahme unbedingt als Max haben wollte, weil ihm die Grenze wichtiger war, auf der ein Mensch lebt, als das Stimmfach. Und so wäre wohl auch Florestan in Beethovens „Fidelio“ ein Mensch gewesen, den Schreier hätte wahrmachen können.

Peter Schreier driftete nie ab ins „große Fach“ seines Vorbildes, des Wagner-Tenors Torsten Ralf. Immer blieb er dem geistlichen Gesang in der Tradition der Kruzianer treu. Kaum eine Bach-Kantate ohne ihn in Bachs Heimat, schon gar in Aufnahmen, Passionen, deren Evangelist er von jungen Jahren an war und als der er sich in die Reihe von Karl Erb oder Peter Pears stellen durfte. Durch seine kirchenmusikalische Tradition war er sogar noch authentischer als diese.

Auch als Dirigent war Peter Schreier gefragt

Früh nach seinem Dirigierstudium leitete er Aufführungen aus dem Oratorienrepertoire und war gefragt als Dirigent. Er blieb auch hier ganz dem Werk verpflichtet, von einer vollendeten Redlichkeit, die dem Charisma des Pult-Stars entgegenstand. Neben den unerhörten Momenten, die er uns bei Schütz und Bach schenkte, waren es aber die Lieder, bei denen man ihm ins Herz schauen konnte. Nie wollte er zeigen, wie schön er’s macht (und machte es doch so schön), er war ganz Hermeneut der lyrischen Nuance. Im vornehmsten Sinne war er ein deutscher Interpret deutscher Liedkunst. Im Lied gab es keine Rollen, selbst die verlockendste Ballade hatte noch eine zuweilen fast biedere Objektivität.

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Er sang Schubert mit unvergleichlicher Bescheidenheit, und manchmal war das Gediegene der Deutung im Wege. Irgendwie blieb er auf dem Teppich, auch in der „Winterreise“ mit Pianisten wie Alfred Brendel oder András Schiff. Aber schon im „Schwanengesang“ wuchs er über sich hinaus, und die „Müllerin“ war bestürzend stimmig, zumal mit Walter Olberz am Flügel. Hugo Wolf forderte ihn an die Grenzen, er war nie der Mann für Psychogramme, Richard Strauss gelang ihm bürgerlich, weil er das Blendwerk dieser Stimmungsmache durchschaute. Brahms Versenkung beantwortete er mit Schlichtheit, und die „Magelone“ macht ihm keiner nach an Echtheit, auch wenn ihn stimmlich so manche Kollegen (vornehmlich im Baritonfach) an die Wand singen wollten. Brahms hat er meisterlich gedient als Tenor-Stimme in den Vokalensembles, die mit Dietrich Fischer-Dieskau und ihm sonst lieben Kollegen aufgenommen wurden.

Besonders Schumann lag ihm. Beiden kamen aus Sachsen

Doch es gab einen Komponisten, für dessen Liedersegen Peter Schreier geboren war: Robert Schumann. Mag sein, dass beider sächsische Herkunft dazu beitrug. Ein Segen, dass Peter Schreier die meisten, wenn auch nicht alle Schumann-Lieder in Aufnahmen mit Norman Shetler hinterlassen hat. Und so bleibt dieser Ton ein Zauberton an Wahrhaftigkeit.

Eine Schönheit jagt dabei die andere und übertrifft sie an edler Innigkeit. Nie werden wir den Klang verlieren, den sein Bach uns in den Passionen gab, den Kantaten – und hören wir gar einen anderen Tenorkollegen, empfinden wir ihn rasch als Fehlbesetzung. So auch bei Robert Schumann: Wer ihn in sich einlassen will, seinen Ton, den wir nicht mehr verlieren können, der höre das Schumann-Lied „Ihre Stimme“ nach Platen: „Mein Herz und Deine Stimme verstehn sich gar zu gut ...“. Peter Schreier, der am 2. Weihnachtsfeiertag im Alter von 84 Jahren in Dresden gestorben ist, hat ein Stück Ewigkeit mit seiner ehrlichen Kunst gepachtet.

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