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Links, Bohemien, Kettenraucher, strammer Trinker: Christopher Hitchens.

© Reuters

Zum Tod von Christopher Hitchens: Christopher Hitchens: Kampf dem Glauben – und Aberglauben

Die erste seiner Todesanzeigen las er noch selbst: Zum Tod des großen Journalisten, Essayisten und Literaturkritikers Christopher Hitchens.

Wäre es nicht so makaber, müsste man sagen, dass diese schreckliche, schicksalsschwere Koinzidenz zu wenigen Leben so gut passt wie zu dem bewegt-glamourösen von Christopher Hitchens. Da schreibt der britische Journalist, Essayist und Literaturkritiker also seine Memoiren, da stellt er dieser kraftvollen, egozentrischen, erratisch-wilden, manchmal zärtlichen Autobiografie einen Prolog voran, in dem er, durchaus mit Wonne, darüber räsoniert, wie es ist, lebend seine eigene Todesanzeige zu lesen, „diese mahnende Nachricht aus der Zukunft“, so wie es ihm selbst widerfahren ist – und da erfährt er kurz nach Veröffentlichung des Buches 2010 in den USA, dass er mit seinen 61 Jahren an Speiseröhrenkrebs im Endstadium leidet und seine Lebenszeit eine sehr begrenzte ist.

„Nicht alle meine Meinungen stellten sich als gerechtfertigt heraus, nicht einmal vor mir selbst“, schreibt er in einem Vorwort anlässlich der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe selbstkritisch und im Bewusstsein des nahenden Todes. „Ich lese gerade nach, was ich in diesem Buch schrieb: ,Ich persönlich möchte sterben tun, im Aktiv, nicht Passiv, möchte anwesend sein, um dem Tod ins Auge zu blicken und etwas zu tun, wenn er mich holen kommt’. Im Licht meines heutigen Wissens kann ich diese Sorglosigkeit nicht mehr teilen.“

"Ernsthafter Mensch und Verbündeter der Arbeiter"

Handeln, präsent sein, Gefahren, ja dem Tod mutig ins Auge blicken – all das gehörte zu den Lebensmaximen von Christopher Hitchens. Geboren wird er 1949 in Portsmouth als Sohn eines britischen Marineoffiziers und einer aufopferungsvollen, „leidenschaftlichen Lady“, von deren polnisch-jüdischem Hintergrund er erst nach ihrem Selbstmord erfährt. Nach einem Studium in Oxford und der Teilnahme „jeder mir nur möglichen Demonstration gegen den Vietnamkrieg“ beginnt Hitchens in den frühen siebziger Jahren für die Magazine „International Socialism“ und „New Statesmen“ zu schreiben. Als „ernsthafter Mensch und Verbündeter der Arbeiter“ will er sich neu erfinden, als „linksoppositioneller Marxist“ versteht er sich. Er berichtet aus den Krisengebieten der Welt, aus Kuba, dem Irak, Simbabwe, Argentinien und Marokko, später aus Nicaragua und dem Rumänien zur Zeit des Ceausescu-Sturzes.

Christopher Hitchens ist links, Bohemien, Kettenraucher, strammer Trinker, sexuell in alle Richtungen aufgeschlossen, eng befreundet mit Martin Amis, Salman Rushdie – und schreibt Bücher, in denen er Henry Kissinger, Bill Clinton oder Mutter Teresa an den Pranger stellt. Sein größter Bucherfolg wird 2007 seine Atheismus-Fibel „God is Not Great: How Religion Poisons Everything“. Seinen großen politischen Richtungswechsel unternimmt er jedoch schon viele Jahre zuvor. Als Salman Rushdie 1989 unter Chomeinis Bannstrahl gerät, hat er erstmals die „Multikultilinken“, das „postmoderne Linkssein“ im Visier. Und als 2001 in Manhattan die Zwillingstürme einstürzen, wird er, der seit 1981 in den USA lebt, endgültig zum Amerikaner – und zum Verbündeten von George W. Bush. Er setzt sich vehement für den Einmarsch der US-Armee in den Irak ein, und er glaubt an die Mär von den Massenvernichtungsmitteln im Irak, an die Bedrohung der Welt durch den „islamischen Faschismus“. Und es ist ihm egal, von Amerikas Neo-Konservativen vor den Karren gespannt oder von alten Weggefährten als „nützlicher Idiot Bushs“ bezeichnet zu werden.

Der Weg des geringsten Widerstands – nicht seine Sache

Als ungerechtfertigt betrachtet Hitchens seine Haltung zum Irak-Krieg auch später nicht, da erzählt er in seinen Memoiren lieber die Geschichte eines im Irak gefallenen Amerikaners, der sich „moralisch verpflichtet gefühlt hatte“. Absolute Gewissheiten zu haben, den Weg des geringsten Widerstands zu gehen – das ist seine Sache nie. Auch nicht in seinen letzten Tagen, da er immer schwächer wird, aber sich in einer letzten Kolumne in der „Vanity Fair“ noch an Nietzsches Diktum „Was dich nicht umbringt, macht dich stärker“ abarbeitet. Zweifelnd zwar, angesichts seines Zustandes, trotzdem kämpferisch. In der Nacht zum Freitag ist Christopher Hitchens in einem Krankenhaus in Houston, Texas, 62-jährig seinem Krebsleiden erlegen.

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