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Architektur soll humanes Erleben sein: Frei Otto

© dpa

Zum Tod von Frei Otto: Bauen für das Glück des Menschen

Eleganz, Naturschönheit, Nachhaltigkeit - darum ging es ihm, nicht nur beim Münchner Olympiastadion. Jetzt ist der visionäre Architekt und Ingenieur Frei Otto mit 89 Jahren gestorben.

Man hat ihn, seiner fantastischen Utopien und seiner luziden Zeichnungen wegen, mit Bruno Taut verglichen. Doch der Architekt und Ingenieur Frei Otto, der sich ähnlich Tauts „alpiner Architektur“ die Überdachung ganzer Gebirgstäler vorstellen konnte, begann, wo Taut aufhörte, erst richtig mit der Arbeit. Er wollte wissen, wie man Utopien bauen könnte.

Frei Otto, 1925 im sächsischen Siegmar geboren, war als Segelflieger und Kampfpilot über den Flugzeugbau mit leichten Konstruktionen in Berührung gekommen. Nach dem Architekturstudium in Berlin schrieb er 1955 seine Dissertation „Das hängende Dach“. Erste Bauten entstanden, etwa das Gemeindezentrum in der Zehlendorfer Andréezeile mit der delikaten Dachkonstruktion und dem Campanile, der einer Zellstruktur im Mikroskop gleicht und schon 1960 erkennen lässt, wohin die Reise geht.

Die TU Stuttgart holte ihn ins Land der Tüftler, an einen Ingenieurlehrstuhl, wo er 1964 das Institut für leichte Flächentragwerke IL und den Sonderforschungsbereich SFB 64 gründete. Dort hat er sich anfangs mit Hängekonstruktionen befasst, die leichter und materialsparender sind als alle Balken- und Fachwerkdächer. Der deutsche Pavillon der EXPO 1967 in Montreal und schließlich das berühmte Olympiadach in München 1972 entstammen dieser Entwicklungslinie, an deren Anfang seine Untersuchungen von Spinnennetzen standen.

Dann weitete sich sein Blick auf andere natürliche Konstruktionen. Interdisziplinär wurden Zellen und Knochen, Baumstämme und Grashalme, Termitenhügel, Kieselalgen und Seifenblasen unter die Lupe genommen, um ihnen brauchbare Ideen abzuschauen.

Er fragte nach den Errungenschaften für den Menschen und die Folgen für die Umwelt

An seinem Institut gingen die besten Forscher aus aller Welt ein und aus, nicht nur Ingenieure und Materialforscher, auch Biologen und Psychologen, denn Ottos ganzheitlicher Ansatz war nicht nur darauf aus, experimentell die Natur zu befragen, Berechnungs- und Rechnerunterstützte Entwurfsmethoden für die verschiedensten Flächentragwerksprinzipien zu entwickeln, sondern er fragte nach den Errungenschaften für den Menschen und nach den Folgen menschlichen Tuns für die Umwelt.

Schon in den sechziger Jahren hat er die Forderung aufgestellt, von Bauwerken die Gesamtenergiebilanz zu berechnen. In Berlin realisierte er zusammen mit Hermann Kendel das konsequenteste Projekt der IBA 1984/87 mit ökologischer Ausrichtung. Dem IBA-Chef Josef Paul Kleihues war Frei Ottos Haltung zwar suspekt, aber er respektierte ihn als den damals international angesehensten deutschen Architekten und ließ ihn in der Rauchstraße im Diplomatenviertel bauen. Eigentlich sind es nur drei Betonregale mit Plattformen in sechs und zwölf Metern Höhe, die Bauplätze für individuelle, zweigeschossige Einfamilienhäuser bieten und an Wänden und Dächern intensiv begrünt sind.

Frei Otto scharte die engagiertesten Leute um sich, steckte mit mit seiner grenzenlosen Neugier an

Es ging Frei Otto nicht darum, die Menschheit mit fantastischen, ikonischen Bauwerken zu beglücken, obwohl ihm das zusammen mit Behnisch und Partner sowie dem Ingenieur Jörg Schlaich in München gelang. Er wollte, dass sie damit auch glücklich wird – ein Rückkopplungseffekt, an dem die meisten Ingenieure und Architekten keinerlei Interesse zeigen. Vergleicht man Ottos Entwürfe von Transrapid-Trassen, eine filigraner und ästhetischer als die andere, mit dem inzwischen in Shanghai in die Landschaft betonierten Brückenband, wird dieses Anliegen deutlich.

Frei Otto hat wenig selbst gebaut. Aber er war Partner bei vielen Projekten, zum Beispiel im arabischen Raum, wo ganze Zeltdachstädte entstanden, Stadien und Paläste leicht und luftig zu überdachen waren. Für Pink Floyd entwarf er 1977 riesige transportable Schirme zur Überdachung der Showbühne. Vor allem war Frei Otto Initiator und leidenschaftlicher Lehrer. Er scharte die engagiertesten Leute um sich, steckte sie mit seiner grenzenlosen Neugier an. Wer erlebt hat, mit welcher Präsenz er Säle füllte oder wie die Mitstreiter in kleinerer Gruppe ihm an den Lippen hingen, kann ermessen, wie er Menschen mit seinen Gedanken beeinflusst hat.

So hat Frei Otto bis heute vielfach Wirkung gezeigt, als ökologisches Gewissen der Ingenieure und Architekten und als Wegweiser für die Material- und Konstruktionsforschung Richtung Ressourcen sparendes Bauen. Wenn heute Architekten mit rechnergestützten „parametrischen Entwurfsmethoden“ Pneus und Blobs entwerfen, ist deren Methodik und Formenwelt von Frei Otto vorgedacht worden. Wenn heute Ingenieure wie Schlaich Bergermann und Partner Fußballstadien in aller Welt bauen und mit ihren Seildächern nur noch einen Bruchteil an Stahl verbrauchen, gehen die Konstruktionen auf Frei Otto zurück. Die faszinierenden Arenen in Durban und Kapstadt, in Brasília und Manaus, in Delhi und Shenzhen erfüllen eine zweite Forderung Frei Ottos. Sie sind von unübertroffener Eleganz, haben Erlebniswirkung.

Seinen 90. Geburtstag am 31. Mai hat der zuletzt fast erblindete, am vergangenen Montag in seinem Haus in Warmbronn bei Stuttgart verstorbene Frei Otto nicht mehr erleben dürfen. Wohl aber die größte Ehrung, die einem Architekten zuteil werden kann. Die Jury des Pritzker-Preises hat ihn noch zuhause aufgesucht. Er ist nach Gottfried Böhm 1986 erst der zweite deutsche Träger dieser Auszeichnung.

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