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Johannes Grützke 2012 bei der Verleihung des Hanna-Höch-Preises in der Nikolaikirche.

© DAVIDS/Darmer

Zum Tod von Johannes Grützke: Im Kosmos des Augenmenschen

Figurativ, derb, opulent. Und immer ein Schalk: Der große Berliner Künstler Johannes Grützke ist gestorben. Ein Nachruf.

Wer einmal ein Bild von Johannes Grützke gesehen hat, der vergisst es nicht, der erkennt den Maler sofort wieder: verzerrte Visagen, verdrehte Körper, groteske Gestalten, mit Wonne gemalt. Grützke war ein lustvoller Maler, ein praller Realist, der sich nicht sattsehen konnte an den Menschen, die er gerne auch als Nackte ineinander verknäuelt darstellte. Dahinter steckte jedoch nie Verächtlichmachung des Gegenübers, im Gegenteil. Immer wieder hat der Berliner Künstler auch sich selbst porträtiert mit dem markanten Igelhaarschnitt, der Nickelbrille auf der Nase. Genauso oft entblößt, ohne das weiße Hemd, die weiße Hose, die weißen Turnschuhe, die er immer trug.

Wer ihn in seinem Atelier in der Güntzelstraße besuchte, wo er für seine Gäste einen gefürchtet starken Kaffee braute, trat ein in den Kosmos eines Augenmenschen, der rastlos zeichnete, malte, Grafiken schuf. Ausgestopfte Tiere stehen da, Fuchs, Hase, Gans, Pavian, Piranha, in der Mitte des Raums ist die Staffelei platziert. Hierher hatte er schon in den 60ern per Anzeige seine Modelle eingeladen: „Frauen zwischen 40 und 50, die zur Vervollkommnung ihrer Gestalt mehrmals geboren haben sollten“, wie es in der ersten Annonce hieß. Mit dem Pinsel, dem Zeichenstift forschte er jede Pose, jeden körperlichen Winkel aus. Waren keine Modelle zugegen, malte er eben das eigene knorrige Knie, den eigenen haarigen Unterleib von oben gesehen mit hoch gezogenem Hemd, die eigenen ädrigen Hände beim Griff umeinander.

Johannes Grützke ist nicht nur ein Stück Berliner Kunstgeschichte, auch wenn er tief mit der Stadt verwurzelt ist. Hier wurde er im September 1937 geboren, hier besuchte er die Hochschule der Künste und arbeitete abends am Theater, um sein Studium zu finanzieren. Der Bühne blieb Grützke auch später verbunden in Zusammenarbeit mit Peter Zadek, für dessen großartige „Lulu“-Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus er die Bühne entwarf. Als Bühnenbildner, als Dozent verließ Grützke seine Heimatstadt, lehrte an der Salzburger Sommerakademie, folgte 1992 einem Ruf nach Nürnberg. Ansonsten hielt es ihn in Berlin, nur für ein Jahr versuchte er sein Glück nach dem Studium in Bad Godesberg, wo er seine erste Einzelausstellung erhielt.

Eines der vielen Selbstbildnisse von Johannes Grützke.
Eines der vielen Selbstbildnisse von Johannes Grützke.

© Johanna Bergmann

1965 kehrte er endgültig zurück und gründete im gleichen Jahr die Künstlergruppe „Die Erlebnisgeiger“, er selbst spielte das Instrument. Zu Berühmtheit brachte es allerdings erst die acht Jahre später mit Manfred Bluth, Matthias Koeppel und Karlheinz Ziegler aus der Taufe gehobene „Schule der Neuen Prächtigkeit“. Die Künstler malten figurativ, derb, opulent, bekannten sich zur „Schönheit des Trivialen“ und begaben sich damit in Opposition zu den aktuellen Trends von Minimal und Konzeptkunst.

Das Handfeste in seiner Malerei hat Grützke stets betont: „Ich bin Maler, Künstler sage ich nicht. Der Begriff ist für Betrüger gut geeignet.“ Grützke setzte sich bewusst ab, betonte stets sein Einzelgängertum. „Das ist ja schon fast religiös, der Zweifel an der Kunst hat abgenommen. Aber der Maler ist immer noch der Maler. Altmodisch. Der Maler ist nicht mehr im Kunstbetrieb. Ich habe dennoch knieende Bewunderer.“ Seine Sammler müssen also Überzeugungstäter sein, Humor besitzen und gerade das parodistische Moment in seinen Bildern lieben, das Überzogene, Überdrehte. Für Grützke kam die offizielle Anerkennung in seiner Heimatstadt spät. Nach einer Ausstellung Mitte der 80er Jahre in der Neuen Nationalgalerie würdigte ihn angemessen erst wieder das Stadtmuseum mit einer Retrospektive anlässlich der Verleihung des Hannah-Höch-Preises. Vor einem Jahr präsentierte ihn die Potsdamer Villa Schöningen mit einer Schau, wohl wissend, dass es durch seine schwere Krankheit seine letzte sein würde.

Grützke ist also weit mehr als eine Berliner Erscheinung. Mit seinem monumentalen „Zug der Volksvertreter“ in der Frankfurter Paulskirche, einem 32 Meter langen Rundbild mit 160 schwarz gekleideten Herren, hat er einen dauerhaften Platz in der bundesrepublikanischen Kunst, schuf er doch damit das ironisch-repräsentative Bild zu Vormärz und 1848er-Revolution. Einen solchen Kraftakt lieferte ansonsten nur noch Werner Tübke mit seinem Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen. Die beiden sind immer wieder verglichen worden, überhaupt wurde Grützke eher in die Tradition ostdeutscher, der Leipziger Malerei gesehen.

Doch das greift zu kurz. Bezugsgrößen sind für ihn ebenso Vélazquez, Rembrandt, Delacroix und Ingres. Bei den Barockmalern hat er sich die spiraligen Kompositionen abgeschaut, bei Lovis Corinth die Fleischigkeit verschlungener Körper. Diese Gegenwart der Kunstgeschichte in seinen Bildern war für Grützke eine Selbstverständlichkeit.

Sein Selbstbewusstsein schmälerte das nicht: „Ich bin kein moderner Künstler, ich bin Klassiker!“, hat er einmal gesagt. „Kunst ist nicht modern, sondern immer!“ Nach langer Krankheit starb Johannes Grützke am Mittwoch im Alter von 79 Jahren in Berlin.

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