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Stylish. Kurt Maetzig (1911–2012) in den sechziger Jahren, auf der Höhe seines Ruhms.

© Linke/FilmmuseumPotsdam/Cinetext

Zum Tod von Kurt Maetzig: Der letzte Augenzeuge

Großmeister des Defa-Films: Regisseur Kurt Maetzig ist gestorben – im biblischen Alter von 101 Jahren.

Damit hatte damals niemand gerechnet: Kaum vier Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer, und das auch noch unbeeinflusst von westlichen „reaktionären Kräften“, probten ein paar Defa-Regisseure den Aufstand, und das nicht einmal laut. Sie wagten es lediglich, eine gewisse Unzufriedenheit bei Teilen der DDR-Bevölkerung zum Thema zu machen. Das allerdings durfte nicht sein, und zur Jahreswende 1965/66 landete ein halbes Dutzend Defa-Produktionen im Giftschrank. Giftschrankfilme werden sie seitdem genannt, oder auch „KaninchenFilme“, weil unter ihnen „Das Kaninchen bin ich“ am meisten Aufsehen erregte. Der bis dahin politisch untadelig erschienene Kurt Maetzig hatte ihn gedreht.

Der Bruder der Protagonistin ist wegen staatsfeindlicher Hetze zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Doch statt ihn zu bekehren, erforscht die junge Frau die Hintergründe des nichtöffentlichen Prozesses. Nachforschen, weil der Staat das Volk nicht informiert hat – das kam einem Aufruf zum Ungehorsam gleich. Maetzig reagierte auf die Anschuldigungen mit Selbstkritik und entschuldigte sich für seinen Film, zur Enttäuschung vieler Kollegen.

Dabei war seine Selbstkritik kein Ausdruck von Opportunismus oder Karrierismus. Maetzig hatte die DDR mit aufgebaut, ihre Stabilität war ihm wichtiger als seine Selbstverwirklichung. Schon 1944 war er in die illegale KPD eingetreten. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass ausgerechnet ein Film von ihm für Unfrieden sorgt. Zumal er damals auch längst in seinen besten Jahren war. 55 Jahre war er alt, als er sich im Januar 1966 entschuldigte. Privat galt er als integer. Berichte über Denunziationen gibt es nicht, im Gegenteil, er hat so manchen Regimegegner gewarnt oder gedeckt. Daher traf ihn nach 1989 auch keine jener Abrechnungen, die mit dem Ende des DDR-Staats einhergingen.

Was wird von Maetzigs Werk bleiben? Man könnte denken, gerade die mutigen, von der Parteiführung als subversiv empfundenen Giftschrankfilme geraten als erste in Vergessenheit – getreu dem Motto: Nichts altert so sehr wie die Provokation von gestern. Ein Platz in der Filmgeschichte ist Maetzig dennoch sicher. Seine Stärke war der historische Film. Die KPD hatte eine Vergangenheit, die sie feiern konnte, und so plakativ und einseitig Maetzigs Rekonstruktionen auch anmuten mögen, sie sind packend und von tiefster Überzeugung getragen. Das gilt vor allem für die ab 1953 gedrehten Ernst-Thälmann-Filme „Sohn seiner Klasse“ und „Führer seiner Klasse“, von denen sich Maetzig nach der Wende selber aus freien Stücken distanziert hat. Sie ähneln unbeabsichtigt den Bibelfilmen Hollywoods. Wie Moses oder Jesus spricht auch Ernst Thälmann keinen einzigen alltagsnahen Satz, er verkündet ausschließlich Weisheiten. Auch wenn er verhaftet wird, hat er längst damit gerechnet, es war sein Schicksal. Es gibt keine Ambivalenzen, keine offenen Fragen. US-Bankiers haben Hitler aufgebaut, ganz einfach.

Zu viel war lange von Maetzigs Systemtreue die Rede und zu wenig von seinem Talent. Er konnte mit Massenszenen umgehen. Unvergesslich der Moment, als die Hamburger Hafenarbeiter erfahren, dass Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg erschossen wurden. Wie sich die Tat herumspricht, Grüppchen zu Gruppen werden und Gruppen zu einer großen Menschenmenge, das ist brillant choreografiert und mit einer Musik unterlegt, die sich zugleich an Eisler und an Wagner orientiert.

Der zweite Klassiker, mit dem Maetzig sich einen Platz in der Filmgeschichte erworben hat, ist „Ehe im Schatten“ (1947). Der Film brachte ihm ein Dutzend Nationalpreise und sogar einen Bambi aus der Hand des Klassenfeinds ein. Das stille Melodram über ein Schauspielerehepaar im Nationalsozialismus, das vor der drohenden Deportation gemeinsam Selbstmord begeht, lockte im Westen zehn Millionen Zuschauer ins Kino. Als Vorlage diente nicht nur die Tragödie des Schauspielers Joachim Gottschalk, sondern auch die von Maetzigs Mutter. Als Jüdin ertrug sie die ständige Suche nach einem neuen Versteck nicht länger und wählte den Freitod. Zu emotional, zu wenig politisch sei der Film, klagte Maetzig später, doch wie hätte man die Geschichte anders erzählen sollen?

Maetzig war der bedeutendste Defa-Regisseur der Aufbaujahre, diesen Rang macht ihm niemand streitig. Von der Wochenschau „Der Augenzeuge“ wechselte er zu fiktiven Stoffen mit politischem Hintergrund. Er war ein versierter Techniker, ausgebildet in einer Kopieranstalt und bis 1935 mit Vorspann -und Tricksequenzen betraut. Schauspielerführung allerdings war seine Sache nicht. Filme wie „Der Rat der Götter“ (1950) über die Verbrechen der IG Farben oder „Roman einer jungen Ehe“ (1952) über die korrupte Kulturpolitik in West-Berlin – verkörpert durch den Tagesspiegel – kranken daran, dass einfältige Proletarier von dekadenten Kapitalisten an die Wand gespielt werden.

Dass man etwa den proletarischen Heldinnen von „Die Buntkarierten“ (1949) und „Vergesst mir meine Traudel nicht“ (1957) dennoch gern zusieht, liegt an den kraftvollen Darstellerinnen Camilla Spira und Eva-Maria Hagen. Bald aber liefen Maetzig jüngere Kollegen wie Konrad Wolf und Gerhard Klein den Rang ab. Sie machten die aufregenderen Filme, standen näher an ihrem Publikum und am Leben. Maetzig sah das gelassen und hat, ab 1954 als erster Rektor der Potsdamer Filmhochschule, den Nachwuchs aktiv unterstützt. Am Mittwoch ist der Regisseur im biblischen Alter von 101 Jahren in seinem Haus in Mecklenburg-Vorpommern gestorben.

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