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Kultur: Zunge hört mit

Ein kulinarisches Festkonzert bei den "Freunden guter Musik"VON FREDERIK HANSSENWenn es eine unumstrittene These in der modernen Küchenphilosophie gibt, dann die vom Auge, das mitißt.Wie aber verhält es sich mit der Zunge?

Ein kulinarisches Festkonzert bei den "Freunden guter Musik"VON FREDERIK HANSSENWenn es eine unumstrittene These in der modernen Küchenphilosophie gibt, dann die vom Auge, das mitißt.Wie aber verhält es sich mit der Zunge? Hört die Zunge mit? Dies herauszufinden, hatten sich im Aktionsraum des Hamburger Bahnhofs sechs Musiker, fünf Köche und jede Menge zahlende Testpersonen versammelt.Ein kulinarisches Festkonzert war angekündigt, bei dem sich akustische und geschmackliche Reize zu einer Komposition verschiedener Sinneseindrücke verbinden sollten. Als Macher hatten die "Freunde guter Musik" den New Yorker Performer Fast Forward eingeladen, der für Instrumentalisten wie Küchenprofis eine "präzise strukturierte" Partitur erarbeitete.Doch während das Auge dank aufwendig dekorierter Kreationen auf den Tellern jede Menge mitzuessen hatte, blieb die Zunge auf ihre Primärfunktion beschränkt: die Entschlüsselung der ostasiatischen, hessischen, italienischen Geschmackskompositionen.Denn die Musik blieb völlig geschmacksneutral - wenn sie überhaupt hörbar wurde: Kaum waren nämlich die ersten Leckereien serviert, wurden aus den Zuhörern schnell Weghörer, die vor allem mit dem Essen beschäftigt waren.Nicht anders als jene Herrschaften, die sich einst Tafelmusik leisten konnten.Fast Forward aber wollte ja mehr, wolle Synästhesie, wollte die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Empfindungen. Doch selbst dem, der sein Ohr und seine mithörbegierige Zunge konzentriert auf den Cellisten, den Geiger, die Gitarrenspielerin, den Plaxiglasröhren-Bläser, den Trompeter ausrichtete, gelang es nicht, zu erraten, in welchem inneren Zusammenhang nun kulinarische und musikalische Vorgänge standen.Jeder der Musiker improvisierte ohne erkennbaren Kontakt zu seinen Kollegen 90 Minuten vor sich hin, schickte seine strukturlosen Tonsplitter in den Saal, egal welches Gericht gerade serviert wurde.Die Köche dagegen hielten sich strikt an die Regeln der Wiener Klassik: Zutaten zusammenstellen (Exposition), bearbeiten (Durchführung) und so aus dem Gleichen etwas Neues erhalten (Reprise).Einzig der Perkussionist, der Spaghetti von Trommelfellen springen ließ und mit Backerbsen Theaterdonner machte, überwand immer wieder den Nebengeräuschpegel und zog damit die Aufmerksamkeit nicht nur der anwesenden Kinder auf sich.Da hatte das Ohr dann wenigstens etwas zu tun: zuschauen.

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