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Kultur: Zur Bedeutung der Naturwissenschaften: Bildungsdünkel

Was ist Bildung? Der Hamburger Anglist und Buchautor Dietrich Schwanitz hat diese Frage in seinem Bestseller gleichen Titels in einem sehr eingeschränkten Sinn beantwortet: Die Naturwissenschaften gehören für Schwanitz nicht zur Bildung, er würdigt sie in seinem mehrere hundert Seiten starken Buch fast keines Blickes.

Was ist Bildung? Der Hamburger Anglist und Buchautor Dietrich Schwanitz hat diese Frage in seinem Bestseller gleichen Titels in einem sehr eingeschränkten Sinn beantwortet: Die Naturwissenschaften gehören für Schwanitz nicht zur Bildung, er würdigt sie in seinem mehrere hundert Seiten starken Buch fast keines Blickes. Vermutlich dürfte er damit bei so manchem Bildungsbürger unter seinen Lesern auf Zustimmung stoßen.

Schwanitz hat ja in gewisser Weise Recht. Tatsächlich gehören Fächer wie Biologie, Chemie oder Physik nicht zum klassischen deutschen Bildungskanon. Die naturwissenschaftlichen Disziplinen haben sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwar rasant aus der zu jener Zeit noch vom Hegelschen Idealismus geprägten Tradition der deutschen Hochschulen befreit. An die Stelle metaphysischer Weltdeutung trat das Messen und Experimentieren und damit das Auffinden verborgener Naturgesetze. Diesen materialistischen Schock aber hat so mancher bis heute nicht verdaut. Noch immer gilt, Schwanitz beweist es, die Naturwissenschaft hier und da als unfein. Ressentiments sind geblieben.

Kritiker werden sich des Eindrucks nicht erwehren können, Schwanitz sei mit Ignoranz geschlagen. Wie wichtig es ist, gut informiert zu sein, zeigt die aktuelle Biotechnik-Diskussion. Auch wenn man das Thema Menschenklonen unappetitlich finden darf, mit dem in dieser Woche der italienische Frauenarzt Severino Antinori Furore machte. Er hat die Absicht, es zu tun.

Doch es geht nicht nur um Fragen des Missbrauchs, um ethische Grundsatzdiskussionen und um das Für und Wider neuer Technik. Die Bedeutung der Naturwissenschaften reicht weiter. Das beste Beispiel dafür ist das menschliche Genom, dessen Entzifferung kürzlich gelungen ist. Da liegt nun ein drei Milliarden Buchstaben umfassendes Monumentalwerk vor unser aller Augen ausgebreitet. Buchstabiert zwar, doch nicht wirklich verstanden. Gewiss, eine Aufgabe für die Biologie. Aber auch eine philosophische Herausforderung - gilt es doch, vom Genom aus unseren Platz in der Welt neu zu finden, in der Nähe zu Taufliege, Fadenwurm und Menschenaffen - aber auch in Abgrenzung zu ihnen.

Unser Erbgut könnte also der Ausgangspunkt für eine unvoreingenommene, die Fächergrenzen sprengende Diskussion sein. Das Wissen, das hier entsteht, ist genauso wert, anerkannt und verbreitet zu werden wie klassische Themen unserer Bildung, seien es nun die Geschichte Roms oder die Gedichte Eichendorffs.

Einige Manager des Wissenschaftsbetriebs haben das erkannt. Gleichzeitig dürstet es sie nach Anerkennung in der Öffentlichkeit. Allmählich nimmt die Wissenschaftsflotte Kurs auf das unbekannte Archipel namens Gesellschaft. Vor zwei Jahren haben deutsche Wissenschaftsorganisationen die Initiative "Wissenschaft im Dialog" ausgerufen. Um niemanden auszugrenzen, hat man nicht nur die Natur-, sondern auch die Kulturwissenschaften mit ins Boot genommen. Also die eigentliche Bildung, laut Schwanitz. Jetzt drängt es so manchen Forscher auf den Marktplatz. In Berlin hat man in dieser Woche das Programm des "Wissenschaftssommers" präsentiert.

Wie nicht anders zu erwarten, gab es bereits eine Menge Kritik an "Wissenschaft im Dialog". Die einen witterten Agitation und nackte Propaganda, die anderen forderten, die Wissenschaft zu demokratisieren - eine interessante Idee, aber sie hat nichts mit der Vermittlung von Wissenschaft zu tun. Von all dem Stimmengewirr sollte man sich nicht verdrießen lassen. Jeder macht Fehler, vor allem am Anfang. Man streitet sich, man sammelt Erfahrungen und bewegt sich am Ende doch weiter.

Das große Vorbild von "Wissenschaft im Dialog" ist Großbritannien. Dort ist die "Public Understanding of Science"-Bewegung entstanden. Überhaupt ist in den englischsprachigen Ländern eher der Typ des naturwissenschaftlich geprägten Intellektuellen heimisch, wie ihn die Evolutionstheoretiker Stephen Jay Gould (Harvard) und Richard Dawkins (Oxford) verkörpern - beide liegen übrigens seit langem in einem für das Publikum so unterhaltsamen wie lehrreichen Streit. "Public Understanding" ist in England so erfolgreich, dass man sich in den Augen mancher Kritiker seiner Sache schon zu sicher ist.

Das gilt nicht für Ian Wilmut, den Schöpfer des Klonschafs Dolly. Wilmut sprach am Donnerstag auf Einladung des Einstein-Forums in der Hörsaalruine des Berliner medizinhistorischen Museums an der Charité übers Klonen, das gute wie das schlechte, das erlaubte wie das verbotene. Er tat das präzise und bescheiden, vor einem zumeist jungen Publikum. Das war nicht der Herrscher im Reich der Klone, sondern ein nachdenklicher Mensch, den die Klon-Pläne des Außenseiters Antinori sehr beunruhigen. Man kann zu Wilmut stehen wie man will - hier ist der Dialog eröffnet, hier ist auch die Bildung nicht fern.

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