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Kultur: Zurück zu den Wurzeln

Bio-Theater: Kreuzbergs Prinzessinnengärten ziehen ins Hebbel am Ufer

Von Sandra Luzina

Robert Shaw sitzt im Café WAU vor seinem Laptop und gibt noch rasch eine Bestellung für Chicoree und Pilze auf. „Früher war ich Künstler, heute bin ich Bauer“, sagt er. Dabei ist der 33-Jährige, der Film studiert hat, kreativ geblieben. Gemeinsam mit dem Freund Marco Clausen hat er im Sommer 2009 die Prinzessinnengärten in Kreuzberg gegründet. Am Moritzplatz wird nun auf einer 6000 Quadratmeter großen gepachteten Fläche Biogemüse angebaut. „Urban Farming“ boomt derzeit in den USA – nun hat die Bewegung Deutschland erreicht. Die jüngere Generation entdeckt die Lust am Gärtnern und entwickelt im städtischen Kontext neue Anbauformen.

Die Prinzessinnengärten, die sich zugleich als Biotop und Soziotop verstehen, haben Modellcharakter. Soeben ist der Gemeinschaftsgarten mit dem Utopia Award ausgezeichnet worden – und auch auf der Expo in Schanghai konnte man sich im deutschen Pavillon über die Kreuzberger Oase informieren.

Das Medienecho ist jedenfalls gewaltig. Was aber wichtiger ist: Die Anwohner im Kiez, der zu den sozialen Brennpunkten zählt, haben das Projekt sofort angenommen. Und so buddeln und rupfen hier nicht nur Studenten, Agrarprofessoren und Gartenaktivisten. Zum Kern der passionierten Gärtner gehören auch türkische Frauen sowie eine ältere Russin. „Sie sind unsere Experten“, schwärmt Shaw, er selbst sei ja nur ein Dilettant.

Der Abschluss der Freiluftsaison wurde soeben mit Konzerten und selbst gebackenem Kuchen gefeiert. Viele Eltern sind an dem Sonntagnachmittag mit ihren Kinder erschienen – denen kann man ja nicht früh genug vermitteln, dass die Karotten nicht im Supermarkt wachsen. Für Robert Shaw bedeutet das Saisonende aber keineswegs, dass er die Hände in den Schoss legt. „Nomadisch Grün“ heißt die gemeinnützige GmbH – der Name ist durchaus Programm. In dieser Woche wandern die Prinzessinnengärten ins HAU 1 – und verwandeln das Theater in einen Gemüsegarten. Das Theaterkombinat ist ja als Treibhaus der Künste bekannt – nun aber gilt das Motto: Zurück zu den Wurzeln.

„Ich finde, wir sollten uns die Finger schmutzig machen und in der Erde wühlen“, sagt Stefanie Wenner, die Kuratorin des Festivals „Zellen. Life Science – Urban Farming“, das am 11. November beginnt. Wenner wurde durch einen Artikel in der „Spex“ auf die Prinzessinnengärten aufmerksam. Zwar ist das Musikmagazin nicht gerade als Zentralorgan der Gartenaktivisten bekannt, aber die Prinzessinnengärten sind mittlerweile Pop. Was das Kreuzberger Biotop mit dem Leitmotiv der Zellen verbindet? Die Prinzessinnengärten sind ein zellulares Gebilde und deswegen mobil. Das Besondere: Die Pflanzen werden in transportablen Behältern angebaut. 880 Kisten und 330 Säcke mit Kohl und Salat sowie Hunderte von Tetrapaks mit Minze und Chili ziehen nun um ins Hebbel-Theater. Der nomadische Garten sorgt für die nötige Erdung, denn unter dem Oberbegriff „Zellen“ werden auch hochabstrakte Themen verhandelt: Die Lebenswissenschaften, vor allem die Epigenetik, werden kritisch befragt. Dargelegt wird auch, warum die Zelle zum Modell für politische Organisationen wurde.

Das junge Gemüse, das Robert Shaw angepflanzt hat, ist Gegenstand eines Forschungsprojekts. „Wir machen Biopolitik am Modell der Pflanze“, begeistert sich Wenner. Die Temperatur im Theater muss gedrosselt werden, außerdem wird eine Lichtanlage installiert, damit die Pflanzen das nötige Tageslicht bekommen. „Wir stören das System Pflanze und schauen, was passiert“, sagt Wenner. Robert Shaw schaltet sich ein: „Wir wollen natürlich so wenig Störung wie möglich.“ Aber auch ihn reizt die Laborsituation.

Gärtner und Künstler werden sich gegenseitig befruchten. Fast alle Performances finden im Garten statt. Beim Konzert „Tribute to Prinzessinnengärten“ machen Masha Qrella und Angie Reed Musik, die Pflanzen und Menschen guttut. Man kann sich auch Vorträge über „Guerilla Gardening“ anhören oder bei der Gartenführung seltene Kulturpflänzchen bewundern. Vielleicht geht die Saat ja auf und es formiert sich eine neue Graswurzelbewegung. „Zellen sind Träger von Information“, betont Wenner. Und Robert Shaw droht schon mal an: „Mit jedem, der reinkommt, wird gegärtnert.“

„Zellen. Life Science – Urban Farming“:

11. bis 21. November im HAU 1. Bei den Gartenführungen und bei vielen Vorträgen ist der Eintritt frei. www.hebbel-am-ufer.de

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