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Sasha Waltz und ihre Tänzer treten 2017 zur Einweihung der Hamburger Elbphilharmonie auf. 

© Heimken/dpa

Zusammenspiel von Tanz und Theater: Der Ursprung des Tanztheaters

An diesem Mittwoch ist der Welttag des Tanzes. Das Tanztheater prägt die Szene – woher stammt es eigentlich?

Wer mit der Zeit geht, spricht heute nicht von Schauspiel, Oper oder Ballett, sondern von Sprechtheater, Musiktheater und eben auch Tanztheater. Was im Schauspiel eigentlich schon wieder eine historische Rückwendung bedeutet, geht es doch im Theater immer um das zur Schau gestellte Spielerische und inzwischen nicht mehr nur ums Sprechen und die Allgewalt der Worte, ihrer Bedeutungen und Betonungen.

Für Shakespeare war es selbstverständlich, seine Stücke nicht zu notieren, die Textformen entstanden später. In seinem Theater kam es auf die Verständlichkeit der Handlung durch das Spiel der Darsteller an, auf den Unterhaltungswert der Story und eben nicht auf einzelne Worte. 

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Shakespeare der am meisten choreografierte Dramatiker ist. Seine Handlungsführung stimmt: Personen, Motivationen, Konflikte und deren Lösungen werden tanzend ebenso glaubhaft verhandelt wie gesprochen oder gesungen.

Beim Musiktheater ist die Wortschöpfung – nach Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin – nachvollziehbarer. Ein realistisches Musiktheater sollte es sein. 

Tom Schilling, Pina Bausch, Kurt Jooss

Das Handeln der Personen sollte glaubhaft, folgerichtig und verständlich sein. Dass sie singen, wird durch ihren emotionalen Zustand legitimiert. Und dass man das, was sie singen, unbedingt auch verstehen muss, rundet diese Konzeption ab.

Wie und wann wurde nun der Tanztheater-Begriff in der Welt des Theaters geprägt? An der Komischen Oper 1965 mit dem Beginn der Arbeit von Tom Schilling und der Anlehnung an die künstlerischen Ideen des Intendanten Walter Felsenstein. 

Oder wenige Jahre später, 1973, mit der Übernahme der Ballettleitung durch Pina Bausch in Wuppertal. Aber zu diesen Zeiten war der Begriff bereits seit Jahrzehnten bekannt und mitunter auch in Gebrauch.

Jochen Schmidt, der Publizist zum Thema Tanztheater, vermerkt 1992 zur Begriffsbestimmung: „Vermutlich hat Kurt Jooss den Begriff Tanztheater zum ersten Mal benutzt.“ Er verweist dazu auf einen Text von ebenjenem aus dem Jahr 1935. 

Pina Bausch, die ehemalige Choreographin und Leiterin des Tanztheaters Wuppertal.
Pina Bausch, die ehemalige Choreographin und Leiterin des Tanztheaters Wuppertal.

© Franz-Peter Tschauner/dpa

Susanne Schlicher beschreibt 1987 in ihrem Buch „TanzTheater“ die Situation des modernen Tanzes zu Beginn seiner Entstehung und verweist auf die Tänzer-Kongresse in Deutschland: 1927 in Magdeburg, 1928 in Essen und 1930 in München. Und tatsächlich gibt es 1928 in Essen einen Hinweis auf Kurt Jooss und das Tanztheater. 

Er hält den Einführungsvortrag zur programmatischen Diskussion über „Tanztheater und Theatertanz“. Darin stellt er Tanztheater als einen übergeordneten Begriff für alle im theatralen Sinn zu begreifenden tänzerischen Darstellungsformen vor. Er zählt den absoluten handlungslosen Tanz auf und den Theatertanz als Dienstleister in Schauspiel und Oper. Diese beide könnten sich zum Tanzdrama verbinden.

Der Hintergrund für seine sprachliche Gegenüberstellung von Tanztheater und Theatertanz waren allerdings nicht künstlerische, sondern materielle Fragen. Bisher waren die modernen, oft freien Tänzerinnen und Tänzer Alleinunternehmer, die auf eigenes Risiko Vorstellungen gaben und von den Vorteilen des Theaterbetriebs ausgeschlossen waren. 

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Jooss denkt eher an ein organisatorisches Zusammengehen aller in einem „Deutschen Tanztheater“. Rudolf von Laban spricht zum Stichpunkt „Tanztheater“ und der Architekt Franz Löwitsch über „Das ideale Tanztheater“.

Ab dem 17. Juni 1927 kommt es in der Magdeburger Stadthalle zu drei Aufführungen, die ausdrücklich als „Tanztheater Laban“ bezeichnet werden. Es sind die Werke „Titan“, „Die Nacht“ ein „Ritter-Ballett“. In allen Werken sollen mehr als 60 Mitwirkende beschäftigt gewesen sein. 

Der „Titan“ sei ein chorisches Tanzwerk gewesen, das auf der neuen natürlichen Bewegungs-Rhythmik aufbaue, zu Musik von Beethoven und Wagner-Regeny. „Die Nacht“ soll von bizarrer Bewegungsart der Zeit gewesen sein, zu der Erich Itor Kahn die Musik schuf, und das letzte Werk sei wieder von Beethoven inspiriert gewesen.

Vermutlich ist ihm das Geniale der Bezeichnung „Tanztheater“ nicht sofort eingängig gewesen. Laban hatte für seine Werke bis dahin stets einen jeweils passenden Begriff gefunden. Dabei war er durchaus kreativ: Tanztragödie, Tanzdichtung, Tanzspiel, Tanzmythos, Tanzdemonstration, Tanzpantomime, Tanzmärchen – oftmals mit Attributen zur weiteren Charakterisierung versehen. 

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Aber auch Chorisches Fest, Tänzerische Raumdichtung oder einfach nur Choreografie waren möglich. 1923 gab es dabei einen historischen und sprachlichen Ausreißer in diesem verbalen Sammelsurium: Die Uraufführung des Stückes „Komödie“ im Marmorsaal Sagebiel Hamburg wird von der Konzertagentur Robert Sachs als „Tanztheater in vier Reigen“ beworben. 

Laban hat von dem Begriff „Tanztheater“, selbst nicht weiter Gebrauch gemacht, bis zur Deutschen Theater-Ausstellung im Jahr 1927 in Magdeburg.

Diese Leistungsschau des Theaters ist ein nationales Kunstereignis. Auch der Tanz soll gebührend vertreten sein. Insbesondere der moderne Tanz. Denn den kennt man bisher vorrangig als Kammertanz oder Podiumstanz, so wie sich auch die Ausführenden meist selbst eben als Kammertänzer oder Podiumstänzer bezeichnet haben. Die im Theater sind die anderen: die Ballett- oder eben Theatertänzerinnen.

Anlässlich dieser Theaterausstellung gibt es den 1. Tänzer-Kongress in Deutschland. Und hier geschieht das Erstaunliche: die Werke von Rudolf von Laban werden dem Anlass der Theater-Ausstellung angemessenen als Tanztheater, in der Bedeutung getanztes Theater, angekündigt. Die Theaterausstellung von 1927 ist die eigentliche Geburtsstunde des Begriffs „Tanztheater“ in Deutschland.

International anerkannte Gattung

Dieses historisch einmalige Zusammentreffen hat damals neue Perspektiven für das Zusammengehen von Tanz und Theater eröffnet. Ab diesem Zeitpunkt ziehen Begriff und Genre immer größere Kreise, bis sie zu einer international anerkannten eigenen theatralen Gattung und Bezeichnung wurden. 

Susanne Linke und Reinhild Hoffmann, Gerhard Bohner und Johann Kresnik mit seinem choreografischen Theater prägten neben Pina Bausch das Genre nachhaltig. Tom Schilling ging mit seinem Tanztheater einen eigenen erfolgreichen Weg.

Durch internationale Tourneen wurde die Idee des Tanztheaters vielerorts bekannt und hat sich stets gewandelt und erneuert. So bleibt es zeitgenössisch und inspirierend für all jene, die an großen Bühnen oder in der Off-Szene auf der Suche nach eigenen Formen und Inhalten im Tanz und Theater sind.

Der Autor ist Tanzhistoriker und Publizist und derzeit freigestellter Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin.

Ralf Stabel

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