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Plädoyer für das Verbindende. Eine undatierte Aufnahme von Thomas Mann. 1929 bekam er den Literaturnobelpreis.

© dpa

Zwei große Romane - eine Inspiration: Beethoven in der Literatur von Thomas Mann und Romain Rolland

Die Welt feiert 250 Jahre Beethoven. Der Komponist inspirierte schon im 20. Jahrhundert wichtige Romane wie „Doktor Faustus“ und „Jean Christophe“.

Wir feiern dieses Jahr den 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens, des großen „Schwellen-Komponisten“ zwischen Klassik und Moderne; gleichzeitig gedenken wir der Opfer des Zweiten Weltkriegs, ja, wir feiern die Befreiung Deutschlands von der wohlgemerkt selbst verschuldeten Nazi-Tyrannei.

Beethoven ist eine zentrale Figur sowohl in Romain Rollands mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Roman-fleuve „Jean-Christophe“ als auch in Thomas Manns berühmtem Spätwerk „Doktor Faustus“, das den Gang der deutschen Geschichte mit dem historischen Teufelsbund-Stoff parallel setzt. Beide Romane (ent)stehen jeweils im Zeichen großer Menschheitstragödien, im einen Fall des nahenden Ersten Weltkriegs, im anderen des endenden Zweiten.

Den Nobelpreis erhielt Rolland 1915, als der Erste Weltkrieg bereits tobte und die säbelklappernden Rivalen Frankreich und Deutschland, deren „Erbfeindschaft“ bis in die Nach-Reformationszeit zurückreichte, einander längst im Feld gegenüberstanden. Er war ein Ärgernis für beide Seiten.

Französische und deutsche Nationalisten schäumten vor Wut, und selbst Thomas Mann, dessen politische Weitsicht sich erst noch entwickeln sollte, echauffierte sich 1918 in den „Betrachtungen eines Unpolitischen“ über Rollands angeblich tendenziöse, sprich: einseitig profranzösische und antideutsche Haltung. Stefan Zweig dagegen erkannte in seinem langjährigen Briefpartner früh den humanistischen Idealisten und bewunderte den „Jean-Christophe“ als „eine Eroika der großen europäischen Gemeinsamkeit“.

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Tatsächlich ging Rolland in einer Serie von Artikeln mit beiden Lagern hart ins Gericht – und wurde zu einer Galionsfigur der transnationalen Antikriegsbewegung. Nach dem Krieg initiierte er mit Henri Barbusse, dem Verfasser des Prix-Goncourt-gekrönten Kriegstagebuchs „Das Feuer“, die linksintellektuelle und pazifistische Gruppe Clarté, rief die gleichnamige Zeitschrift ins Leben sowie das Blatt „Europe“, das sich, wie zuvor der Romanzyklus, der Völkerverständigung verschrieb.

„Deutschland und Frankreich – wir sind die beiden Flügel des Abendlandes. Wer den einen lähmt, hemmt den Flug des anderen“, lautet das vielleicht schönste, bis heute gültige Fazit des „Jean-Christophe“.

Aber worum geht es in dem zehnbändigen, von 1904 bis 1912 erschienenen und ausufernden Opus Magnum, das in deutscher Übersetzung derzeit leider nur antiquarisch erhältlich ist? Rolland – wie später auch Thomas Mann – erzählt, nachdem er mit „La vie de Beethoven“ bereits eine genuine Biografie des „Wiener Klassikers“ vorgelegt hatte, die fiktive Lebensgeschichte eines Komponisten in der Tradition des „deutschen“ Bildungsromans à la Goethes „Wilhelm Meister“.

Sein Titelheld – mit vollem deutschen Namen Johann Christof Krafft – , Spross einer flämischen Musikerfamilie, die sich in einer kleinen Residenzstadt am Rhein ansiedelte, Bonn!, trägt unverkennbar biografische und charakterliche Züge Beethovens (versehen mit einer Prise Wagner, Strauss und Hugo Wolf).

Revolution der Musik

Seinen „Beethoven redivivus“ versetzt Rolland aus dem „Geniezeitalter“ in die Gegenwart, in der der veritable Hitzkopf in ärmlichen Verhältnissen aufwächst und als Musiker zunächst mitnichten reüssiert. Das gelingt ihm erst, als er nach einer Verwicklung in eine Schlägerei mit Todesfolge über den Rhein nach Paris flieht.

Wie einst Beethoven revolutioniert der junge Krafft die Musik, nur eben in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Außerdem schafft er eine Art künstlerischer Synthese „deutscher Kraft“ und „französischen Esprits“, die mit einer deutsch-französischen Freundschaft korreliert, derjenigen mit dem Dichter Olivier, der für den Helden (wie für Rolland) das „bessere Frankreich“ verkörpert.

Dieses ist eines der Tiefe und Ernsthaftigkeit, das im Kontrast steht zum oberflächlichen Hedonismus, dem der junge Tonsetzer nicht zuletzt in der Kulturszene der Metropole begegnet. In nationalistisch gestimmten Zeiten konnte der im Fall Rollands von Tolstoi herrührende, aber natürlich mit den Weltbürger-Idealen Schillers und Beethovens übereinstimmende Gedanke der Brüderlichkeit und auch des europäischen Universalismus kaum fruchten.

Auch Thomas Mann schreibt mit seinem „Doktor Faustus“ eine fiktive Komponisten-Biografie. Sein Anti-Held Adrian Leverkühn trägt signifikanterweise Züge Friedrich Nietzsches, geht einen Pakt mit dem Teufel ein und erfindet die Zwölftonmusik – wodurch sich Mann bekanntlich Ärger mit ihrem wahren Schöpfer Arnold Schönberg einhandelte.

Der 1947 erschienene Gesellschafts- und Epochenroman bildet ein Pendant und Gegenstück zum „Jean-Christophe“, zumal in Hinblick auf Beethoven. Für Rolland ist dieser „die Verkörperung des Heldentums in der ganzen modernen Kunst“. Dieser Idealismus spiegelt sich in seinem Protagonisten wie in seinem gesamten humanistischen Epos.

Auch für den Humanisten Mann ist die Größe und Bedeutung Beethovens unbestritten – eine Schlüsselszene ist seiner letzten Klaviersonate gewidmet, die für den Exilanten in Pacific Palisades eine Vollendung und Überwindung des bürgerlichen Humanismus darstellt, mithin einen Bruch.

Leverkühns Klavierlehrer Wendell Kretzschmar, Dom-Organist in der fiktiven Kleinstadt Kaisersaschern, geht darin der Frage nach, warum Beethoven in seinem legendären Opus 111 auf einen dritten Satz verzichtet. Er sinniert über Künstlerproblematiken wie die des individuellen Ausdrucks, des Verhältnisses zur Überlieferung und des Umgangs mit der Erfahrung von Tod und Endlichkeit.

Plädoyers für das Verbindende unter den Völkern

Pate nicht nur für diese Szene steht Theodor W. Adorno und dessen Aufsatz „Beethovens Spätstil“. Auch mit seiner „Philosophie der Neuen Musik“ gab Adorno maßgebliche Impulse für die Konzeption der Leverkühn'schen Kompositionsweise, die in der Kantate „Fausti Weheklag“, der Summe seines Schaffens, gipfelt.

Dieses „Lied an die Trauer“ stellt die Rücknahme der Neunten Sinfonie Beethovens dar, insbesondere des Schlusssatzes mit der Vertonung der Schiller’schen Ode „An die Freude“, des „alle Menschen werden Brüder“ und damit des „Menschlichen“ an sich: „Es soll nicht sein.“

Hintergrund sind freilich der „Hitlerismus“, vor dem Mann früh gewarnt hatte, der Zweite Weltkrieg sowie der Holocaust als größtes aller Menschheitsverbrechen. Mann richtet sich keinesfalls gegen Beethoven (oder Schiller), sondern verurteilt – wie es der Germanist Dieter Borchmeyer in seiner Bestandsaufnahme „Was ist deutsch?“ beschreibt – eine Welt, die die in dem Freudengesang gefeierten Werte verraten und geschändet habe.

Thomas Manns und Rollands Werke sind Plädoyers für das Verbindende unter den Völkern. Sie haben größte Relevanz in einer Zeit, in der der Nationalchauvinismus wieder aufflammt. Auch sie sind und bleiben Mahnmale.

Tobias Schwartz

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