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Kultur: Zwei Männer und ein Thunderbird

Wie der Videokünstler und Wahlberliner David Claerbout die Zeit überholt, ohne sie einzuholen

Zwei Männer in einem Ford Thunderbird. Die Kamera ist von hinten auf sie gerichtet. Mit stoischer Ruhe und doch irritierend gebannt starren die beiden nach links, während der Regen aufs Autodach prasselt und die Scheiben beschlagen. Während der eine die behandschuhten Hände aufs Steuerrad gelegt hat, dann und wann die Scheibenwischer betätigt, dreht der andere seinen Glatzkopf im Mantelkragen des Trenchcoats mit der Behäbigkeit einer Schildkröte hin und her. Die Szene könnte einem Thriller entnommen sein. Bis hin zu den chromblitzenden Armaturen des Fünfzigerjahre-Schlittens kopiert sie perfekt die Ästhetik des Film Noir. Wäre da nicht – ausgerechnet – der Faktor Zeit.

Der belgische Videokünstler David Claerbout lässt in „American Car“ (2002- 2004) seine beiden Protagonisten, denen man quasi vom Rücksitz aus über die Schulter schaut, stundenlang in derselben Haltung ausharren. Und mit ihm den Betrachter, wenn er es denn erträgt. Denn die Spannung schlägt schon nach kurzer Zeit in Gleichmut um. Obwohl das ganze Setting auf jenen Moment zuläuft, an dem endlich etwas passiert und die beiden Männer aussteigen dürfen oder weiterfahren können, erwarten wir nichts mehr. Wir lassen den Regen prasseln, die Minuten verrinnen, und wir betreten gleichzeitig einen anderen Horizont, indem wir uns Gedanken machen – über das Dasein an sich.

Dass es für diesen Plot nie eine Lösung geben wird, weiß man nur, wenn man bis zum Ende ausharrt. Allerdings stößt man im benachbarten Raum erneut auf eine Videoprojektion. Wieder steht der Ford Thunderbird im Mittelpunkt, wie eine Fata Morgana erscheint er uns diesmal in der Ferne einer Heidelandschaft, kurz nach dem Gewitter. Noch platschen Tropfen in die Pfützen, letzte dunkle Wolken verziehen sich, die ersten Vögel zwitschern schon wieder. Und man blickt auf den Wagen von genau jener imaginären Stelle, die die Detektive anvisiert haben. Man ist selbst der Beobachter, der die Beobachter beobachtet. Der Perspektivwechsel: ein philosophisches Kammerspiel über Zeit und Raum.

Diese beiden Faktoren sind die eigentlichen Hauptdarsteller in den Videos, Filmen und Fotoprojekten des 1969 geborenen Belgiers, der seit seinem daad-Stipendium vor zwei Jahren einen Zweitwohnsitz in Berlin behalten hat. 2001 gehörte Claerbout zu den Teilnehmern der zweiten Berlin-Biennale, 2003 war er an der Videoausstellung „lautloses irren, ways of worldmaking, too …“ im alten Postbahnhof beteiligt. Seine jetzige Werkschau in der Akademie der Künste, die vom Lenbachhaus in München übernommen wurde und weitergeht an das Van Abbemuseum in Eindhoven sowie das Dundee Contemporary Arts, erschließt ihm endlich einen größeren öffentlichen Rahmen. Mit derselben Langsamkeit und Beharrlichkeit, mit der er seine künstlerischen Arbeiten inszeniert, ist er im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit angelangt und wird international hofiert, ja zur Kritikerentdeckung des Jahres 2004 gekürt.

Diese neue Liebe hat ihren Grund: Claerbout gibt der Medienkunst zurück, was die Malerei verloren zu haben scheint: elegische Breite fern jeglicher Schnipselästhetik. An seine Videoprojektion tritt man heran wie an ein Gemälde, studiert die Details, würdigt die Komposition. Diese paradoxe Rezeption geschieht durch die extreme Verlangsamung, mit der Claerbout seine visuellen Entwürfe einfriert. Der frühere Maler stellt die Frage nach der Aussagekraft eines Bildes neu. Nachdem die Manipulierbarkeit von Film und Fotografie längst ein Allgemeinplatz geworden ist, schafft er mit genau diesen Mitteln eine neue Authentizität, ja Aura des medialen Produkts. Für „The Stack“ (2002) fotografierte er mit einer Digitalkamera hundertfach ein trostloses Autobahnkreuz im Gegenlicht. In seiner Projektion lässt er unmerklich eine Aufnahme in die andere fließen, bis dass für den Bruchteil einer Sekunde der Sonnenstrahl auf einen darunter lagernden Obdachlosen fällt. Nur wer Glück hat, erwischt genau diesen Moment in der 36-minütigen Animation. Notwendig ist es nicht, um die hier kunstvoll inszenierte Begegnung von Schönheit und Tristesse, Natur und Zivilisation zu begreifen.

Mit der gnadenlosen Lust des erklärten Ästheten kostet Claerbout das Drama des modernen Menschen auch in seinem jüngsten Werk aus: 13 Stunden dauert „The Bordeaux Piece“, bei dem er seinen Protagonisten immer wieder neu diese kleine, hässliche Szene vom Betrug vor großartiger Kulisse spielen lässt. Eine junge Frau hintergeht ihren Freund mit dessen Vater und muss mit ihm ausgerechnet telefonieren, während er auf die Villa zukommt, in der dies geschieht. Der ultracoole Drehort für dieses Melodram ist die von Rem Kohlhaas erbaute Villa für den kürzlich verstorbenen Verleger der Zeitung „Sud Ouest“. Immer wieder aufs Neue wiederholen sich die grotesken Dialoge („Hast Du darüber nachgedacht?“, „Worüber?“, „Meinen neuen Haarschnitt.“), während sich das südliche Licht langsam über dem edlen Betongemäuer hoch über dem Gironde-Tal senkt.

In Claerbouts Videos und animierten Fotoprojektionen kann keiner gewinnen: kein Detektiv sein Verfolgungsobjekt erhaschen, kein Liebender ein happy end erhoffen. Dem Betrachter aber eröffnet sich die Schönheit im Scheinbaren.

Akademie der Künste (Hanseatenweg 10), bis 20. März. Katalog 34 Euro.

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