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Kultur: „Zwei Schritte vor, ein Riesenschritt zurück“

20 Füllfederhalter hat Barack Obama benutzt, als er am Dienstag das Gesetz zur Gesundheitsreform unterzeichnete. 20 Füller, um sie als Dankesgeschenke an seine zahlreichen Unterstützer verteilen zu können.

20 Füllfederhalter hat Barack Obama benutzt, als er am Dienstag das Gesetz zur Gesundheitsreform unterzeichnete. 20 Füller, um sie als Dankesgeschenke an seine zahlreichen Unterstützer verteilen zu können. Die Demokraten sind glücklich, die „New York Times“ artikuliert Seufzer der Erleichterung, nennt das Gesetz einen überfälligen, energischen Schritt in Richtung soziales Sicherheitsnetz. Selbst ultraliberale Blogger begrüßen Obamas Kraftakt als Wendepunkt. Ein Anfang sei gemacht, das betont auch das Magazin „The Nation“. Der Kampf gehe weiter, die Schwächen des Gesetzes müssten umgehend korrigiert werden.

Während Konservative ihrem Hass auf den Reformer Obama Luft machen, äußert sich Michael Moore als kritischster Kritiker von liberaler Seite auf bewährt fröhliche Weise. Der Politaktivist hatte 2007 in seinem Dokumentarfilm „Sicko“ das alte Gesundheitssystem mit 50 Millionen Bürgern ohne Krankenversicherung, nicht versorgten Schwerstkranken und profitorientierten Arzneimittelkonzernen angeprangert und die Reform tatkräftig unterstützt. Nun sagte Moore im Fernsehen, das Gesetz bedeute zwei Schritte vor und einen Riesenschritt zurück, weil „unser Gesundheitssystem in den Händen privater, nach kapitalistischen Regeln funktionierenden Unternehmen bleibt, die zwischen uns und den Ärzten stehen“.

Es sei ein Unding, meinte er in der „Larry King“-Show, dass nach wie vor aus der Krankheit von Menschen Profit geschlagen werde und künftig zwar 32 Millionen Amerikaner zusätzlich versichert seien, aber rund 15 Millionen immer noch keinen Zugang zu Versicherungen hätten. Tausende würden weiterhin jährlich sterben, mangels medizinischer Versorgung. „Als wir die Sklaverei abschafften, sagten wir ja auch nicht, okay, 32 Millionen werden befreit, aber 15 Millionen bleiben weiter in Ketten.“ Die Versicherungen hätten mit dem Gesetz im Übrigen keine Probleme, denn es beschert ihnen neue Kunden – und damit Millionenzuwächse.

Dennoch erkennt Moore die Verdienste des Gesetzes an und bedankte sich bei seinem Abgeordneten Bart Stupak, den er gemeinsam mit seinen Nachbarn in Michigan tagelang mit Mails bombardiert hatte, damit er für das Gesetz stimmt. „In sechs Monaten können die Versicherungen Kinder mit angeborenen Krankheiten nicht mehr ablehnen“, sagte er im TV-Gespräch – und appellierte an die Versicherungen, doch gleich morgen damit anzufangen.

Auf www.michaelmoore.com schreibt er an seine republikanischen Mitbürger: „Dank dieser Abstimmung wird Ihr 23-Jähriger, der von einem Betrunkenen angefahren wird und ein halbes Jahr im Krankenhaus bleiben muss, nicht ruiniert, denn er ist weiter über Sie versichert. Dank dieser Abstimmung wird Ihre Versicherung sich strafbar machen, wenn Sie zum dritten Mal an Krebs erkranken und sie auch nur daran denkt, die 200 000 Dollar für Ihr Weiterleben nicht zahlen zu wollen.“ Im Fernsehen auf die Kosten für die Reform angesprochen, empfahl der Filmemacher mehr Geld für Vorsorge und Prophylaxe. In anderen Ländern senkt das die Gesundheitskosten erheblich.

Laut Umfragen sind 59 Prozent der Amerikaner gegen das neue Gesetz, etlichen ist es zu radikal. Aber 13 Prozent, so rechnet Moore vor, sind dagegen, weil es ihnen nicht radikal genug ist. Er schließt daraus, dass die Mehrheit zumindest die Richtung befürwortet, in die Obamas Politik steuert.

Den Reformkurs fortsetzen, bei aller Sorge um eine Spaltung der Nation: Die Journalistikprofessorin und Schriftstellerin Claudia Ricci macht sich in der Onlinezeitung „Huffington Post“ Gedanken darüber, dass der Streit um die Gesundheitsreform in eine aggressive Linksrechts-Debatte ausgeartet ist. Von der Einlösung seines Versprechens, den ideologischen Graben zu überbrücken, sei Obama weit entfernt. „So, und jetzt beginnt der Kampf um die Finanzreform“, schreibt der nobelpreisgekrönte Ökonom Paul Krugman lapidar im Blog für die „New York Times“. Christiane Peitz

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