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Zwei Welten: Museum für Asiatische Kunst würdigt Sinologen

Otto Franke war ein bedeutender Sinologe des 20. Jahrhunderts. Reisen war seine Leidenschaft. Die erlesene "Kulturbilder"-Schau beweist, dass dem Wissenschaftler nichts so fremd war wie die kolonialistische Perspektive.

Vorsicht, Mützenräuber! Auf einer Tuschezeichnung aus dem Peking des späten 19. Jahrhunderts rennt ein Dieb mit der erbeuteten Kappe davon – zu flink für das verdutzte Opfer. Neunzehn weitere Zeichnungen zeigen mildtätige Chinesen, die an notleidende Familien Särge verschenken oder Straßenspiele, die chinesische Kinder heute noch lieben. „Kulturbilder“ nannte Otto Franke (1863 bis 1946) diese historischen Blätter. Vor dem Siegeszug der Fotografie wurden solche „Ansichtskarten“ in hoher Auflage angefertigt. Franke sammelte sie und übersetzte die dazugehörigen Texte, weil die Arbeiten seiner Ansicht nach „auf leichte und einfache Art Einblick in die chinesische Kulturwelt“ vermittelten.

„Otto Franke gehört zu den Giganten der Wissenschaft, wie wir sie kaum noch kennen“, so Klaas Ruitenbeek, der neue Direktor des Museums für Asiatische Kunst. Im Zentrum der Ausstellung „Kulturbilder aus China – 100 Jahre deutsche Sinologie“ steht denn auch Franke, der ab 1909 den ersten deutschen Lehrstuhl für „Sprachen und Geschichte Ostasiens“ innehatte – am Hamburger „Kolonialinstitut“, einer Ausbildungsstätte für Kolonialbeamte, die nach dem Willen Kaiser Wilhelms II. ursprünglich in Berlin angesiedelt werden sollte. Die Hanseaten setzten sich durch.

Die erlesene „Kulturbilder“-Schau beweist, dass dem Wissenschaftler nichts so fremd war wie die kolonialistische Perspektive. „Otto Franke hat eine Gleichheit zwischen den Völkern konstatiert und deutlich gemacht, dass Chinas Geschichte Teil der Entwicklungsgeschichte der Welt ist“, erklärt seine Enkelin Renata Fu-sheng Franke, Co-Kuratorin der Ausstellung. Im ersten Ausstellungsteil wird der Lebensweg des Nestors der deutschen Sinologie nachgezeichnet. Mehrere Orden, mit denen Franke von chinesischer Seite ausgezeichnet wurde, schmücken eine Vitrinenwand. Eine in Leder gebundene Ausgabe der fünfbändigen „Geschichte des chinesischen Reiches“, die Franke nicht vollenden konnte, die aber selbst als Torso in Deutschland als Standardwerk gilt, fehlt ebenso wenig wie die Autobiografie „Erinnerungen aus zwei Welten“. Renata Franke berichtet, wie der Verlag de Gruyter den 1954 posthum veröffentlichten Band mit einem „knallgelbgesichtigen“ Karikatur-Chinesen auf dem Umschlag verunzierte. „Inhalt und Tenor des Buches“, sagt die Enkelin, „vermitteln genau das Gegenteil von einer dämonisierenden Beschwörung Chinas als die ,gelbe Gefahr’“.

1863 in Gernrode im Harz geboren, war Franke nach seinem Indologiestudium zwischen 1888 und 1901 als Dolmetscher in Peking, Tianjin, Schanghai und Amoy tätig – prägende Jahre für sein unstillbares Interesse an China und seiner Kultur. Nach seiner Zeit beim auswärtigen Dienst arbeitete Franke sechs Jahre lang als Legationssekretär an der chinesischen Gesandtschaft in Berlin. Für das dortige Völkerkundemuseum erwarb er auf einer Chinareise eine 396-teilige Sammlung holzgeschnitzter Götterfiguren. Kriegsbedingt sind wenige davon in Berlin verblieben. Das Museum zeigt den etwa 30 Zentimeter hohen und dennoch Respekt einflößenden Donnergott Dong Quan. Mit sechzig wurde Franke an die Berliner Universität berufen und zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt. „Dort kam seine interkulturelle Vermittlungstätigkeit zwischen der geistigen Welt Chinas und der Geistestradition Deutschlands noch einmal voll zum Zuge“, sagt Renate Franke. Nach 1933 vertiefte er sich mehr und mehr in seine Geschichtswerke.

Er war kein „Buchgelehrter“ jenes Typs, der im 19. Jahrhundert noch vorherrschte. Reisen war Frankes Leidenschaft. Seine Fotoalben und Reisetagebücher bilden den Mittelteil der Ausstellung. „Ich habe trotz mancher Belästigungen und auch Unfreundlichkeiten in den Städten die Reisen (...) unendlich genossen und namentlich die ländliche Bevölkerung schätzen und lieben gelernt“, schreibt Otto Franke in den „Zwei Welten“. Ein anderes Buch, „Ackerbau und Seidengewinnung in China“ (1913), das auf einem chinesischen „Kaiserlichen Lehr- und Mahnbuch“ beruht und ebenfalls präsentiert wird, zeugt von dieser Zuneigung zum chinesischen Volk genauso wie Frankes „Kulturbilder“-Sammlung. Gut möglich, dass er sogar für Mützenräuber Sympathien übrig hatte.

Museum für Asiatische Kunst, Lansstr. 8, bis 5. 4.; Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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