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Kultur: Zweitaktmotor der Poesie

Die Brüder Markovic aus Serbien spielen Theater mit den Vorurteilen gegenüber Roma

In der Boddinstraße Nummer fünf in Neukölln ist wieder einmal die intergalaktische Funkuhr ausgefallen. Slavisa Markovic klopft zärtlich auf das störrische Metallding in seinen Händen, schüttelt das Gehäuse mit der altertümlichen Weltkarte energisch – und schon drehen sich das richtige Datum und der richtige Wochentag in die kleinen Sichtfenster. Markovic stellt die Uhr zufrieden zurück auf die Bartheke.

Es ist eine Szene von wenigen Sekunden, während Markovics Bruder Nebojsa und Barmann René Krüger das Café auf Vordermann bringen, bevor die ersten Gäste kommen. Aber sie ist bezeichnend für die Geschichte von Slavisa und Nebojsa Markovic, zwei Roma, die aus Serbien flüchten mussten und in Berlin das Rroma Aether Klub Theater gründeten, eine Bühne mit Cafébetrieb. Natürlich besitzt die Uhr keine kosmischen Kräfte, sie ist nichts als ein nostalgischer mechanischer Kalender. Sie ist Teil einer Welt, die ihren eigenen ruhigen Rhythmus hat und gleichsam verzaubert scheint.

Auftritt der beiden Brüder an einem der Abende, an denen sie die selbstgezimmerten Tische zur Seite räumen, Stühle in Reihen stellen und Barmann Krüger nicht die Gäste, sondern die Scheinwerfer bedient: Ihre Bühne ist ihr Café. Sie spielen zwei Clowns, die sich von einer misslungenen Slapstickeinlage zur nächsten hangeln müssen. Der Zirkusdirektor kommandiert sie über einen Lautsprecher herum, ein Gläubiger droht ihnen Prügel an. Der Raum ist gut gefüllt, einige Freunde und Bekannte sind gekommen, aber auch Studenten und ältere Damen. Es ist ein tragikomischer Abend, eine charmante Mischung aus Pantomime, absurdem und politischem Theater. Es gibt keine zusammenhängende Handlung, dafür etliche Querverweise zu ihrem eigenen Schicksal.

Das Stück haben die Brüder selbst geschrieben und schlicht „Zirkus“ genannt. Zirkus könnte aber auch für Deutschland stehen oder überhaupt für alle Orte, an denen sich die Markovics wie Außenseiter fühlen. Die beiden Brüder sind in der Nähe der südserbischen Großstadt Niš aufgewachsen. Slavisa, 37 Jahre alt, hat schon in der Grundschule Theater gespielt, später Schauspiel studiert. Die Rollen halfen ihm, der Stigmatisierung als Roma zu entkommen. Als er 1998 in Berlin eintraf und wenig später sein jüngerer Bruder Nebojsa, 29, zu ihm stieß, brachten ihn ausgerechnet Sozialprojekte für Roma und Sinti wieder zum Spielen. Plötzlich machte er Theater über seine eigene Kultur – und ist bis heute dabei geblieben.

Wer glaubt, etwas über kulturelle Eigenheiten der Roma zu erfahren, liegt jedoch falsch. Die Markovics machen kein folkloristisches Ethnotheater. In den kleinen Episoden spiegelt sich eher eine philosophische Sicht auf die Dinge wider. So hat der eine Clown plötzlich keine Lust mehr auf seinen Job. Er möchte lieber ein Café aufmachen. „Aber Cafés gibt es doch an jeder Ecke“, ruft der andere. Antwort: „Meines würde ja nicht an einer Ecke sein, sondern in der Mitte.“

Auch das Rroma Aether Klub Theater ist in der Mitte. Zwischen einem marokkanischen Teehaus und einer trendy Galerie. Den Dialog zwischen Roma und Nicht-Roma fördern, so wie es sich die beiden auf ihre Fahne geschrieben haben, das klappt schon bei dem ein oder anderen Gläschen Pflaumenschnaps im Café. Aber lieber helfen sie mit der poetischen Kraft des Theaters nach. Als einer der Clowns lieber auf die Seite des Publikums wechseln will, gibt der andere zu bedenken, dass er keine Eintrittskarte besitzt. Was macht man aber mit Zuschauern ohne Tickets? „Abschiebung!“

Slavisa und Nebojsa Markovic haben beide nur befristetes Aufenthaltsrecht in Deutschland. Einen Tag nach der Aufführung stehen die Brüder wieder hinter der Theke. Der Ältere fragt, was man trinken möchte, und der Jüngere bereitet das Getränk zu. Er hat einfach mehr Ahnung von Latte Macchiato und solchen Dingen. „Wir sind ein Zweitaktmotor“, sagt Nebojsa, obwohl sich ihr Theaterclub seit der Eröffnung vor drei Jahren zu einer Institution entwickelt hat. Inzwischen gibt es sogar einen Förderverein.

Eines Tages sei ein aufbrausender Typ ins Café gekommen, erzählt Nebojsa. Der Mann habe sich umgeblickt und gefragt: Was soll das hier sein? Ein Kulturverein? Ein Theater? Wo ist denn dann die Bühne? Darauf habe er, Nebojsa, ruhig geantwortet: Na, alles ist hier Bühne.

Wie recht er hat. Ihre Kostüme haben die Brüder zwar ausgezogen, aber irgendwie ist auch dieser Abend Theater. Weil sie ihre poetische Sicht auf die Welt nicht ablegen. Mit Argwohn gegenüber einer fremden Kultur wissen sie umzugehen.

Eigentlich ist es ist ihnen ganz recht, wenn jemand voller Vorurteile den Weg in die Boddinstraße findet. Für solche Leute bieten die Markovics das komplette Klischee-Paket: Porträts glutäugiger Frauen hängen an den Wänden, manchmal entstehen Live-Musik-Sessions auf kreischenden Instrumenten. „Und dann erzählt der Gitarrist, dass er Tiefbauingenieur ist und morgens ganz früh aufstehen muss“, sagt Slavisa.

Wenn er seine Mutter fragt, was sie vom Projekt ihrer Söhne halte, dann antwortet sie: „Ihr habt zu viele Ideen und zu wenig Geld.“ Das liegt auch daran, dass die Brüder inzwischen nur noch donnerstags und freitags Kneipenbetrieb haben. Finanziell sei das natürlich keine gute Entscheidung gewesen, sagen die beiden, aber eine, die sein musste. Für das, was ihnen am wichtigsten ist: das Theater. Endlich haben sie genügend Zeit, nachzudenken, Stücke zu schreiben, zu proben. Und zu vergessen, wie ringsum die Zeit verstreicht.

Nächste Aufführung 28. Februar, 20.30 Uhr. Karten unter tickets@rromaakt.de

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