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Kultur: Zweite Hand

Das Internet verändert das Geschäft mit Konzertkarten – auf Kosten der Fans

„Was? Du hast 60 Euro für Depeche Mode bezahlt?“ Diese Frage werden Enkel dem Depeche Mode-Fan später nicht stellen. Sie werden fragen: „Was? Dir waren 60 Euro zu viel?“ Das Spektakel auf der Bühne, die Lichtshow, das Bad in der Menge, die Gesänge, das völlige Aufgehen im Moment, entfesseltes Brüllen und demütiges Staunen – ein gelungenes Live- Konzert lässt sich schwer mit Geld aufwiegen. Depeche-Mode-Fans legten dafür vergangenen Winter bis zu 200 Euro hin – und wurden teils böse überrascht. Ein Betrüger hatte 3400 gefälschte Tickets für die Tourneen von Depeche Mode und Bon Jovi bei der Internet-Auktionsplattform Ebay anbieten lassen. Die betrogenen Käufer wurden vor den Hallen abgefangen und in bereitgestellte Zelte der Polizei geschickt, um dort ihre Anzeigen aufzunehmen. Das Konzert war gelaufen.

Für die Konzertbranche war der 180 000 Euro schwere Skandal ein Warnschuss. Er machte einmal mehr deutlich, wie sehr das Internet die Musikwelt verändert. Die Tonträgerindustrie verzeichnet seit Jahren Verluste, allein 2005 zehn Prozent, was sie dem freien Austausch von Raubkopien im Netz zuschreibt. Die Live-Branche ist von diesem Trend bislang verschont geblieben. Das Publikum kauft zwar weniger CDs, investiert aber umso stärker ins direkte Musikerlebnis. Auch mit dem Internet hatten Konzertveranstalter und Ticketfirmen bisher kein Problem – im Gegenteil. Der Verkauf über Online-Ticketing-Portale ermöglicht es, siebenmal mehr Gewinn einzustreichen als über die Konzertkasse. Doch lässt sich schwer verhindern, dass auch andere das Internet nutzen, um mitzuverdienen. Es müssen nicht immer Betrüger sein.

Noch nie besuchten so viele Menschen Großkonzerte wie heute, obwohl die Preise steigen. Im hart umkämpften Veranstaltungsmarkt profitiert der Kunde – doch ist der Kunde hier der Künstler, dessen Gagenforderung sich im Ticketpreis niederschlägt. Die teuersten Plätze gehen in der Regel als erste weg. Robbie Williams verkaufte im letzten Herbst 1,6 Millionen Tickets an einem Tag. Die im August anstehende Madonna-Tour mit Preisen bis zu 200 Euro war nach drei Stunden ausverkauft – zumindest offiziell. Wer bereit war, 50 Euro mehr zu zahlen, konnte sich anschließend über Ebay versorgen. „Schwarzhändler“ hatten sich Kontingente gesichert, die sie nun meistbietend versteigerten. Die Käufer wurden doppelt enttäuscht: Inzwischen sind weitere Tickets zum offiziellen Preis erhältlich.

Das Geschäft mit den Popstars kocht und stößt Dampf aus. Wobei sich bei Ebay ein grauer Handel etabliert, der schwer zu kontrollieren ist. Auch für Marek Lieberberg, der sich in den letzten dreißig Jahren zum Marktführer der Konzertbranche aufgeschwungen hat. „Gefragte Künstler können oft der Nachfrage nicht gerecht werden“, erklärt Lieberberg den informellen Tickethandel. „Unter diesen Umständen bildet sich automatisch ein zweiter Markt. Und dieser Sekundärmarkt wächst. Das Ticketing-Unternehmen CTS Eventim schätzt ihn auf eine Million Wiederverkäufe pro Jahr. „Der Weiterverkauf von Tickets hat in großem Maße zugenommen“, sagt Ronny Jahn von der Verbraucherzentrale Berlin. „Das Internet macht es einfach.“ Ebay-Sprecherin Meike Fuest wehrt sich gegen die Bezeichnung „Schwarzmarkt“: „Es ist nicht verboten, Tickets weiterzuverkaufen.“ Der Tickethandel sei „eine beliebte Kategorie“. So beliebt, dass das Unternehmen sogar damit wirbt: „Ausverkauft? Hier nicht“, animierte letzte Woche ein Spruch auf der Startseite zur Suche nach Tickets für die aktuelle Depeche-Mode-Tour. 70 Angebote fanden sich am Sonntag für das heutige Konzert in der Waldbühne.

Viele Verkäufer haben ihren Handel sogar als Gewerbe angemeldet und verkaufen mehr als 40 Tickets auf einmal. Ihre Profile weisen meist ausschließlich positive Bewertungen auf, aus denen Dankbarkeit spricht: „Der Deal lief reibunglos“, schreibt ein Käufer, ein anderer: „Du warst der Held mit den Tickets und bist das immer noch!“ Das Glücksgefühl, doch noch eine Konzertkarte ergattert zu haben, scheint den Fans den Blick dafür zu trüben, dass ihnen in klassischer Kapitalistentugend verkauft worden ist, was ihnen zuvor weggeschnappt wurde.

Denn der Weiterverkauf schädigt nicht die Veranstalter. Die haben vielmehr den Vorteil, mit schnell ausverkauften Tourneen um die Zugpferde des Business werben zu können. Für den Konzertbesucher wird dagegen der Ticketkauf zum Abenteuer. Wer sich nicht schnell genug über den offiziellen Weg versorgt, muss nicht nur mehr bezahlen. Er bekommt eine Karte, von der er erst am Abend des Konzerts ganz sicher sein kann, dass sie echt ist. Fällt das Konzert aus, bleiben ihm Rückgaberechte verwehrt. Vorverkaufsfristen von bis zu einem Jahr ergeben, dass noch mehr Karten in den grauen Markt fließen. Lebenspläne ändern sich. Dagegen hat Marek Lieberberg nichts: „Der Private muss das Recht haben, seine Karte zu veräußern.“ Er kann sich erinnern, wie hart es ist, bei einem Konzert außen vor zu bleiben: „Für mich waren früher die Beatles das Größte. Ich habe keine Karten bekommen.“ Solche Probleme dürften sich ihm nicht mehr stellen.

Der deutsche Kartenmogul allerdings heißt Klaus-Peter Schulenberg. Seine Firma CTS Eventim versorgt nicht nur die meisten Vorverkaufsstellen und Ticketing-Portale, sondern hält auch Mehrheiten an den großen Veranstaltern, darunter Semmel Concerts, Peter Rieger – und Marek Lieberberg. Schulenberg schätzt, dass in drei Jahren die Hälfte der Tickets online vertrieben wird. CTS Eventim hatte auch das Monopol auf den Verkauf von WM-Tickets. Mit ihrer Tauschbörse stieg die Firma selbst auf den Wiederverkaufsmarkt ein und verdiente pro Transaktion bis zu zehn Euro Provision. „Man kann den Handel nicht unterbinden“, sagt Schulenberg, „man kann nur versuchen, ihn zu ordnen.“ Ordnen heißt: mitverdienen. Ende August startet CTS Eventim die Wiederverkaufsplattform „Fansale“, die Verkäufern und Käufern eine sichere Auktion garantiert – gegen eine Provision von 25 Prozent.

In Zukunft werden Veranstalter den Auktionsmarkt noch weiter erobern. In Amerika versteigert die Firma Ticketmaster bereits regelmäßig Kontingente. Mit dem Hamburger Anbieter Kartenhaus hat sich der Global Player auch auf dem deutschen Markt eingekauft. In ein, zwei Jahren dürfte hier laut Karsten Fuchs vom Kartenhaus das Auktionsgeschäft beginnen. „Luft in den Markt bringen“, nennt er das. Für den Kunden wird das bedeuten, dass er noch längeren Atem mitbringen muss. Denn verbessern wird sich nichts. Auktionen sind der beste Weg, Gewinne abzuschöpfen. Das ist die Gefahr, die vom informellen Ticketing ausgeht: die Macht des schlechten Beispiels.

Wie man dem grauen Handel am besten begegnet, demonstrieren heute Depeche Mode. Nachdem ihre beiden Waldbühnenkonzerte am 12. und 13. Juli binnen eines Tages ausverkauft waren, wurde dieser Zusatztermin anberaumt. Bei Ebay wechselten Tickets zuletzt fast zur Hälfte des ursprünglichen Preises den Besitzer. Wiederverkäufer hatten sich verkalkuliert. Heute Abend ist der Fan der Gewinner.

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