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Kultur: Zweitzeuge

Der Berliner Schauspieler Hinnerk Schönemann ist bereit für den Karrierekick – eine Begegnung

Kann sein, dass schon am Monatsende alles anders ist. Kann sein, dass Hinnerk Schönemann, der als Nebendarsteller seit ein paar Jahren bei allem dabei ist, was im deutschen Kino und Fernsehen gut oder anders ist, aber mit dessen Namen trotzdem kaum einer auf Anhieb ein Gesicht verbindet, kann sein, dass dieser Hinnerk Schönemann jetzt seinen Durchbruch in einer Hauptrolle hat. Am Montag im ZDF-Krimi „Mörderische Erpressung“ oder montags darauf an selber Stelle in der DDR-Zwangsadoptionsgeschichte „Ich wollte nicht töten“, vielleicht ein paar Tage später im Kinofilm „Yella“ und anderthalb Wochen darauf im RTL-Politdrama „Prager Botschaft“.

„Du spielst nie Helden“, hat ihm sein Schauspiellehrer an der Berliner Hochschule der Künste einst prophezeit, „sondern glänzt aus der zweiten Reihe.“ Auch Lehrer können irren.

Hinnerk Schönemann ist auf Typen abonniert, die Eddie heißen und als Kleinkriminelle in Wedding wohnen. Für diese Rolle im Kiezfilm „Kroko“ ist er 2004 als Nebendarsteller für den Deutschen Filmpreis nominiert worden. Einen unterbelichteten und ziemlich schießwütigen Eddie spielt er auch in der ironischen Kultfernsehserie „Dr. Psycho“. Sein Eddie ist Bulle. Und davon hat der 1974 in Rostock geborene Schauspieler, der in Charlottenburg lebt, inzwischen noch mehr gespielt als Prolls.

„In Deutschland wird ja wie verrückt ermittelt“, sagt Hinnerk Schönemann und plumpst beim Vietnamesen in der Kantstraße auf seinen Stammplatz. Mit dem Rücken zur Wand. Straße und Restaurant bestens im Blick. So sitzen Ermittler. Als die Bedienung kommt, rattert er runter, was er seit zwei Jahren bestellt: „Nummer 180 mit zweimal Reis und ohne Zwiebeln.“

Hibbelig ist der in Berlin, Hamburg und auf’m Dorf in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsene Schönemann. Ein Autofreak, der bei jedem vorbeibretternden Bentley begeistert aufspringt. Dann aber auch wieder norddeutsch lakonisch und vor allem fast altmodisch demütig. Auf der Berlinale habe ihm bei der Präsentation von Christian Petzolds Drama „Yella“ zwar niemand eine Frage gestellt, sagt er. „Aber ich kann mich absolut nicht beschweren. Ist wie ’n Sechser im Lotto, was mir zurzeit passiert.“

Warum er so oft Polizisten spielt? „Ich hab das Alter und bin der Phänotyp“, vermutet er. Den schüchternen Gesetzeshüter in Vanessa Jopps zärtlichem Berlin- Episodenfilm „Komm näher“ hat er sich sogar selbst ausgesucht. Da durften die Schauspieler die Charaktere entwickeln. Zur Vorbereitung ist Hinnerk Schönemann in Neukölln mit auf Streife gefahren: „Plötzlich sind die Jungs wie Hornissen durch die Stadt gezischt, um einen Typen zu stellen, der eine Schwangere verprügelt hat. Irre.“ Solche Situationen könne man als Schauspieler nehmen, abspeichern und jederzeit wieder einsetzen. Seine Hauptrolle als Dorfpolizist im Krimi morgen ist allerdings ganz anders. „Da bin ich still, klar und ruhig.“

Zum Ruhigwerden und Ankommen hat Hinnerk Schönemann als 14-Jähriger eine ganze Woche gebraucht. 1987 musste er mit seinen Eltern zwangsweise raus aus der DDR. Onkel und Tante saßen als Regimegegner in Bautzen, und auch sein Stiefbruder wurde inhaftiert. „Zwei Tage vorher gab’s Bescheid, dann sind wir im grauen Friedrichshain losgefahren und abends in Hamburg auf dem glitzernden Kiez angekommen. Sieben Tage sei er vor lauter Schreck nicht rausgegangen. Dann bin ich runter und hab ein paar billige kleine Karpfen für mein Aquarium gekauft.“

Karpfen und Schildkröten gehören dazu. Sie waren Schönemanns erste Berufswahl: „Import und Export als Fisch- und Reptilienzüchter“. Die eigene Zucht ist unterdessen auf ein Paar „autarke“ Landschildkröten geschrumpft, die das Gras auf dem Wochenendsitz bei Plau am See abfressen. Neben der Stadt das Landleben auf dem Dorf zu haben, sei sehr wichtig, sagt Hinnerk Schönemann, dessen Liebe zu kleinen Leuten in kleinen Rollen nichts Zufälliges hat.

„Bei Nebenrollen kann man sich mehr austoben, die dürfen Biss oder einen Knacks haben und unberechenbar sein. Beim Spielen dümpelt man – genau wie im Leben – immer auf einer Normallinie herum. Spannend wird’s erst, wenn man Stereotype durch extreme Spitzen wie Wut oder Freude durchsichtig machen kann.“ So kommt’s, dass der nett und offen aus blauen Augen blickende Schönemann, der sich noch nie geprügelt hat, im Film nicht gerade selten zuschlägt. Und dabei sekundenlang brutal und danach nur verloren aussieht.

Nach der Wende kehrte er mit seinen Eltern dann wieder nach Berlin zurück und wohnte in Pankow im alten SED-Bonzenviertel, sozusagen im Feindesland. „Irgendwo hab ich von damals noch Honeckers abgeschraubte Klospülung auf dem Dachboden.“ Ob es eine Genugtuung für ihn war, in dem Film „Das Leben der Anderen“ den erst naiven und dann verängstigten Stasiunterleutnant zu spielen, der den Honecker-Witz erzählt? „Nö“, grinst Hinnerk Schönemann, „ich hab beim Dreh gar nichts vom Film mitgekriegt“, weil er erst ganz kurzfristig eingesprungen war. „Ich bin hin, hab den Witz bekommen, die zwei Szenen in der Stasikantine und dem Aufdampfkeller für die Post gespielt und war wieder weg.“ Herausgekommen ist eine atemberaubend dichte Szene, die Stasiterror wie im Brennglas zeigt.

„Mörderische Erpressung“, Montag, ZDF, „Ich wollte nicht töten“, 10.9., ZDF, „Prager Botschaft“, 23.9., RTL. Der Spielfilm „Yella“ startet am 13.9. in den Kinos.

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