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Kultur: Zwergenliebe

Alles was aus Rußland, nicht aber aus Moskau oder St.Petersburg kommt, scheint den Makel des Provinziellen zu tragen.

Alles was aus Rußland, nicht aber aus Moskau oder St.Petersburg kommt, scheint den Makel des Provinziellen zu tragen.Das Gastspiel des Staatstheaters Samara im Hebbel Theater straft solches Vorurteil jedoch Lügen.Mit Ferruccio Busonis "Arlecchino" und dem "Zwerg" von Alexander von Zemlinsky brachte das Ensemble aus der Wolga-Metropole zwei Einakter der Moderne, die gegensätzlicher kaum sein könnten, mit hohem musikalischen Niveau auf die Bühne.

Zemlinskys 1922 in Köln uraufgeführtes "tragisches Märchen" nach Oscar Wildes "Geburtstag der Infantin" ist ganz der nach psychologischem Ausdruck drängenden Welt der Spätromantik Mahlers und Schönbergs verpflichtet.Der Amerikaner Ibrahim Quraishi inszenierte den Hofstaat der Infantin (stimmlich wie darstellerisch sehr präsent: Nurjamal Ussenbaewa, wie auch ihre Zofe Elena Emeljanowa) als in eckigen Bewegungen erstarrte Puppenbühne, in der einzig der um die eigene Häßlichkeit nicht wissende Zwerg Lebendigkeit und Emotion zeigt.Michail Gubskijs etwas kantiger (und mitunter etwas flacher) Tenor verleiht der in Liebe entbrannten Gestalt eindrückliche Intensität.Daß die Russen sich mit dem deutschen Text etwas schwer tun ist so zu verschmerzen, eher jedoch als Vladimir Kovalenkos Neigung, sein vorzüglich disponiertes Orchester in den Vordergrund zu drängen und die Sänger an die Wand zu spielen.Als der Zwerg sein Spiegelbild erblickt und aus Verzweiflung über die Vergeblichkeit seiner Liebe zu der Prinzessin stirbt, geht Gubskijs gewaltige Partie in die Klangrede des Orchesters über - ein Höhepunkt differenzierter Gestaltung von Spannungsverlauf und klanglicher Balance.

Das sechs Jahre zuvor entstandene "theatralische Cappricio" "Arlecchino" Busonis atmet den vergleichsweise erfrischenden Geist der "Jungen Klassizität".Alles in dieser vom Harlekin erzählten Farce (in der Sprechrolle des munteren Andrej Antonow rächt sich nun doch das Sprachproblem) ist Nachahmung, ist Symbol, wie uns die ersten Zeilen verraten, und in der Tat schöpft Busoni mit Lust und Ironie aus den längst unglaubwürdig gewordenen Topoi der großen Oper des 19.Jahrhunderts.Das homogene Ensemble agiert mit Verve und Witz, und die Blechbläser aus dem Orchestergraben bestehen sicher die neoklassizistischen Stakkato-Einwürfe in unbequemer Lage.Ein gelungener Abend leider auch hierzulande vernachlässigter Musik.

Bis 6.September, 20 Uhr.

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