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Kultur: Zwischen Brombeerhecken

Ganz schön mutig vom Schweizer Komponisten Frank Martin, um 1940 eine „Tristan"-Version zu schreiben. Jeder Opernliebhaber kennt Wagners Sicht der Dinge.

Ganz schön mutig vom Schweizer Komponisten Frank Martin, um 1940 eine „Tristan"-Version zu schreiben. Jeder Opernliebhaber kennt Wagners Sicht der Dinge. Folgerichtig benannte Martin sein Opus nicht nach dem Liebespaar sondern nach dem Auslöser: „Le Vin Herbé“, der Zaubertrank. In seinem Oratorium kehrte er wieder zum mittelalterlichen Erzählgestus zurück. Ein Ensemble aus sechs Sängerinnen und sechs Sängern bildet einen kommentierenden Kammerchor, aus dem die Solisten in ihren Rollen hervortreten, agieren und schließlich wieder ins Kollektiv zurücksinken.

Ein äußerst handlungsarmes Konzept – denn auch in ihren solistischen Auftritten erzählen die Protagonisten vor allem, was ihnen geschah. Knappe zwei Stunden dauert dieses Oratorium, das alle Beteiligten vor knifflige Probleme stellt. Nicht zuletzt, weil Martins Musik auch nach gewagten harmonischen Wendungen immer wieder eine Auflösung in strahlenden Dur-Klängen findet. Zudem fehlen seiner Tonsprache der lakonische Witz und die Ironie etwa eines Francis Poulenc.

Ermüdungsgefahr also auf der ganzen Linie. In der konzentrierten und betont gelassenen Personenführung der Regisseurin Sabrina Hölzer gewinnen die Konstellationen zwischen den Handelnden an Bedeutung. Die Gruppe steht gegen den Einzelnen, die vereinzelten Hauptfiguren bewegen sich seltsam unbewusst mit- und gegeneinander. So gewinnt die alte Geschichte einen geheimnisvollen Sog, weil Modernität gar nicht erst behauptet wird. Das funktioniert vor allem deshalb, weil sich die Solisten unter Rüdiger Bohns Leitung zu einem verblüffend homogenen Kammerchor zusammenfügen. Besonders erwähnenswert: die Altistin Gabriele May als Isoldes Mutter, der Tenor Hugo Mallet, dem als Tristan viele mutig angesetzte, leise Töne gelingen und der Bass Tom Sol (König Marke). Sie alle treffen in einem Einheitsraum mit bühnenhohen Holzwänden aufeinander, den Mirella Weingarten auch unter akustischen Gesichtspunkten sehr glücklich entworfen hat. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln erschafft Lichtgestalter Andreas Greiner in subtilen Andeutungen die Spielräume. Wenn die Liebenden in den Wald der Welt vertrieben werden, reicht es, einige Bodensegmente hochzuklappen, um das Labyrinth der Brombeerhecken entstehen zu lassen.

Auch diese Produktion fügt sich nahtlos in die Erfolgsgeschichte der Zeitgenössischen Oper Berlin, die nun akut gefährdet ist: Kultursenator Thomas Flierl möchte die mündlich zugesagte Förderung von 510 000 Euro jährlich ersatzlos streichen. So könnten diese und die Herbstproduktion von Salvatore Sciarrinos „Luci mie traditrici“ die letzten Gelegenheiten sein, Musiktheater dieser Art in der Hauptstadt zu sehen. Uwe Friedrich

Weitere Aufführungen: 7., 8. und 9. Juni.

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