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Kultur: Zwischen Cruyff und Shakespeare

Stille Explosionen: Luk Perceval inszeniert ein Großstadt-Drama an der Schaubühne

Theaterproben mit Luk Perceval sind kurz, am Tag nicht mehr als vier Stunden, aber heftig. Er hat seine eigene, fast choreografische Methode. Perceval filmt die Schauspieler mit der Videokamera, nachher wird gesichtet und kritisiert. Und oft sind die Stellen, an denen die Schauspieler fast gar nichts machen, die wirkungsvollsten. Und gelegentlich macht sich eine gewisse Hemmungslosigkeit breit– kurze, brutale Exzesse, ein Vordringen zu eher vorzivilisatorischen Ausdrucksweisen, wie man sie in seinen Berliner Gastspielen „Aars!“ (zu Deutsch Arsch, eine freie Bearbeitung der „Orestie“) und „L. King of Pain“ (nach Shakespeares „Lear“) sehen konnte. Percevals Theater verbindet zwei widersprüchliche Dinge miteinander: Präzision und Heftigkeit. Intimität und Expressivität. Mit seiner monumentalen Shakespeare-Orgie „Schlachten!“ ist der flämische Regisseur mit dieser Kombination von Gefühl und Härte zu einem Schwergewicht des europäischen Theaters geworden.

Derzeit nimmt Luk Perceval mit seiner Kamera die Schauspieler der Schaubühne auf, es ist – nach erfolgreichen Inszenierungen in München und Hannover – seine erste Arbeit in Berlin. Er inszeniert die Uraufführung von Marius von Mayenburgs düsterem Stück „Das kalte Kind“ (ab 7. Dezember am Lehniner Platz), eine Skizze vom Leben in der Großstadt, in der die Kneipen „Polygam“ heißen und die Gespräche nur aus kurzen halbautistischen Satzfetzen bestehen. Luk Perceval ist ein Spezialist für solche Sprachlosigkeiten, schließlich kommt er aus Belgien: Dort, erzählt er, gehören Angst, Schweigen und Misstrauen zum Nationalcharakter.

Ähnlich im Autismus versinkende Menschen hat er in der letzten Spielzeit an den Münchner Kammerspielen in Jon Fosses Stück „Traum im Herbst“ entdeckt; die Aufführung war beim Berliner Theatertreffen zu Gast. Anders als die Regisseure, die das Stück in Berlin und Wien inszeniert hatten, sah Perceval in den versiegenden Gesprächsfetzen, dem sprachlosen Mit- und Nebeneinander eine düstere Komik. „Nichts“, findet er, „ist so ärgerlich wie Selbstmitleid auf der Bühne.“ Ähnlich unlarmoyant ist sein Blick auf das Personal bei Marius von Mayenburg: „Es geht um Leute, die eine wahnsinnige Gier nach Leben, nach Glück haben, lust for life, total exzesshaft. Und trotz dieser Gier gibt es keine Befreiung in dem Stück. Das hat etwas absolut Klaustrophobisches. Das Leben wird beobachtet wie ein Alptraum. Das fasziniert mich sehr, nicht nur am Theater, sondern am Leben, dass es eine Form von Alptraum ist, was wir leben.“

So ein Alptraum, allerdings einer, in dem alles ausgesprochen, gezeigt, ausgestellt wird, war auch „Schlachten!“, die zwölfstündige Montage aus Shakespeares Königsdramen, mit der Perceval vor drei Jahren mit Aplomb die europäische Szene betrat. Frank Baumbauer, damals Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg und Theaterchef der Salzburger Festspiele, hatte die Inszenierung in Antwerpen gesehen und lud Perceval ein, das Stück noch einmal mit deutschen Schauspielern zu inszenieren. Schon zuvor war er neben Jan Fabre und Alan Platel der profilierteste Theatermacher seiner belgischen Heimat.

1984, mit 27 Jahren, hatte er zusammen mit seinen Schauspielerfreunden die Blauwe Maandag Compagnie als freie Gruppe gegründet, frustriert von der Situation des staatlichen Theaters, an dem er einige Jahre Schauspieler war. „Das war ein provinzielles Stadttheater, das sich nur damit beschäftigte, Kopien zu spielen, Imitationen dessen, was in Paris oder London erfolgreich lief. Wir sagten, wir machen diesen Schwachsinn nicht mehr, wir steigen aus.“ Nach einigen Jahren hatte Percevals Gruppe mit einer sehr eigenen, kraftvoll direkten Theatersprache das verstaubte Nationaltheater überholt – ästhetisch, im Publikumszuspruch und in der internationalen Ausstrahlung.

„Für mich hat die Anerkennung dieser Zustände eine Katharsis-Wirkung,“ sagt Perceval über dieses Vordringen in die Seele eines Killers. „Ursprünglich würde man über diesen Menschen denken, dass er ein Monster ist, eine Gefahr. Aber wenn man ihn bis zu seinen letzten Todesmomenten erfährt, entsteht letztlich auch für diese negative Kraft ein großes Verständnis. Das ist der eigentliche Schlüssel zur Universalität bei Shakespeare, aber auch bei Mayenburg. Was von diesen Menschen, die ich auf der Bühne erfahre, ist Teil von mir selbst, auch wenn sie Mörder sind? Über den anderen sehe ich mich selbst. Diese Möglichkeit der Selbstreflexion gehört zur Droge Theater."

Das mit den Grenzerfahrungen im Theater ist für Perceval kein schicker Effekt oder bloß eine apart knallige Formulierung. Er meint das ernst. Für ihn ist Theater „das letzte Ritual, das uns noch die Möglichkeit gibt, uns einfach zu versammeln, das Licht auszumachen, den Mund zu halten und uns kollektiv zu besinnen. Das ist ein elementares Bedürfnis, wie Hunger oder Sexualität. Und genau deshalb betreiben wir schon 2 500 Jahre lang Theater.“ So sieht er sich selbst als einen „total altmodischen Theaterregisseur. Alles, was mir wichtig ist, die Suche nach Transzendenz, nach Berührung und Erschrecken, haben die Postmodernen weggeschmissen. Ich bin überhaupt kein postmoderner Künstler.“

Perceval weiß, wovon er spricht, wenn es um körpereigene Drogen, durch Leistungssport ausgelöste Rauschzustände, um körperliche Grenzbereiche geht, schließlich wäre er selbst fast Profifußballer geworden. Und sein erstes Vorbild hieß nicht etwa Artaud oder Brecht, sondern Johan Cruyff, „the one and only No. 14“.

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