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Kultur: Zwischen den Seilen

Im Schatten von „Ali“: Boxfilme sind nur erfolgreich, wenn sie reale Heldengeschichten nacherzählen

Von Knud Kohr

Der Ring, in dem Sugar Ray Robinson steht, ist voller Nebel. Sekundenlang scheint der schwarze Herausforderer seine Kraft zu sammeln. Dann hebt er in einer für Boxer völlig absurden, die Deckung entblößenden Bewegung die Rechte. Und rammt sie ins Gesicht von Weltmeister Jake La Motta, dessen Niederlage damit besiegelt ist. Ein Blutgefäß in seinem Gesicht platzt, das weiße Hemd des Mannes am Gong wird besudelt.

Die Boxkampfszenen in Martin Scorseses mehrfach oscarprämiertem „Raging Bull“ („Wie ein wilder Stier“, 1979) sind die brutalsten, die je in der Fimgeschichte inszeniert wurden. Minutenlang besteht die Welt aus zwei Männern, die sich gegenseitig zu Boden schlagen wollen. Die Masse rund um den Ring, geliebte Frauen, kommentierende Journalisten, die bei vielen anderen Sportfilmen Parallelgeschichten erzählen, gibt es nicht. Scorseses Regie reißt den Betrachter in jene Faszination, die laut Box-Journalist Michael Kohtes „das zivilisierte Bewusstsein zutiefst erschüttert: Zwei Männer kämpfen um ihr Leben.“

Bis heute – und trotz Michael Manns „Ali“ – markiert „Raging Bull“ mit Robert De Niro den Höhepunkt des Boxerfilms. Das Subgenre ist fast so alt wie die Filmgeschichte, hat aber nur wenige bemerkenswerte Werke hervorgebracht. Umso tragischer, dass Scorsese das Boxen als Sport gar nicht mochte, sondern nur wegen der Möglichkeiten zur manipulativen Dramatik schätzte. Bereits Charlie Chaplin und Harold Lloyd stellten sich in den Ring, um dort vor bösen Widersachern herumzuspringen. Diese Szenen waren allerdings stets Ornte, höchstens dazu geeignet, die komische Gewitztheit des Helden zu verdeutlichen.

Filme, die Boxen als bloßes Unterhaltungselement verwenden, gibt es in großer Zahl, nicht selten mit Starbesetzung. In den letzten Jahren prügelte sich etwa Mickey Rourke gegen den Willen seiner Freundin Ellen Barkin durch die süßliche Liebesgeschichte „Johnny Handsome“ (1989). James Woods als Manager jagte seinen Schützling Louis Gossett jr. in „Die Superfaust"(1994) gleich gegen die gesamte Boxstaffel einer Kleinstadt. Und Samuel L. Jackson spielte 1996 in „The Great White Hype“ – an der Seite von Jeff Goldblum und Peter Berg – David Sultan, eine kaum kaschierte Parodie auf Boxmogul Don King. Seltsamerweise floppten fast alle Filme, bei denen über Sieg oder Niederlage außerhalb des Rings entschieden wird. Auch der bislang letzte Versuch in diese Richtung scheiterte: „Knocked out“ (1999) bot nicht nur die Publikumslieblinge Antonio Banderas, Woody Harrelson und Lucy Liu auf, sondern dazu ein Werbeplakat, das die Boxwerbung bis ins Detail kopierte.

Gentleman Jim

Das Publikum scheint zu spüren, dass der Boxkampf bei diesen Filmen vor allem aus dramaturgischen Gründen verwendet wird. Der Showdown mag den formalen Höhepunkt markieren, geht aber am eigentlichen Thema vorbei. So verwundert es nicht, dass die erfolgreichsten Boxerfilme fast immer unmittelbar biografische Werke waren. Meistens konzentrieren sich diese Filme auf wenige, entscheidende Jahre im Leben des Sportler-Helden. Die ändern entweder seine Persönlichkeit oder der Held muss auf den Lauf der umgebenden Welt reagieren und daraus Konsequenzen ziehen – wie Muhammad Ali in Konfrontation mit Vietnamkrieg und gesellschaftlichem Aufbruch der schwarzen US-Amerikaner.

Natürlich entlädt sich auch hier die Spannung fast immer in einem finalen Kampf. Doch im Gegensatz zu den genannten Filmen, in denen bloße Kunstfiguren um Fantasieziele streiten, kämpft der Held hier wirklich um sein Leben. Oder zumindest um die Freiheit, es nach eigenen Maßstäben führen zu können.

Den ersten echten Erfolg mit diesem künstlerischen Ansatz hatte Errol Flynn, der 1942 die Hauptrolle in „Gentleman Jim“ spielte. John „Gentleman Jim“ Corbett war – auch im richtigen Leben – nicht nur ein hübsches Großmaul, sondern vor allem ein Neuerer seines Sports. Als erster Kämpfer wurde er Weltmeister nach den Regeln des Marquis von Queensberry, die Handschuhe und eine begrenzte Anzahl von Runden vorschrieben. Flynn kämpft also nicht nur gegen seinen Vorgänger, sondern auch gegen verstockte Boxfunktionäre. Wenn Ward Bond als John L. Sullivan ihm in der letzten Szene mit Tränen in den Augen den Meistergürtel überreicht, ist die Welt eine andere geworden – durch Gentleman Jim.

Unter der Regie von Robert Wise spielte Paul Newman 1956 den Rocky Graziano in „Somebody up there likes me“. Der Film wurde kurz nach Grazianos Karriere-Ende gedreht – er war im selben Jahr als ungeschlagener Weltmeister zurückgetreten. Etwas zu kritiklos erzählt er die Geschichte des jugendlichen Italoamerikaners, der durch Knast und Armee vom Tunichtgut zum verantwortungsvollen Menschen reift.

In aussichtsloser Situation befindet sich Willem Dafoe in „Triumph of the spirit“ (1989). Als ehemaliger griechischer Olympiakämpfer ist er in Auschwitz inhaftiert, wo er zur Gaudi der Wachmannschaften um sein Leben kämpfen muss. Obwohl hier ein Grundmotiv des Boxens – der Überlebenskampf – auf die Spitze getrieben wird, hat sich der Film nicht durchgesetzt. Wahrscheinlich war dieses Thema denn doch zu bedrückend, die Aussichtslosigkeit des Kämpfers zu erschreckend.

Auch Rubin Carter befindet sich in „The Hurricane“ (1999) in einer ausweglosen Situation. Der ehemalige WM-Herausforderer im Mittelgewicht wird 1966 aufgrund fadenscheiniger Indizien wegen Mordes verurteilt und bleibt bis 1985 in Haft. In der Person Denzel Washingtons erlebte der Boxer seine Rehabilitierung. In vielem ähnelt dieses Gerichtsdrama den Auseinandersetzungen, die Muhammad Ali vor Boxkommissionen um seine Lizenz führen musste.

Niemand, der über Boxerfilme nachdenkt, kommt vorbei an „Rocky". Die fünf Filme, entstanden zwischen 1976 und 1990, bilden zusammen den größten Erfolg in der Geschichte des Genres. Zumindest der erste, mit dem Oscar gewürdigte Teil ist wirklich gut. Vorgeblich erzählt Rocky die Geschichte des Boxers Rocky Balboa (Sylvester Stallone), seinen Aufstieg vom Geldeintreiber zum Weltmeister aller Klassen, der nebenbei auch noch der UdSSR die Überlegenheit seines Landes einprügelt. Bis er – von falschen Beratern um sein Vermögen gebracht und an einem Hirnschaden leidend - in seine alte Nachbarschaft zurückkehrt.

Vorbild auf Raten

In seinem Buch „Mehr als ein Champion“ vertritt Jan Philipp Reemtsma die These, dass das weiße Amerika sich mit diesen Filmen am Mythos Muhammad Ali abarbeitete und den einst Ungeliebten im Verlauf der Geschichte als Vorbild adoptiert. Tatsächlich kämpft Balboa zunächst gegen den schwarzen Weltmeister Apollo Creed, der deutliche Züge von Ali trägt. Später werden die beiden Freunde – Creed lehrt Rocky gar, wie er sich gegen einen hünenhaften Herausforderer wehren kann. Dann stirbt Creed, und Balboa beendet seine Karriere aus denselben gesundheitlichen Gründen wie Ali.

Eine zumindest interessante Interpretation: Denn die US-Öffenlichkeit war 1976 gerade dabei, Ali nach den Siegen gegen Foreman und Frazier seinen Vietnam-Protest zu verzeihen. Und wenige Jahre nach „Rocky V“ durfte der vor Krankheit zitternde Mann die olympische Flamme entzünden.

Boxfans sind es gewohnt, angesichts ihrer Vorliebe verspottet zu werden. Auch angesichts der Boxerfilme staunen sie über die seltsamen Regeln des Showgeschäfts: Die erfolgreichste Geschichte, „Rocky“, ist ein Zwitter zwischen Pulp und versteckter Biografie - und „Raging Bull“, den besten Boxfilm aller Zeiten, drehte ein Regisseur, der ihren Sport verachtete. Wann traut sich der erste Regisseur an einen ernst gemeinten Film über Mike Tyson?

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