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Kultur: Zwischen den Spalten

Texte über Zeitungen in Zeitungen drehen sich in der Regel um Medienpolitisches oder Ökonomisches. Aber hier geht es um Albrecht Schäfer.

Texte über Zeitungen in Zeitungen drehen sich in der Regel um Medienpolitisches oder Ökonomisches. Aber hier geht es um Albrecht Schäfer. Und der ist Künstler. Für ihn sind Zeitungen das nahezu ideale Material. Immer verfügbar. Gleichzeitig steckt für ihn darin die ganze Welt. Das hat er wortwörtlich umgesetzt, in jenem Miniaturerdball, den er aus der „Welt“ geformt hat. Er ist zurzeit in der Ausstellung „What’s new? Zeitung in der Kunst“ in der 18m Galerie zu sehen.

Einzelne Schnipsel sind noch lesbar. Etwa das Datum der Ausgabe, 9. November 1989. Schäfer hat die Plastik anlässlich einer Ausstellung im albanischen Tirana zum 20. Jahrestag des Mauerfalls geschaffen. Die Originalzeitung fand er bei einem Internetdienst. Es amüsiert ihn noch heute, dass die Bestellung wie ein Geburtstagsgeschenk verpackt zu ihm gelangte. Und dass sich in der Zeitung zunächst die Aktualität niederschlägt, aus der Jahre später ein Denkmal wird. „Die Zeitung ist eine erste Materialisierung von Ereignissen und Bildern“, so Schäfer. Ein erster Niederschlag. Deshalb seien sich Kunst und Zeitung durchaus unähnlich. „Der Gang zum Kiosk ist für mich der erste Arbeitsschritt“, sagt Schäfer. Er liest am Frühstückstisch, klemmt sich dann die Zeitung unter den Arm und läuft los ins Atelier. Das mag er, dieses Ritual.

Wenn es heißt, dass immer weniger Menschen Zeitung lesen, dann melden sich auch jene Leidenschaftlichen zu Wort, die das haptische Erlebnis bei der Zeitungslektüre lieben. Dieses Rascheln, Umblättern, sich über den Tisch beugen müssen. Schäfer wandelt dieses Sinnliche in ein Kräftemessen zwischen Holz und Papier. Eine Latte baumelt von der Decke bis zum Boden des Ausstellungsraumes, befestigt an einem langen, dünnen Zeitungsstreifen. Er reißt nicht. Schäfer macht aus Gewohntem Ungewohntes. Die Holzlatte setzt er ebenso wie die Zeitung immer wieder ein. In einer Ausstellung in den Kunst-Werken zeigte er 2008 seine „Trilogie aus Alltagsgegenständen“. Dazu bediente sich der Bildhauer einer Ikea-Japan-Papier-Lampe, Jalousien und Rattanmöbeln.

Seit fünf Jahren beschäftigt sich der Künstler mit Zeitungen. Damals hat er seine Serie der Cuttings begonnen. Dazu schneidet der 42-Jährige immer wieder große Teile der Textblöcke, Bilder und Anzeigen heraus. Zurück bleiben Strukturen, Wortfelder, Flächen. In der Galerie18m hängt etwa die Arbeit mit dem Titel „Die Form des Seins“. Schäfer hat fein säuberlich alles entfernt – bis auf die Spaltenränder, die wie ein Gerüst nur noch all jene kleinen Wörtchen halten, die an den Rändern anstoßen, alles Konjugationen von „sein“. Zeitung ist Leben.

„In letzter Zeit sind mir einige Künstler begegnet, die mit dem Material Zeitung arbeiten“, sagt die Galeristin und Kuratorin der Ausstellung, Julie August. Und so musste sie am Ende eine strikte Auswahl treffen für ihre Galerieräume, die sie in ihrer Privatwohnung in Schöneberg betreibt. Gabriela Volanti etwa näht Artikel zu Faltungen zusammen. Blocksätze und Bilder rücken so nah aneinander. Die Künstlerin verdichtet die Enge des Raums, die in der Zeitung herrscht. So manchem Redakteur, der sich mehr Platz für all die Themen dieser Welt wünscht, spricht sie aus der Seele. Claudia von Funcke hat all ihre gesammelten Zeitschriften zusammengeknüllt und zu einem groben Raster zusammengesteckt. Roland Albrecht, Direktor des Museums der Unerhörten Dinge, hat Artikel täuschend echt fingiert. Sie problematisieren das Geschäft des Nachrichtenmachens.

Die Künstler führen eine kunstgeschichtliche Tradition fort, die bei den Kubisten begann. Bei Picasso oder Braque gehörte die Zeitung neben dem Gläschen Absinth und der Pfeife zu den Bestandteilen des Cafétisches und damit zum großstädtischen Leben. In ihren Collagen, den papiers collés, waren die Zeitungsausschnitte Ausdruck der intellektuellen Avantgarde. Die Merzbilder des Dadaisten Kurt Schwitters erhielten ihren Namen, weil der Künstler einmal den unvollständigen Anzeigenschnipsel mit dem Schriftzug der Commerzbank verwendete. Zeitung war für ihn Teil der Vermüllung der Welt und Brücke zum wahren Leben. Immer wieder symbolisierten in der Kunst Zeitungsfragmente den Zerfall der Welt in Einzelteile, ihre nur noch bruchstückhafte Wahrnehmbarkeit.

Albrecht Schäfer setzt sie wieder zusammen. Das Museum Morsbroich in Leverkusen widmet dem gebürtigen Stuttgarter bis zum 9. Mai eine Werkschau. Frühe Arbeiten sind zu sehen und solche, die er für die Museumsräume geschaffen hat. Der Titel „Ein Tag“ bezieht sich auf jene Installation, die sich vom Foyer durch alle Räume fortsetzt. Schäfer hat aus einer Tageszeitungsausgabe einen einzigen Satz zusammengeklebt. Er fasst einen Tag zusammen, verdichtet ihn und lässt ihn als dünne Linien durch die gesamte Ausstellung wandern. Das Zeitungslayout mit seinen Spalten hat er aufgelöst. Umblättern ist nicht nötig.

Galerie 18m, geöffnet: am 18. 4. ab 18h und 9. 5., 12 – 15 Uhr sowie n. Vereinb., Tel: 0163/8870 290. Akazienstr. 30.

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