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Zwischen den SPIELEN (9): Das Wortspiel

Heute werden einige Betriebsgeheimnisse dieser Zeitung verraten, das lässt sich nicht verhindern. Denn eine der köstlichsten Vergnügungen von Redakteuren ist das Jonglieren mit Wörtern.

Heute werden einige Betriebsgeheimnisse dieser Zeitung verraten, das lässt sich nicht verhindern. Denn eine der köstlichsten Vergnügungen von Redakteuren ist das Jonglieren mit Wörtern. Nicht alle dieser mal sorgsam geschmiedeten, mal eruptiv ausgestoßenen Sätze finden ihren Weg zu den Lesern. So war kürzlich eine Moderedakteurin zu beobachten, die am Porträt über einen abgehalfterten Designer von Abendkleidern schrieb. „Friede seiner Lasche!“ rief sie prustend aus und dann sofort: „Geht ja gar nicht.“

Genau genommen findet sich das Wortspiel weniger in Texten als in Überschriften. Meist folgen diese einem Grundmuster: Man nehme eine sattsam bekannte Liedzeile, einen Romantitel, eine Redewendung und ersetze ein Wort (einen Buchstaben) durch ein anderes. So könnte der Bericht über die Tagung der Vereinigung Deutscher Bierbrauer, die sich eine Umsatzsteigerung durch einen sonnigen Herbst erhofft, überschrieben sein mit: „Es muss ein Schluck durch Deutschland gehen.“ Heikle Sache, das. Möglicherweise versteht der deutsche Brauer keinen Spaß, möglicherweise steht ihm das Brauwasser bis zum Hals (ha, ha), er beschwert sich bei der Chefredaktion, und es folgen monatelange diplomatische Korrespondenzen.

Einige Floskeln eignen sich geradezu multigenial zum Wortspiel. Die Phrase „Ich habe einen Traum“ bietet sich für folgende Seiten/Artikel des Tagesspiegels an: Ich habe einen Flaum (Jugendseite), Ich habe einen Zaum (Reiten), Ich habe einen Daum (Fußball), Ich habe einen Schaum (Essen & Trinken), Ich habe einen Baum (Haus & Garten), Ich habe einen Raum (Design), Ich habe einen Saum (Mode) usw..

Heikel ist beim derartigen Gaukeln mit Buchstaben die geschmackliche Verirrung. Daher gibt es in dieser Redaktion eine „Clearingstelle Wortspiel“ (CleWo), einen vom Betriebsrat gewählten Mitarbeiter. Hausintern wird diese Einrichtung spöttisch Indexator genannt. Denn der Indexator muss seine Entscheidung nicht begründen, er hebt oder senkt lediglich den Daumen. Die CleWo hat täglich von 13 bis 14 Uhr Sprechstunde. Dann stehen Redakteure vor dem Büro Schlange, um ihre Wortspiele zur Begutachtung vorzulegen.

Kürzlich kam es zu einem Eklat. Eine Kollegin wollte die aktuelle Gender-Debatte mit „Die Banalität der Mösen“ überschreiben. Der Indexator sah den Vorschlag, wurde bleich, schnappte nach Luft – und fiel in Ohnmacht. Er hatte, so stellte sich nach erfolgreicher Reanimation mit dem Defibrillator heraus, seine Magisterarbeit zum Thema Hannah Arendt verfasst und schätzte diese über alles. Tags darauf ging die Kollegin zur CleWo und brachte ein Stück selbstgebackenes Früchtebrot zur Stärkung vorbei. Der Indexator biss hinein und rief „Auferstanden aus Rosinen“. Dann lachten die beiden. Norbert Thomma

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