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Von weit her zu sehen: Knallgelb-rote Autos und Motorräder beliefern die Läden mit den Brühwürfeln, deren Erkennungszeichen in Afrika ein Stern ist.

© Nestlé SA

Maggi in Afrika: Zusammengewürfelt

Was bei uns lange Zeit in Mode war, hat längst die Töpfe afrikanischer Länder erobert: Maggi. Von der seltsamen Karriere eines Würzmittels.

Von Andreas Austilat

Oh nein, wir haben Maggi vergessen!“, ruft Sholly Onatolu entsetzt. „Richtiges afrikanisches Essen ohne Maggi – das geht gar nicht.“ Die kleine Nigerianerin dreht sofort um, trippelt mit ihren schweren Tüten voller Yams-Wurzeln und Kochbananen zurück in den kleinen Afro-Shop auf der Karl-Marx-Straße in Neukölln. Ganz hinten im engen Laden wird Sholly Onatolu fündig: Im Regal liegt eine durchsichtige Tüte mit kleinen leuchtend rot-gelben Brühwürfeln. „Maggi Cubes“ steht in englischer und arabischer Schrift auf der Packung. Made in Côte d’Ivoire. Das Logo kommt nostalgisch daher: Ein rotes M in einem Stern auf gelbem Grund. „Bei euch ist ein Herz drauf“, erklärt die 36-Jährige. „Aber das taugt nichts.“ Das Produkt aus Afrika, wo Maggi auch ursprünglich herkomme, wie sie versichert, schmecke viel besser als das fade „Herzchen-Maggi“ aus dem deutschen Supermarkt.

Afrikanisch? Vor nicht allzu langer Zeit war die „Würze“ in der kleinen braunen Flasche auf deutschen Küchentischen so präsent wie Salz und Pfeffer. Erfunden hat den Brühwürfel allerdings anno 1907 ein Schweizer, Julius Maggi. Heute gehört das Unternehmen zum Lebensmittelgiganten Nestlé, dessen Zentrale in der Schweiz liegt. Doch in afrikanischen Küchen hat der Würfel einen besonderen Stellenwert. „Bei uns in Lagos benutzt ihn jeder für ein richtiges Stew“, erzählt Sholly Onatolu. „Maggi gehört einfach dazu.“

Allein in den 22 Ländern Westafrikas, dem größten Absatzmarkt auf dem Kontinent, verkauft Nestlé nach eigenen Angaben täglich bis zu 100 Millionen der vier Gramm schweren Cubes. Geht man davon aus, dass in Westafrika heute etwa 350 Millionen Menschen leben, heißt das: Jeder Dritte in Nigeria, Ghana oder Mali nimmt täglich einen Brühwürfel zu sich. Tendenz steigend, wie man bei Nestlé versichert. Afrika sei einer der wichtigsten Wachstumsmärkte überhaupt.

„Überall hängen Maggi-Plakate“, bestätigt Manfred Stoppok, die unscheinbare Würze dominiert das Straßenbild. Der Ethnologe hat 2011 mit „Maggi in Guinea-Bissau“ ein Buch über das Phänomen geschrieben. Dass Maggi in Afrika so populär ist, verwundert den Wissenschaftler immer noch. Schließlich handele es sich nur um einen Zusatz, kein konsumfertiges Produkt wie Coca-Cola oder der BigMac, die Urbanität und einen westlichen Lebensstil verkörpern.

Vor allem Werbung und geschicktem Marketing, so Stoppok, hat der Brühwürfel seine unglaubliche Präsenz zu verdanken. Überall in den großen Städten, aber selbst in abgelegenen Dörfern wird er verkauft, meist von kleinen Einzelhändlern, den sogenanten „Mammies“. Von diesen Tante-Emma-Läden, die von Nestlé jährlich in den Maggi-Farben neu angepinselt werden, gibt es in der Region mehr als 350 000. Beliefert werden die Mammies von Motorrädern und Autos, die weithin sichtbar in den grellen Maggi-Farben lackiert sind. Die Werbeslogans, die sich vor allem an Hausfrauen richten, sind kulturell und regional abgestimmt: „Mit Maggi strahlt jede Frau wie ein Stern“, steht in Guinea-Bissau auf den Plakaten. „Koch mit Maggi, dann will er keine Zweitfrau mehr“, heißt es im muslimisch geprägten Senegal. Durch Treueaktionen, bei denen es Kochschürzen und knallgelbes Kochgeschirr zu gewinnen gibt, versucht man die Marke noch bekannter zu machen.

Der Madame-Verbesserer

"Mit Maggi strahlt jede Frau wie ein Stern" steht in Guinea-Bissau auf den Werbeplakaten. Verkauft werden die Würfel vor allem in "Mammies", Tante-Emma-Läden.
"Mit Maggi strahlt jede Frau wie ein Stern" steht in Guinea-Bissau auf den Werbeplakaten. Verkauft werden die Würfel vor allem in "Mammies", Tante-Emma-Läden.

© Nestlé SA

Seit 1959 verkauft Maggi seine Würfel nach Afrika. 20 Jahre später wurde die erste Fabrik eröffnet, inzwischen sind es sieben, und die Firma expandiert nach Ostafrika. Je nach Land variieren auch die Geschmacksrichtungen: Es gibt Rind, Huhn, Shrimps, Halal, mit oder ohne Fett. Selbst im Münchener Afro-Shop von Denis Akomagi findet man die komplette Produktpalette. „Die Afrikaner kommen aus ganz Oberbayern zu mir“, sagt der Togolese, „für sie bedeutet der Cube ein Stückchen Heimat“. Der Würfel wurde afrikanisch, so Stoppok, „obwohl man weiß, dass Weiße ihn einst nach Afrika gebracht haben“.

In Guinea-Bissau nennen die Menschen den Würfel inzwischen „Gusto“, im Senegal heißt er „corrige Madame“, Madame-Verbesserer. In Läden auf dem Land gibt es wenig zu kaufen, erzählt Stoppok, und der selbst bei hohen Temperaturen lange haltbare Brühwürfel sei das einzige erschwingliche westliche Produkt. Ein Statussymbol. So etwas wirft man nicht einfach achtlos in den Topf. Erst kurz vor Ende der Garzeit ihres scharfen Fischeintopfes zerbröselt Sholly in Berlin ganz behutsam unter mehrmaligem Umrühren die dunklen Brühwürfel über dem Kochtopf: „It makes it more sweet, you know.“

Nestlé erklärt den Würfel sogar zum Gesundmacher, durch die Beimischung von Jod, Vitamin A oder Eisen wolle man eine Antwort auf die Mangelernährung großer Bevölkerungsschichten geben. Sogenannte „Cooking Caravans“ werden durch ganz Afrika geschickt, um über Ernährung aufzuklären – und gleichzeitig Werbung für Maggi zu machen. Dabei ist in Europa seit dem Ende des 19. Jahrhunderts der mangelnde Nährwert von Fleischextrakt und Brühprodukten bekannt. Ursprünglich sollte damit eine haltbare Nahrung für Soldaten und Schiffsbesatzungen gefunden werden. Heute habe der Brühwürfel, so Stoppok, lediglich appetit- und verdauungsfördernde Eigenschaften.

Vor allem salzig

Von weit her zu sehen: Knallgelb-rote Autos und Motorräder beliefern die Läden mit den Brühwürfeln, deren Erkennungszeichen in Afrika ein Stern ist.
Von weit her zu sehen: Knallgelb-rote Autos und Motorräder beliefern die Läden mit den Brühwürfeln, deren Erkennungszeichen in Afrika ein Stern ist.

© Nestlé SA

Der dunkelbraune Cube besteht, genauso wie die hellere deutsche Variante, zum Großteil nur aus gewürztem Salz und den umstrittenen Geschmacksverstärkern Glutamat und Inosinat. Ein Industrieprodukt, das seinen Ausgang im Labor nimmt. Geschmacklich gibt es keinen großen Unterschied, der afrikanische Cube ist nur etwas salziger und pikanter. Der kräftige Geschmack in Shollys Eintöpfen kommt wohl eher von gedörrten Shrimps, Chilischoten und reichlich rotem Palmöl.

Maggi sei unnatürlich, chemisch und zerstöre die landestypischen Esskulturen in Afrika, lautet der Vorwurf europäischer Kritiker. In deutschen Büchern über westafrikanische Küche erwähnen nur die wenigsten Autoren den Brühwürfel. Ursprünglichkeit, Exotik und Wildheit, mit solchen Attributen lässt sich Afrika in Europa bis heute immer noch am besten vermarkten. Der massenhafte Konsum von Fertigprodukten wird da gerne verschwiegen. Er passt nicht ins eurozentrische Bild vom Schwarzen Kontinent.

Doch inzwischen regt sich auch in Afrika Widerstand. Man besinnt sich wieder auf natürliche Würzmittel wie etwa „Netetu“, die zerkleinerten Kerne des Affenbrotbaumes. „In Togo ist ,Maggi- Koch‘ inzwischen ein Schimpfwort“, sagt Robert Ahiagba, der in München das Restaurant „Makula“ betreibt. „Manche Aktivisten sagen, es mache impotent“, erzählt Ahiagba lachend. „Um gegen die Werbemaschine von Nestlé anzukommen, muss man sich wohl was Besseres einfallen lassen.“ Das stärkste Argument ist vielleicht das schlichteste: Mit Maggi, findet der Togolese, schmecke doch alles gleich salzig und langweilig. Er schwört auf heimische Zutaten – „Yams macht weiche Haut und hält jung, Heiliger Pfeffer ist gut nach der Geburt“ – und deren Heilkraft.

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