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Sein Familienalbum. Ralf Heinemann-Hohn hatte seine Tochter noch nie fotografiert, er kann die Fotos nicht sehen. Die Kleine juchzte, als sie sich in der Ausstellung sah. Foto: Georg Moritz

© Georg Moritz

Fotografie: Blind geknipst

Acht Menschen ohne Augenlicht haben ihre Umgebung fotografiert Die Bilder sind in einer Ausstellung zu sehen – und zu fühlen.

Das blonde Mädchen blickt ernst in die Kamera. Sie trägt viel zu große Kopfhörer, sitzt in einem Tonstudio. Ein hübsches Kinderbild wie fürs Familienalbum. Aber so etwas gibt es in ihrer Familie gar nicht.

Er selbst kann das Foto nicht sehen, obwohl er direkt davorsteht. Es hängt mit vier anderen, die er aufgenommen hat, an der Außenwand einer schwarzen Kabine. Ralf Heinemann-Hohn ist einer von acht Teilnehmern der Fotoausstellung „Die Sicht der Anderen“, die noch bis Sonntag im Untergeschoss des Einkaufszentrums Boulevard Berlin in Steglitz zu sehen sind. „Fotografieren als Blinder ist ja nicht ganz alltäglich. Es war eine Herausforderung, die ich gern angenommen habe“, sagt Heinemann-Hohn. Der Fotograf Marcel Maffei hatte ihn und sieben andere Bewohner des Blindenhilfswerks in Steglitz so herausgefordert: Mit jeweils fünf Fotos sollten sie ihren Alltag dokumentieren. „Wir sollten täglich ein Foto machen, von Dingen, die wir für fotogen halten“, sagt er. Seine vierjährige Tochter Carina habe es als ganz normal empfunden, fotografiert zu werden. „Sie hat mir gesagt, wo sie ist und ich habe nach Gehör fotografiert“, sagt Ralf Heinemann- Hohn. „Und sie hat gejuchzt, als sie das Bild später hier in der Ausstellung entdeckt hat.“

Die Ausstellung hat Marcel Maffei gemeinsam mit dem Blindenhilfswerk konzipiert. Sie ist eine besondere Ergänzung zum fünften europäischen Monat der Fotografie, der am Freitag beginnt – mit einem sehr ähnlichen Titel: „Der Blick des Anderen“. 10 000 Bilder von 500 Fotografen werden an 100 Ausstellungsorten in der gesamten Stadt zu finden sein. Die Fotos der Blinden gehören zwar nicht offiziell zum Programm, es ist jedoch eine der wohl ungewöhnlichsten Ausstellungen, die es derzeit zu sehen gibt. Das Ungewöhnliche sind allerdings weniger die Motive als die Geschichten dahinter.

Eine Baumkrone und etwas Himmel ist auf einem von Heinemann-Hohns Bildern zu sehen. „Ich dachte, das könnte klappen. Der Baum ist so groß und die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn treffen würde, war deshalb hoch.“

Das Ergebnis kann er in der Ausstellung selbst überprüfen: Im stockdunklen Inneren der schwarzen Kabine, an der seine Bilder hängen, hinter einem schwarzen Vorhang, kann man die Konturen des Baumfotos als Relief ertasten. Eine Form der Wahrnehmung, die Heinemann- Hohn leichter fällt als den sehenden Besuchern der Ausstellung. Bilderbücher liest er seiner – sehenden – Tochter auch auf diese tastende Weise vor. Es sind die alten aus seiner Kindheit.

Acht solcher Kabinen sind in der Schau zu sehen, in jeder ein zu ertastendes Bild – „haptisch aufgearbeitet“ nennen die Ausstellungsmacher das. Hinten an jeder Kabine hängt ein großes Porträt des Fotografen – aufgenommen vom Profikollegen Marcel Maffei. Heinemann-Hohn ist darauf genau wie seine Tochter im Tonstudio zu sehen, an seinem Arbeitsplatz. Der ist Teil seiner Wohnung im Blindenhilfswerk. Der 39-Jährige ist Radiomoderator und zeichnet dort Sendungen für einen regionalen Radiosender in Bayern auf, zum Beispiel eine tägliche Morgenshow.

Die Ausstellung soll noch um einen Audioguide ergänzt und dann immer wieder an verschiedenen Orten in Berlin gezeigt werden. Heinemann-Hohn ist stolz darauf: „Damit wecken wir Aufmerksamkeit und zeigen, dass wir uns nicht nur in unserem Blindenhilfswerk einsperren, wie viele Leute denken.“

„Die Sicht der Anderen“, Boulevard Berlin, Schloßstraße 15, Steglitz, bis zum 21. 10. jeweils von 10 bis 20 Uhr; www.blindenhilfswerk-berlin.de; Informationen zum Europäischen Monat der Fotografie (19. 10. bis 25. 11.) unter www.mdf-berlin.de

Mehr zum Europäischen Monat der Fotografie auf Seite 23

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