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Hier ist Berlin garantiert schneesicher. (Gesehen bei "Berlin Story" Unter den Linden)

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Souvenirs: Hauptstadt der Flocken

Berlin im Winter ist schon lange nicht mehr schneesicher, und das wird sich kaum ändern. Wer auf weiße Pracht vor heimatlicher Kulisse nicht verzichten will, kauft sich eine Schneekugel.

Egal, ob nun Frau Holle dieser Tage ihre dicken Federbetten, nur die Kopfkissen oder gar nichts ausschüttelt – die alte Dame ist hierzulande ziemlich unzuverlässig geworden. Berlin im Winter schneesicher? Keine Chance. Man wird also, schon vor dem Hintergrund der oft beschworenen Klimaerwärmung, Vorsorge treffen müssen, will man auf Flockengestöber als unverzichtbares Element winterlicher Behaglichkeit nicht verzichten. Schneebälle im Eisfach oder ein Schneemann in der Kühltruhe, ja, geht auch, ersetzt aber nicht den Anblick leise rieselnden Schnees vor heimatlicher Kulisse.

Doch es gibt Abhilfe, und die ist gar nicht mal teuer, wird in einschlägigen, auf Touristenbedürfnisse spezialisierten Geschäften gleich dutzendfach angeboten: die Schneekugel. Einmal wackeln, schon schneit es. Das Sortiment ist schier unüberschaubar, geht über winterliche Motive weit hinaus. Manche Menschen sammeln die Halb- und Vollkugeln sogar, kommen schon mal auf mehrere 1000 Exemplare. Sogar Walter Benjamin, von Theodor W. Adorno persönlich ist das verbürgt, frönte dieser Leidenschaft.

Bevor sie zur Sucht wird, sollte man sich thematisch beschränken, auf Berlin beispielsweise. Hierzulande schon daher naheliegend, weil die Schneekugel berlin-brandenburgische Wurzeln hat. Zwar soll die Kugel im engeren Sinne der Wiener Erwin Perzy Ende des 19. Jahrhunderts erfunden haben, doch es gibt Vorläufer. Vorneweg Leonhard Thurneysser, Universalgelehrter, Apotheker, Wunderheiler und manches mehr am Hofe des brandenburgischen Kurfürsten Johann Georg. Zentraler Ort seines Wirkens war die ihm zugewiesene Wohnung im ehemaligen Franziskanerkloster, der heutigen Ruine in der Klosterstraße in Mitte, doch hielt er sich von 1571 bis 1584 auch oft auf Burg Grimnitz in der Uckermark auf und leitete dort den Aufbau der Glashütte, eine Tradition, die ein Verein dort noch immer wachhält (www.glashuettegrimnitz.de).

Leonard Thurneysser erfand 1572 einen Vorläufer der Schneekugel.
Leonard Thurneysser erfand 1572 einen Vorläufer der Schneekugel.

© Wikipedia

Im Auftrag Thurneyssers soll dort 1572 eine Art Vorläufer der Schneekugel angefertigt worden sein, eine mit Wasser gefüllte Glaskugel mit darin schwimmenden Vögeln – eine vielfach durchs Internet geisternde, dort leider nicht belegte Angabe. Schon glaubwürdiger ist da die Information aus einem Buch über Thurneysser von 1783, wonach dieser ein Gebilde aus zwei ineinandergefügten Glaskugeln entworfen haben soll, die innere ein gläserner Vogelbauer mit ebensolchem Piepmatz, die äußere gefüllt mit Wasser und gläsernen Fischen. Den Zeitgenossen erschien das wie Zauberei, Thurneysser soll deswegen einige Probleme bekommen haben.

Das ist mit den aktuellen Berliner Schneekugeln nicht zu befürchten. Ein überschaubares, gleichwohl vielfach monotones Feld, wie ein Streifzug durch die einschlägigen Läden zeigt. Das Angebot reicht von „originell“ bis „geschmacklos“, mit „kitschig“ als sehr breitem Mittelfeld. Absoluter Hit unter den Berliner Schneekugelmotiven: das Brandenburger Tor, selbst bei grobschlächtigster Ausformung noch immer durch die sechs Säulen leicht zu identifizieren. Es gibt das Tor in diversen Größen und Preisklassen, der Sockel mal nur mit dem Schriftzug „Berlin“ geschmückt, mal mit einer halb plastischen Darstellung Berliner Wahrzeichen, darunter wiederum das Tor, dazu Fernsehturm, Reichstag, Gedächtniskirche und Siegessäule als unverzichtbare Dekoration. Teilweise sind diese Zutaten mit in die Kugel hineingeraten und werden nun ebenfalls beschneit.

Als Einzelmotive gibt es neben dem Tor auch Fernsehturm und Reichstag, ebenso den Berliner Bären, mal als knuddeligen Teddy, mal als ein an den Berlinale-Bären von Renée Sintenis angelehntes Exemplar. In einer Luxusversion sitzt der Bär auf zwei Koffern, daneben ragt die Kugel mit dem obligatorischen Tor.

Offenbar gibt es aber tatsächlich Schneekugelfreunde, die sich lieber den Vopo Conrad Schumann ins Regal stellen, wie er am 15. August 1961 mit kühnem Sprung über den Stacheldraht in den Westen entkommt. Den Sockel ziert in diesem Fall der sozialistische Bruderkuss Breschnew/Honecker von 1979 – was sich der Glaskugeldesigner dabei gedacht hat, bleibt sein Geheimnis.

Auch die Mauer selbst taucht im Schneegestöber auf, etwa als Minisegment der East Side Gallery mit hindurchbrechendem Trabbi, auf dem Sockel mitunter Thierry Noirs dicklippige Riesenköpfe in Schrumpfversion, sehr grob modelliert, wie oft bei diesen Souvenirs.

Weitaus origineller wirkt dagegen eine kleine Schneekugel-Serie der beiden französischen Designer Jean Sébastien Ides und Ivan Duval. Einziges Bauwerk unter der Glaskuppel: die Mauer, allerdings in janushafter Gestalt. Gerade noch hat man ihre kunterbunte Seite „West Berlin 1961–1989“ bewundert, graffiti-beschmiert oder auch mit Bruderkuss, dreht die Kugel um – und hat vor sich die Mauer grau in grau: „East Berlin 1961–1989“. Ein Souvenir nicht ohne Witz, wenngleich es 26 Jahre zu spät kommt.

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