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Berliner Photoautomat: Die Geschichte eines Kultobjektes

Mein Bild von mir: Wer stellt eigentlich die Photoautomaten im Retrolook auf, die überall herumstehen?

Neulich erst erlebt. Straße lang gelaufen, Augen gar nicht richtig auf gehabt, Termine, Termine, außerdem die Standardstrecke, Weserstraße Richtung Hermannplatz, alles tausend Mal gesehen, auch die hässliche Häuserlücke. Dann ein Ruck, alle Maschinen stop, das Auge meldet ein unbekanntes Objekt ans Großhirn: eckig, signalrot, Kabine mit Vorhang – ah, ein „Photoautomat“. Die Mundwinkel heben sich zum Lächeln, das wird ein guter Tag.

15 dieser so beschrifteten, vergnüglichen Boxen im Retroschick stehen inzwischen in der Stadt. Vornehmlich da, wo’s szenig ist. In Prenzlauer Berg, Mitte, Friedrichshain, Kreuzberg und nun auch in Neukölln. „Photographiere dich selbst!“, steht auf jedem. Vier Aufnahmen kosten zwei Euro. Der neue in Neukölln stamme aus Spanien, sagt Asger Doenst, der rund 20 dieser vor der Schrottpresse geretteten Geräte in Lichtenberg lagert. Er und sein Freund Ole Kretschmann sind die Männer hinter den Maschinen. Seit acht Jahren schon. Da fing das segensreiche Werk mit dem ersten Photoautomaten am Rosenthaler Platz, Ecke Weinbergsweg an.

Dem stillen Zauber der musealen Apparate aus den Sechzigern, die ihre grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fotostreifen analog entwickeln, sind die beiden in Zürich erlegen. Da haben der Kameramann aus Prenzlauer Berg und der Drehbuchautor aus Mitte 2003 irgendwas für ein Kunstprojekt zu tun, stolpern in einen dieser in der Schweiz von zwei greisen Brüdern namens Balke betriebenen Automaten und sind baff. „Die Qualität der Fotos ist so was von geil“, sagt Doenst. Und Kretschmann, der eh gerade verschärft nach einer Geldverdienidee fahndet, die origineller als ein Bürojob ist, weiß gleich: Das ist sie. Diese in ihrer Einfachheit so genialen Dinger gehören nach Berlin.

Hat funktioniert. Die Leute lieben die Photoautomaten. Verliebte, Clubgänger, Schüler, Passanten, alle, die sich gerne mal ein Bild von sich oder für andere machen. Briefe, Mails, Anrufe und zugeschickte Fotos zeigen Doenst und Kretschmann: ihre Geräte haben eine Gemeinde. Schon 2007 gab’s in Köpenick die erste Hochzeit eines Paares, das sich im Automaten einst den ersten Kuss gegeben und fürs Fest dann einen als Volksbelustigung gemietet hat.

Modefotoshootings, Ausstellungen und Bücher haben die Kabinen längst zum Kunstobjekt oder wenigstens Kunstgimmick geadelt. Einer stand auf der Documenta, einer steht in der Fotogalerie C/O Berlin. Auswärtige Ableger gibt es in Hamburg, Köln, Leipzig, London oder Florenz. Doenst und Kretschmann sind inzwischen Ende 30, leben davon und beschäftigen Kumpels, die ihnen bei der täglichen Wartung helfen. Wie geht das im Ausland? Da machen das Freunde oder Verwandte von uns, sagen sie. Kretschmanns Schwester etwa ist Schauspielerin am Burgtheater. Sie kümmert sich um den Apparat im Wiener Museumsquartier.

"Du musst dir die Hände schmutzig machen."

Asger Doenst und Ole Kretschmann (von links) am und in ihrem Photoautomaten am Moritzplatz. Sie betreiben die lustigen Apparate.
Asger Doenst und Ole Kretschmann (von links) am und in ihrem Photoautomaten am Moritzplatz. Sie betreiben die lustigen Apparate.

© Doris S.-Klaas

Irgendwelchen Fremden eins der kostbaren Geräte anzuvertrauen kommt den beiden nicht in den Sinn. Sind schließlich ihre Babys, die sie unter Schmerzen zum Laufen bringen. „Das ist Handwerk. Du musst dir die Hände schmutzig machen“, sagt Kretschmann. Haben sie getan und sind bei der inzwischen längst geschlossenen Firma Balke in die Mechanik gekrochen, haben Kurse in Elektrik gemacht, sich Nächte um die Ohren gehauen, gebastelt, geschraubt, verlorenes Wissen wiedergeholt, Deutschland nach Fotopapier abgesucht. Die meisten Ideen enden im Nichts, sagt Kretschmann, aber diese sollte partout Wirklichkeit werden. „Wir wollen, dass die Dinger laufen.“ Und zwar nicht, weil sie nostalgisch sind, sondern weil Technik und Qualität überzeugen. „Genau deswegen soll es sie weiter geben“, sagt Doenst.

Fast ein bisschen komisch zu sehen, wie ein verwuschelter Jeanstyp wie Ole Kretschmann, kaum dass er beim Treffen am Moritzplatz sein Fahrrad angeschlossen hat, gleich anfängt, Plakate von der 1,5 Quadratmeter und 500 Kilo schweren Box vor dem Modulor-Haus abzureißen. „Ist ja keine Litfaßsäule“, sagt er und dass es ein ewiger Kampf sei, die Automaten in gutem Zustand zu halten. „Nicht super clean, aber so, dass sich die Leute drin wohlfühlen“, pflichtet Asger Doenst bei. Was etwa beim Photoautomaten am Kottbusser Tor neben Kaiser’s nicht so ganz einfach ist. Das sei ihr intensivster, krassester Stellplatz, sagt Doenst und erinnert sich lebhaft, wie er am Aufstelltag mitten in der Fixerszene erst mal mit literweise Desinfektionsmittel menschliche Ausscheidungen weggeputzt hat.

Die Kabine ist eine Schnittstelle zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre. Das macht, dass drinnen in intimer Enge auch schon mal was anderes passiert als Fotos machen. Es ist ein romantischer Ort, ein Imaginationsraum, finden Doenst und Kretschmann, wo jeder gesellig oder allein in vier Bildern gestalten kann, was immer er will. Also doch Kunst im öffentlichen Raum? Den Begriff brauche er nicht, zuckt Kretschmann die Achseln. Und Doenst sagt: „Das ist keine Kunst und auch keine Dienstleistung, sondern einfach ein Berlin-Projekt.“

Und zwar eins, dass seit ein paar Monaten außer der fortlaufenden Suche nach vermietungswilligen Grundstückseignern ein ganz neues Problem hat – Lärmbeschwerden. Wieso Lärm, die Dinger sind doch still? Asger Doenst zuckt ratlos die Schultern: „Einigen Anwohner ist das Lachen der Leute zu laut, die ihre Fotos aus dem Schlitz holen.“ Für den wegen Bauarbeiten einstweilen weggeräumten Automaten in der Kastanienallee muss deswegen ein Ersatzplatz verhandelt werden. Und – seltsame Großstadt – sogar gegen den auf der Neuköllner Partymeile Weserstraße gibt’s Beschwerden.

So lange der Photoautomat noch da steht, also schnell mal zu zweit rein. Klong, verschwindet die Münze im Schlitz. Gedrängel auf dem Hocker. Blitz, huch, der fotografiert ja schon. Blitz, Mist, gekichert. Blitz, das Knutschfoto sitzt. Blitz, Passfoto fertig? Draußen stehen und warten. Fünf Minuten sind eine Ewigkeit. Der Apparat rackert und brummt. Klack, der feuchte Streifen fällt in die Halterung. Wo ist der lustige Föhn vom Automaten am Moritzplatz? Hat dieser nicht. Die Fotos sind bescheuert, aber nett. Lachen, Schreck und Hand vorn Mund – bloß nicht zu laut.

Ein Lageplan der Geräte im Netz: www.photoautomat.de

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