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Berlin, Gropiusstadt. Wohnriesen, soweit das Auge reicht. Der Fotograf Alexander Rentsch hat einen Bildband über Berliner Großsiedlungen jenseits des S-Bahnrings verfasst. - Foto: Alexander Rentsch

© Alexander Rentsch

Bilder einer geteilten Stadt: Berlin, hinter dem S-Bahnring

Das Bild Berlins als szenige Kreativmetropole strahlt in alle Welt. Zu den Großsiedlungen am Rande der Stadt passt es nicht, findet der Fotograf Alexander Rentsch.

Karaoke im Mauerpark, durchtanzte Nächte und die Wände voller Street Art. Überall Plakate, die sich in dicken Schichten um Ampelmasten wickeln und irgendwann als schwerer Batzen voller Partytermine auf den Bürgersteig fallen. „Die Klassenfahrt war spektakulär, also zog ich her“, sagen Zwanzigjährige: „In die geilste Stadt der Welt“. Es sind Berlin-Klischees, die haften bleiben und weltweit funktionieren. Die Imagekampagne des Senats greift sie dankbar auf: „So günstige Hotelzimmer und trotzdem geht keiner schlafen“, textet "Be Berlin" über einen Thekenflirt.

Den sozialen Riss sichtbar machen

Grotesk nennt der Fotograf Alexander Rentsch die vielen Berlin-Hymnen. Sie erzählen nicht die Wahrheit über seine Stadt, zeugen eher von der übermächtigen Ausstrahlung einiger Innenstadtquartiere. Der 31-Jährige sieht die Lebenswirklichkeit von Berlin-Bewohnern ausgeklammert, die jenseits des S-Bahnrings leben. In der öffentlichen Wahrnehmung fehlen ihm Menschen, die wegen der gestiegenen Mieten aus der gentrifizierten Innenstadt in die Außenbezirke gezogen sind - oder schon immer dort wohnten. Den oft beklagten sozialen Riss durch die Stadt will er durch düstere Bilder vom Stadtrand räumlich greifbar machen.

Das Scheitern der guten Absicht

Rentsch hat dem Thema einen Bildband gewidmet - und seine Abschlussarbeit in Kommunikationsdesign. „Dystopia“ nennt er sie, oder: Das Scheitern der guten Absicht. Er zeigt darin menschenleere Ansichten Berliner Großsiedlungen, vom Märkischen Viertel über Kaulsdorf Nord bis zur Gropiusstadt. Düster sehen seine Aufnahmen aus, beklemmend. Es wirkt fast so, als seien viele der bekannten Probleme dieser Viertel schon in der Architektur angelegt. Doch mutwillig hat kein Planer, im Osten wie im Westen, soziale Brennpunkte geschaffen.

Umgeben von Maschendrahtzaun und Stahl: S-Bahnhof Marzahn.
Umgeben von Maschendrahtzaun und Stahl: S-Bahnhof Marzahn.

© Alexander Rentsch

Alexander Rentsch ist in der Wustrower Straße in Neu-Hohenschönhausen aufgewachsen - glücklich, wie er sagt. In den Jahren nach der Wende sei das soziale Gefüge jedoch nach und nach auseinandergebrochen. Wer es sich leisten konnte, bezog ein Eigenheim im Umland oder wanderte in die Innenstadt ab. Leerstand und Vandalismus breiteten sich aus, das Leben in den Wohnblöcken wurde anonymer.

Leerstand, Vandalismus, Neonazis

Mitte der Neunziger Jahre waren Neonazis an so vielen Orten präsent, dass sich Rentsch bald abends nicht mehr in Richtung Innenstadt wagte. Spätestens auf dem Heimweg standen die Rechten am Bahnhof Lichtenberg, in Friedrichsfelde Ost oder am Lindencenter in der Falkenberger Chaussee. Ihre Gewaltbereitschaft musste er am eigenen Leib erfahren. Richtig schlimm wurde es ab 2004, sagt er, vier Jahre später zog er nach Friedrichshain.

Architektur der Verwahranstalten

Märkisches Zentrum, Reinickendorf: Aufgang 26 sieht wohl aus wie alle anderen, die sich hinter wuchtigen Säulen verbergen. - Foto: Alexander Rentsch
Märkisches Zentrum, Reinickendorf: Aufgang 26 sieht wohl aus wie alle anderen, die sich hinter wuchtigen Säulen verbergen. - Foto: Alexander Rentsch

© Alexander Rentsch

Nach den Stadtbildern seiner Jugend brauchte Rentsch nicht lange zu suchen. Zementgraue Plattenbauten, so eng aneinander gebaut, dass ganzen Flügeln das Licht fehlt. Schier unendliche Reihen gleichförmiger, nur durch Nummern zu unterscheidende Hauseingänge zwischen meterdicken Säulen. Trostlose Flure, asphaltierte Spielplätze mit einsamen Wackelschildkröten. Die DDR, so sagt Rentsch, habe nicht daran gedacht, dass Menschen an ihrem Wohnort nicht nur schlafen und essen wollen. Es gab kaum Freizeitangebote. Eine Begegnungsstätte zeigt Rentsch dem Betrachter, es ist eine Bierbar. Entstanden ist eine Architektur der Verwahranstalten, die der Fotograf etwas abgewandelt auch am westlichen Stadtrand findet.

Keine Abrechnung mit den Großsiedlungen

Trotz der düsteren Fotos soll der Bildband keine Abrechnung mit dem Plattenbau-Berlin sein, das ist Alexander Rentsch wichtig. Er wolle nicht ganze Stadtteile pauschal zu einer Vorhölle stilisieren, sagt er. Seine Sicht ist bewusst überzeichnet, aber von der Übertreibung lebt schließlich auch der Hype um die Partymetropole Berlin.

Eine rundweg negative Sicht passt auch nicht mehr zur Lage von heute in den Berliner Hochhaussiedlungen. Zwar bleibt die Jugendgewalt in einigen Randlagen auf einem hohen Niveau, doch Verhältnisse wie in abgehängten französischen Banlieues sehen Experten in Berlin nicht. Jahre des Quartiersmanagements haben Brennpunkte von einst entschärft und wieder lebenswert gemacht. Viele Häuser sind voll vermietet, Wohnungsbaugesellschaften kämpfen mit Projekten wie dem Marzahner "Skywalk" gegen den schlechten Ruf. Lagen am Stadtrand können auch durch das viele Grün in der Umgebung überzeugen, das erkennt auch Alexander Rentsch an. Auf seinen Bildern sieht es allerdings häufig so aus, als würden die Bäume und Sträucher mühsam durch Beton in Schach gehalten.

Alexander Rentsch sieht immer wieder den Versuch etwas aufzuwerten, das nicht zu retten ist. Ein beklemmendes Gefühl lässt sich nicht an jeder Ecke durch riesige Wandgemälde oder neue Balkone beseitigen.

Fotograf Alexander Rentsch
Fotograf Alexander Rentsch

© Privat

Alexander Rentsch ist 31 Jahre alt und hat in Berlin den Studiengang Kommunikationsdesign abgeschlossen. Er ist außerdem ausgebildeter Fotograf, Informatiker und Medienmanager. Der Bildband Dystopia ist erschienen auf der Self-Publishing-Plattform blurb, hat 180 Seiten und kostet 76,24 Euro.

Liebe Leserinnen, liebe Leser: Wie erleben Sie das Berlin jenseits des S-Bahnrings? Senden Sie Ihre Fotos an leserbilder@tagesspiegel.de!

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