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Berlin vor der Wahl: Kampf um die Mitte

Die grüne Ex-Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer will Bürgermeisterin im Bezirk werden. Sie tritt gegen SPD-Amtsinhaber Christian Hanke an – und sagt, sie bleibe auf jeden Fall in der Lokalpolitik.

Von Sabine Beikler

Jetzt muss Andrea Fischer eine Parteifreundin vor dem Redefluss eines interessierten Bürgers retten. Die 51-Jährige unterbricht den Monolog über Strahlungskräfte nach Tschernobyl charmant und bittet die Grünen–Mitarbeiterin, ihr am Wahlkampfstand vor der Ackerhalle in der Invalidenstraße zu helfen. Trotz des kalten Morgens hat die Gesundheitsministerin a. D. gute Laune. Sie möchte nach zehnjähriger Abstinenz auf die politische Bühne zurückkehren: nicht in die Bundes- oder Landespolitik, sondern als Bezirksbürgermeisterin in das Rathaus Mitte. Doch die Konkurrenz ist stark.

Mitte ist traditionell eine Hochburg der SPD, die seit 2006 mit Christian Hanke den Bürgermeister stellt. Bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung 2006 kam die SPD auf 32,6 Prozent der Stimmen vor der CDU mit 19,5 Prozent, den Grünen mit 18,1 Prozent, den Linken (12,4 Prozent) und der FDP (5,9 Prozent). Laut Prognose des Wahlinformationsdienstes election.de im Auftrag des Tagesspiegels dürfte die SPD ihre Stellung als stärkste Partei verteidigen, auch wenn die Grünen im Vergleich zu 2006 stärker werden. Christian Hanke hat aber gute Chancen, sein Amt zu behalten. Seine größten Konkurrenten sind Stadtrat Carsten Spallek (CDU) und eben Andrea Fischer. Mit der Prominenz ihrer Kandidatin wollen die Grünen in Mitte punkten. Selbst wenn sie nicht die Mehrheit hätte, könnte Fischer mit Unterstützung anderer Parteien gewählt werden. Allerdings siegte auf diese Art auch schon mal ein CDU-Mann: 2001 wurde Joachim Zeller dank PDS (heute Linke) und Grünen wieder Bürgermeister. Das Nachsehen hatte – Christian Hanke.

Gedankenspiele über Sitzverteilungen stellen die Kandidaten jedoch noch nicht an – das sagen sie zumindest. Hanke steht an diesem Morgen vor einem Penny-Markt im Soldiner Kiez und wartet auf das Wahlkampf-Auto mit Material. „Die Stimmung ist gut“, sagt der 48-Jährige. Das „Mietenthema“ sei in seinem Bezirk, ob Wedding, Tiergarten-Süd oder der alten Mitte, das wichtigste Anliegen der Einwohner. Hanke will einen sozial ausgewogenen Bezirk, in dem alle Schichten leben können. Damit Besserverdienende nicht wegziehen, müsse das Wohnumfeld verbessert werden. „Wir wollen in Berlin kein London, kein Paris“, sagt Hanke, „wo sozial Schwache in die Randgebiete gedrängt werden“.

In Mitte mit seinen rund 330 000 Einwohnern prallen Welten aufeinander: Politiker, Szenegänger, aber auch Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger, Migranten und Jugendliche ohne Berufsperspektive. Neben Schicki-Micki in der Neuen Mitte beheimatet der Bezirk auch den grünen Tiergarten mit Hansaviertel, das Botschaftsviertel im Süden und den Wedding mit sozialen Brennpunkten wie Gesundbrunnen, Leopoldplatz und Soldiner Straße. Im März hat der Senat neue Sanierungsgebiete in sozial benachteiligten Kiezen festgelegt, darunter die Turmstraße, die Müllerstraße und die nördliche Luisenstraße in Mitte.

Mitte lebt auch von den vielen Touristen, den Nachtschwärmern, die ausgedehnte Kneipen- und Bartouren unternehmen. Dass viele Wohnungen im Bezirk in Ferienwohnungen umgewandelt werden, sei nicht nur im Regierungsviertel, sondern auch in Wedding oder Moabit zu beoabachten, erzählt Hanke. „Touristen laufen auch mit Rollkoffern durch den Soldiner Kiez.“ Der SPD-Bürgermeister ist für die Wiedereinführung des Zweckentfremdungsverbots. Und er ist wie die Grünen für eine Touristen-Citytax. „Die Einnahmen sollen für die touristische Infrastruktur verwendet werden.“ Er will das Wegweiser-System für Fußgänger verbessern. Nicht nur im Regierungsviertel, sondern auch in anderen Ortsteilen. „Warum nicht hier im Soldiner Kiez?“, sagt Hanke.

Lesen Sie weiter und erfahren Sie etwas über die Pläne von Andrea Fischer.

Die Aufwertung von Kiezen steht auch bei Andrea Fischer ganz oben auf der politischen Agenda. „Sensibel“ müsse man einwirken, mit den Wohnungsgesellschaften und den Schulen reden. Ihr sind leerstehende Ladenwohnungen in Moabit aufgefallen. „Die könnte man doch Projekten zur Verfügung stellen“, sagt sie. Und dann die vielen Spielhallen und Wettbüros, die sie sehe. Trotz des Spielhallengesetzes „tut der Senat nichts dagegen“. Sie plädiert für eine „Politik der Nadelstiche“, für regelmäßige Kontrollen der Spielhallen, um illegale Wetten zu unterbinden.

Andrea Fischer will die Bürger stärker in die Politik einbeziehen. Partizipation ist ihr Credo. „Es gibt sehr aktive Bürgerplattformen, die man unterstützen muss“, sagt die grüne Kandidatin. Und sie will in Mitte die Autonomie der Schulen stärken und die Eltern in Entscheidungen stärker einbeziehen. „Die Eltern wollen doch, dass ihre Kinder etwas lernen.“ Sie will „Brücken bauen“ zwischen der Poitik, den Schulen und den Eltern. „Kein Kind in Mitte darf die Schule ohne Abschluss verlassen.“

Hanke und Fischer sehen sich als politische Wettbewerber, nicht als Gegner. Andrea Fischer möchte nach der Wahl weiter in der Bezirkspolitik aktiv sein. „Ich mag die Menschen hier im Kiez, das sind alles freundliche und interessierte Bürger“, sagt sie. Christian Hanke kann sich eine Zusammenarbeit auch vorstellen. Nach dem Straßenwahlkampf an diesem Morgen sind die beiden Kandidaten auf einen Kaffee verabredet.

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