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Menschenkette für traditionelle Beleuchtung: Streit um Berliner Gaslaternen geht in eine neue Runde

Mit einer Menschenkette wollen Gaslicht-Freunde gegen die Umrüstung der Berliner Gaslaternen demonstrieren. Die Debatte um die traditionelle urbane Beleuchtung ist weniger von Vernunft bestimmt, aber von viel Gefühl.

Der Streit um die Berliner Gaslaternen wird schärfer, seit die Umrüstung läuft. Mit einer Menschenkette ums Amtsgericht Charlottenburg wollen die Freunde des warmen Schummers am nächsten Sonnabend gegen die bevorstehende Demontage gasbetriebener Laternen in dem Kiez protestieren. Spätestens seit der von gut 20 000 Menschen unterschriebenen Petition für die Erhaltung und dem von Schauspieler Ilja Richter organisierten Soli-Abend in der Komödie am Kurfürstendamm kann sich der Verein „Gaslicht-Kultur“ vieler Unterstützer sicher sein. Er sieht in der Umrüstung auf elektrischen Betrieb eine Lobby-Aktion von Elektrobranche und Senat, die auf Kungelei und falschen Behauptungen beruhe: Angeblich seien Gasleuchten ineffizient und teuer, zu aufwendig zu warten, klimaschädlich, störanfällig, marode, schreibt der Verein und resümiert: „Unabhängige Fachleute haben diese Behauptungen eindeutig widerlegt!“

Einer, der es wissen müsste, ist Stephan Völker. Der Professor leitet das Fachgebiet Lichttechnik an der TU und betont, er sei unabhängig vom Senat. Doch er bestätigt dessen Argumente: Die zunächst fälligen gut 8000 Gasreihenleuchten samt ihren „Peitschenmasten“ – sie stehen überwiegend an Hauptstraßen der Westbezirke – seien nach rund 60 Jahren am Ende ihrer Lebenserwartung und obendrein Energieschleudern sondergleichen. Ihre je nach Modell vier, sechs oder neun Brenner hätten Anschlusswerte von je 250 Watt. Fast 98 Prozent davon würden als Wärme vergeudet. „Wir haben also nur halb so viel Lichtausbeute wie bei den Glühlampen, die wegen ihrer Ineffizienz gerade europaweit verboten wurden“, resümiert Völker. Dass der Strom erst im Kraftwerk erzeugt werden muss, verringert zwar den Vorsprung jeglicher Elektroleuchten, ändert aber nicht die Tendenz: Statt 1350 nur noch 110 Kilo CO2 pro Jahr bei einer sechsflammigen Leuchte, statt 550 nur noch 50 Euro Betriebskosten pro Stück und statt 49 nur noch 1,4 Gigawattstunden Energiebedarf fürs Jahr bei Ersatz aller Gasreihenleuchten hat die Stadtentwicklungsverwaltung ermittelt. Der CO2-Ausstoß sinke um 9200 Tonnen pro Jahr, was der Klimabilanz von 1600 Durchschnittsberlinern entspricht. Völker hat die Berechnung geprüft und für seriös befunden. Bertold Kujath, der Vorsitzende des Gaslichtvereins, erwartet dagegen, dass der Gaspreis sinken und der Strom immer teurer wird. Auch sei es „der völlig falsche Weg, ein Denkmal unter Energie- und CO2-Gesichtspunkten zu betrachten“. Wobei die Laternen nicht denkmalgeschützt sind.

Statt der Gasreihenleuchten kommt „Jessica“, ein Modell des Herstellers Selux. Verdächtig findet das Bertold Kujath, weil der damalige Firmenvorstand Peter Marx zugleich Berater des Senats gewesen sei. Marx, der bis zu seiner Pensionierung an der damaligen TFH ebenfalls Professor für Lichttechnik war, kontert: Zum einen sei er nicht im Vorstand, sondern im Aufsichtsrat von Selux gewesen. Seine angebliche Beratertätigkeit für den Senat sei „eine frei erfundene Behauptung“. Und Selux habe sich in einer europaweiten Ausschreibung durchgesetzt.

Dass „Jessica“ bei den Gaslicht-Fans durchfällt, liegt auch an der darin verbauten Leuchtstofflampe. Anwohner aus dem Berliner Süden – in Lichterfelde ist die Umrüstung bereits fortgeschritten – seien „entsetzt“, berichtet Kujath. Mit Leuchtdioden (LEDs) hätte sich der Charakter der Gaslaternen besser bewahren lassen, allerdings war und ist diese Technik laut Senat noch immer übermäßig teuer. Langfristig dürfte sie allerdings das Rennen machen: In Völkers Büro steht eine historische Aufsatzleuchte, in der LEDs im Gaslichtton glimmen. 2010 habe er die Laterne neben einer echten Gasleuchte aufgestellt, sagt Völker. Zwei Gaslichtfreunde seien „eine Stunde drum herumgeschlichen und haben keinen Unterschied gefunden“. Kujath bestätigt, damals dabei gewesen zu sein – und widerspricht: Völkers Nachbau sei „von der Lichtqualität schon sehr gut“, aber selbstverständlich unterscheidbar gewesen. Sein damaliger Begleiter kann sich nicht erinnern. So stehen Aussage gegen Aussage, Versöhnung ist nicht in Sicht.

In Charlottenburg-Wilmersdorf haben die Bezirksverordneten Ende Oktober beschlossen, dass das Bezirksamt beim Senat einen „Zukunftsplan Gasbeleuchtung“ für Teile der City West einfordern und bis dahin die Umrüstung vieler Ku’damm-Seitenstraßen stoppen solle. Die Chancen stehen jedoch schlecht, weil das Abgeordnetenhaus schon vor Jahren 29,5 Millionen Euro für die Umstellung bewilligt hat und die neuen Lampen laut Senat schon gekauft sind. Nur 230 Gasreihenleuchten sollen bleiben.

Noch emotionalere Zeiten dürften 2013 kommen, wenn sich das Parlament auch mit den drei anderen Gaslaternentypen befasst. Die sogenannten Aufsatz-, Hänge- und Modellleuchten („Schinkel- Leuchten“) sollen ab 2016 umgerüstet werden. Anders als bei den jetzt fälligen Reihenleuchten zeichnet sich allerdings eine sehr große Koalition für die Erhaltung der Laternenform ab. Über ihr künftiges Innenleben besteht dagegen noch viel Gesprächsbedarf.

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