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Das Rote Rathaus in Berlin.

© imago/Caro

Berliner Landespolitik: Rot regiert seit 25 Jahren

Die Berliner Genossen stoßen demnächst im Rathaus Schöneberg mit einem Glas Sekt darauf an, dass die Partei in der Hauptstadt seit 25 Jahren ohne Unterbrechung an der Macht ist. Ihre Regierungszeit war nicht immer leicht.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Freundlich, aber bestimmt – so werden Koalitionen beendet. „Sehr geehrter Herr Diepgen“, schrieb der damalige SPD-Landeschef Peter Strieder am 11. Juni 2001 an den Regierenden Bürgermeister. „Ich danke für die Zusammenarbeit in den vergangenen zehn Jahren in der großen Koalition, ich möchte Ihnen für Ihren persönlichen Einsatz in diesen wichtigen Jahren gemeinsamer Politik für die Berlinerinnen und Berliner meinen aufrichtigen Dank aussprechen.“

Wenige Tage später saß Klaus Wowereit im Roten Rathaus, gewählt von einer rot-rot-grünen Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Die Berliner Sozialdemokraten stellten wieder den Regierenden Bürgermeister, nachdem sie ein Jahrzehnt als Juniorpartner der CDU in der Landesregierung saßen. Keine einfache Zeit für die SPD, sie verlor in den neunziger Jahren drei Wahlen. Von einer „babylonischen Gefangenschaft“ unter der Knute der Union sprachen die leidenden Genossen. Trotzdem regierten sie mit. Seit Anfang 1989 saßen die Sozialdemokraten in jedem Berliner Senat. Seit 25 Jahren! Das wird gefeiert, beschloss der SPD-Landesvorstand am Montag, nachdem die Parteiführung dem schwer angeschlagenen Regierungschef Wowereit einstimmig und pflichtgemäß den Rücken gestärkt hatte.

Sektempfang mit Walter Momper

Es wird einen Sektempfang im Rathaus Schöneberg geben, am 17. März. Walter Momper hat schon zugesagt. Das ist der Mann mit dem roten Schal und breiten Scheitel, der vor einem Vierteljahrhundert überraschend die Wahl zum Abgeordnetenhaus gewann. Das war am 24. Januar 1989, an jenem Abend konnte der SPD-Spitzenkandidat noch nicht erfassen, was auf ihn zukam. „Rot-Grün, Rot-Grün“, riefen die Genossen auf der Wahlparty im Schöneberger Rathaus, außer Rand und Band. Da gab es noch West- und Ost-Berlin.

Die CDU, die seit Richard von Weizsäckers triumphalem Wahlsieg 1981 die eingemauerte Stadt regierte, in einem schwarz-gelben Bündnis, hatte sich verzockt. „Jede Menge Zukunft“ versprach die Union den missmutigen Wählern auf kunterbunten Plakaten. Und ein „Frohes neues Berlin“. Aber die Berliner wollten bezahlbare Mieten und mehr Wohnungen, der Umweltschutz wurde ein großes Thema und die Arbeitslosigkeit stieg. Die Stimmung schlug um, trotz des bis dahin noch recht populären CDU-Manns Eberhard Diepgen an der Regierungsspitze. 750 Jahre Berlin, Kulturhauptstadt Europas – das war passé. Die Leute wollten nicht mehr feiern, sondern vernünftig regiert werden.

Dennoch war es nicht einfach für die SPD, eine Koalition mit der Alternativen Liste (AL) zu schmieden. Amerikaner, Briten und Franzosen, die seit Kriegsende im Westen Berlins bei wichtigen politischen Entscheidungen das letzte Wort hatten, waren nicht amüsiert. Erst als Momper der linken AL ein Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates, zur Präsenz der Alliierten Mächte und den Bindungen Berlins an den Bund abgerungen hatte, war der Bann gebrochen. Am 16. März 1989 wählte die rot-grüne Mehrheit im Abgeordnetenhaus den 13-köpfigen Momper-Senat, in dem acht Frauen saßen. Das war ein Coup.

Herausforderung Mauerfall

Die Freude währte nicht lange, 20 Monate zofften sich beide Parteien heftig. „Wir haben den Fehler gemacht, dass aus jedem Problem ein Koalitionskonflikt wurde“, sagte die frühere Umweltsenatorin Michaele Schreyer (AL/Grüne) viele Jahre später. Der Mauerfall am 9. November, der eine riesige Herausforderung für die Stadtpolitik war, machte den Regierenden Bürgermeister Momper weltbekannt, überforderte aber die rot-grüne Koalition. Der Streit um die Räumung besetzter Häuser wurde zum Schlussakkord, bei der Wahl im Dezember 1990 triumphierten die Christdemokraten. Ihr Spitzenmann Diepgen kam wieder ins Amt, musste aber die SPD als Juniorpartner ins Boot holen.

Die große Koalition war für die Genossen eine schlimme Zeit, weil sich der orientierungslos gewordene SPD-Landesverband eigenhändig in die Einzelteile zerlegte und sein rasch wechselndes Führungspersonal zerschliss. Der Britzer Kreis der Parteirechten und der Donnerstagkreis der Linken schlugen sich gegenseitig die Beine weg. Bis 1999 wechselte dreimal der Parteivorsitz: von Momper über Ditmar Staffelt, Detlef Dzembritzki zu Peter Strieder. Bei der Wahl 1995 gingen die Sozialdemokraten erstmals mit einer Frau ins Rennen, aber die damalige Sozialsenatorin Ingrid Stahmer ging mit 23,6 Prozent der Wählerstimmen unter. Sie selbst sprach von einer „schrecklichen, unvorstellbaren Niederlage“.

Gescheiterte Fusion mit Brandenburg und neue Bündnisse

Ein tiefer Riss ging durch die Berliner SPD, die das Bündnis mit der CDU am liebsten sofort beendet hätte, aber nach heftigen innerparteilichen Kämpfen ihre Vertreter doch nicht aus dem schwarz-roten Senat zurückzog. „Verenden durch Regieren?“, fragte die linksalternative Tageszeitung. Und tatsächlich, es ging noch schlimmer. Vier Jahre später landeten die Sozialdemokraten bei 22,4 Prozent, einem Allzeit-Tief bis heute. Verzweifelt, aber erfolglos hatte die SPD in jenen Jahren nach neuen Zielen gesucht, um die Wähler wieder für sich zu gewinnen.

Die Fusion mit Brandenburg war das eine Megaprojekt, das scheiterte. Die Konsolidierung des Landeshaushalts, das andere große Vorhaben, zeigte zwar Erfolge, war aber höchst unpopulär. Auch in der SPD, denn der Landesverband drängte wieder stark nach links. 1999 wurde nicht der Fraktionschef und Parteirechte Klaus Böger in einer Mitgliederbefragung zum Spitzenkandidat gekürt, sondern der Ex-Regierende Walter Momper. „Unser Kläuschen Böger ist ein flotter Feger. Gibt er sich auch noch so keck, Diepgen fegt er niemals weg. Doch mit Kraft, geballter schafft das unser Walter!“ Solche schrägen Verse kursierten damals in der Partei.

Weiter mit der großen Koalition

Lustig war’s, aber geholfen hat es nicht. Trotzdem blieben die Sozialdemokraten auch nach der Wahl 1999 in der großen Koalition. Aber nicht nur die Jungsozialisten forderten einen „konsequenten Neuanfang“ als linke Volkspartei. Der starke Mann in der SPD wurde Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, der die Parteiführung übernahm und zwei Jahre später den Berliner Bankenskandal konsequent nutzte, um das Regierungsbündnis mit der CDU zu sprengen. Das ging nicht allein mit den Grünen, auch die PDS musste helfen. 2001 war es ein schwerwiegender Tabubruch, die Nachfolgepartei der SED als gleichberechtigten Partner an der Regierung zu beteiligen.

Auch in der Hauptstadt-SPD führte das zu Verwerfungen, aber es war der Königsweg, damit ein Sozialdemokrat wieder Regierender Bürgermeister werden konnte. Und der hieß Klaus Wowereit, ein bis dahin wenig bekannter früherer Tempelhofer Volksbildungsstadtrat und SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Er repräsentierte einen neuen Regierungsstil. Locker-leicht nach außen, beinhart nach innen und irgendwie links. Schwul und großstädtisch, weltläufig und kiezverbunden. So fing es an vor zehn Jahren mit Wowereit. Im Oktober 2001 fing er für seine Partei aus dem Stand heraus 29,7 Prozent der Stimmen und regierte ein Jahrzehnt mit den Linken.

Schwärmen von Rot-Rot

Das sei eine schöne Zeit gewesen, Rot mit Rot, schwärmen heute noch viele Genossen. Und sie hadern, dass es nach der Wahl 2011 im Streit um die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 nicht zu einer Koalition mit den Grünen kam. Rechnerisch wäre das möglich gewesen. Stattdessen setzte sich Wowereit durch, er wollte lieber mit der Union als Partner und einer komfortablen Parlamentsmehrheit weitermachen. Der Rest der Geschichte ist weitgehend bekannt. Und so können die Genossen demnächst ein Glas Sekt auf 25 Jahre ununterbrochene Regierungstätigkeit trinken.

So manchem in der Berliner SPD mag dies als Naturgesetz erscheinen. Denn bevor Richard von Weizsäcker nach Berlin kam und siegte, war die SPD schon einmal 26 Jahre am Stück Regierungspartei. Von 1955 (Otto Suhr) bis 1981 (Dietrich Stobbe). Und wer auch das noch wissen will: Am 17. März 2014 ist Klaus Wowereit 4657 Tage Regierender Bürgermeister. Ohne Unterbrechung, ein einsamer Rekord. Niemand kam ihm in dieser langen Zeit ernsthaft in die Quere.

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