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Die Neue. Diese Bierflasche hat die Glasformmaschine soeben neu hergestellt. Sie wird aus der Form aufs Band gehoben.

© Thilo Rückeis

Der Weg des Altglases: Größtmögliche Transparenz

Getrennt, gesäubert, geschmolzen: Pro Jahr werden 68.000 Tonnen Berliner Altglas zu neuen Flaschen und Gläsern. In Unternehmen wie der Glashütte Drebkau.

Wenn Olaf Perdoch von seinem „heißen Job“ erzählt, meint er das nicht im übertragenen Sinne. Der 46-Jährige zieht die Basecap ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Dann wendet er sich wieder einem lärmenden Monstrum zu, das er in der Glashütte in Drebkau bei Cottbus überwacht. Olaf Perdoch ist Industrieglasfertiger. Die Maschine bringt rot glühendes, verflüssigtes Altglas wieder in Form, macht es zu Glasbehältern und Flaschen. Am Ende schiebt sie mit ihren Greifern die neugeschaffenen Glasprodukte hinaus auf ein Förderband, tausende pro Stunde. Die wandern dann, noch zartorange leuchtend und mehr als 500 Grad heiß, schön aufgereiht an Olaf Perdoch vorbei und heizen ihm ein. Ab und zu nimmt Perdoch mit einer langen Zange eine Flasche vom Band der Glasformmaschine und prüft sie auf Schlieren oder Schmutzeinschlüsse. Beim kleinsten Makel fliegt die Flasche zum Ausschuss in einen Glascontainer.

68 000 Tonnen Altglas werden in Berlin jährlich eingesammelt und zunächst in Sortieranlagen am Stadtrand gebracht. Die mustern Kronkorken und andere Fremdkörper aus, dann zermahlen sie das Glas, getrennt nach Farben, zu kleinen Scherben. Nun bringen Laster einen Großteil dieseses Granulats zur Wiederaufbereitung in die Recyclingglashütten der Ardagh Glas GmbH in Neuenhagen bei Hellersdorf oder Drebkau bei Cottbus. Ein stattliches Sortiment wird dort hergestellt – von Bier- und Wodkaflaschen bis zu Gläsern für Spreewaldgurken oder Nougatcreme.

Mehr als zwölf Laster liefern dafür täglich 300 Tonnen Glasscherben nach Drebkau. Etwa die gleiche Menge wird dort täglich von 150 Mitarbeitern verarbeitet – zu einer Million Flaschen und Gläsern. „Das ist gut für die Umwelt“, sagt Werksleiter Matthias Wirth. Denn Altglas kann man beliebig oft recyceln, ohne Qualitätsverluste. Es wird erheblich weniger Energie verbraucht als bei der Neuproduktion von Glas aus einem Gemisch von Quarzsand, Kalk, Dolomit und einigen anderen mineralischen Stoffen.

Üblich ist allerdings ein Mix aus beiden Verfahren: So setzt die Drebkauer Hütte als Rohstoff rund 60 Prozent Altglasgranulat ein, ergänzt durch die klassische Mineralienmischung. „Dadurch müssen wir etwa 20 Prozent weniger Schweröl verfeuern, um das Gemenge auf 1300 Grad Celsius zu erhitzen und zu verflüssigen“, sagt Matthias Wirth. Denn Altglas schmilzt schneller als der beigefügte Quarzsand oder Kalk. Die Hütte würde den Anteil von Recyclingglas gerne steigern, möglich sind bis zu 80 Prozent. Aber dazu reicht ihr Nachschub nicht aus. Es wird noch nicht genügend Einwegglas in Berlin gesammelt.

Der schlanke Schlot der Glashütte am Rande der Stadt Drebkau ist schon von Weitem sichtbar. Am Werkstor stehen die Laster vormittags Schlange. Am Trichter, in den sie das Glasgranulat kippen, beginnt die erste Qualitätskontrolle. Ist der Rohstoff sauber genug? Stichproben werden gesiebt. Dann wandern die Scherben auf Bändern in die Lagersilos, werden dort wie beim Kuchenbacken nach genauen Rezepten mit den mineralischen Stoffen vermengt. Fertig ist der Mix für die 100 Quadratmeter große Schmelzwanne – das Herzstück der Hütte in einer riesigen Fabrikhalle.

Dieses Becken ist aus hitzebeständigen Steinen gemauert. Wie Lava brodelt und blubbert darin ein 2,50 Meter hoher See aus flüssigem Glas. Ein Brenner erzeugt extreme Hitze, seine Flamme schlägt meterlang über das grellrot leuchtende Bassin. Aus einer Klappe gleich daneben rieselt Rohstoff in dieses Inferno. Knapp eineinhalb Tage bleibt das Gemisch in der Schmelzwanne, so lange dauert es, bis alle Bestandteile restlos verflüssigt sind.

Bilder aus dem Inneren des Bassins liefert eine Kamera in die Zentralwarte der Hütte. Von hier aus überwachen Glastechniker auf ihren Bildschirmen die gesamte fast automatische Produktion.

Werksleiter Matthias Wirth führt über Leitern und Stege rund um die haushohe Schmelzwanne. Die Hitze nimmt einem den Atem, Flammen züngeln hinter schmalen Luken. Am „heißen Ende“, wie die Fachleute sagen, wird das zähflüssige Glas abgelassen, geschnitten und zu Tropfen portioniert – jeweils in der Menge für eine bestimmte Flasche oder ein Glas. Das sieht aus wie ein Feuerregen. Glutrote Tropfen jagen durch halboffene Röhren drei Meter hinab zu den Glasformmaschinen.

Dort schmiegen sich die Tropfen, noch 800 Grad heiß, in stählerne Hohlformen für die diversen Glas- und Flaschentypen. Sie füllen die Formen nur teilweise, denn: „Nun kommt der Clou“, sagt der Werkschef. „Das Handwerk des Glasbläsers vollbringen auch unsere Maschinen.“ Erst schließt sich die Form, dann wird Druckluft über Kanäle eingeblasen. Die Glasmasse bläht sich auf, wird an die Wände gepresst. Ein Vorgang, der sich im Sekundentakt wiederholt. Die Hohlform öffnet sich, die Flasche erscheint. Glasmacher Olaf Perdoch, Schichtleiter an der Maschine, greift sich wieder eine und ist zufrieden. „Perfekt“, sagt er. Gleichmäßige Wandstärke, ideale Rundungen und eine Öffnung, auf die später die Füllstutzen der Brauerei exakt passen.

Abmarsch zur nächsten Qualitätskontrolle. Auf Förderbändern, die sich wie Schlangen durch eine Nachbarhalle winden, durchlaufen die Kontrollkandidaten etliche Stationen, an denen sie elektronisch gecheckt und durchleuchtet werden. Nach mehr als hundert möglichen Fehlern wird gesucht: zu dicker Boden, die Wand zu dünn, zerbrechlich... Beim geringsten Makel pustet ein Druckluftstrahl die Flasche vom Band – und zum Ausschuss. Der wird dann im Werk zermahlen und erneut eingeschmolzen.

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