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Überfall in ehemaliger Eisfabrik: Verdrängungskampf in der Ruine

Die ehemalige Eisfabrik in Mitte lockt Touristen, Partyfans – und die Ärmsten der Armen. Nun kam es zu einer brutalen Schlägerei.

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Laut Polizei wollten die jungen Leute im Alter von 15 bis 23 Jahren einen „lustigen Abend“ verbringen. Und zwar auf dem Dach der Eisfabrik, mit Sicherheit eines der verkommensten und baufälligsten Gebäude der Stadt. Bei Touristen und Partyfans ist es gerade deshalb angesagt. Aber in der einstigen Eisfabrik direkt an der Spree, 100 Meter neben dem Büropalast von Verdi, leben auch etwa 30 osteuropäische Wanderarbeiter, meist Bulgaren. Das ist bekannt.

Am Dienstag meldete die Polizei unter dem Titel „Mit Metallstange attackiert“ eine Schlägerei zwischen den Wanderarbeitern und den Party-Jugendlichen. Die gaben an, von Unbekannten aufs Dach „gedrängt“ worden zu sein. Ein Mann habe sie mit einer Metallstange attackiert und zwei Frauen und ein weiterer Mann hätten sie geschlagen und getreten. Die Polizei nahm vier Bulgaren vorläufig fest, Vorwurf: gefährliche Körperverletzung. Von den sieben verletzten Deutschen mussten zwei ins Krankenhaus.

Einer der Bulgaren, der 47-jährige Marino, erzählte am Dienstag eine andere Geschichte. Die Jugendlichen hätten mit Flaschen vom Dach geworfen, so habe der Streit angefangen. Keiner der Männer und Frauen spricht Deutsch oder Englisch. Ein junger polnischer Punk aus dem „Tee Pee Dorf“ hinter der Fabrik übersetzt. Zum Glück spricht Marino Polnisch, er hat lange in Polen gearbeitet. Nun will er in Berlin arbeiten, seine Frau habe noch Arbeit in einem türkischen Imbiss, erzählt er. Vor zwei Jahren habe er schon einmal drei Monate in der Eisfabrik verbracht, nun ist er schon seit sieben Monaten hier zu Hause.

Von irgendwoher kommt Strom

Marino lebt im Parterre des fensterlosen Ziegelbaus in einer Art Hütte. Etwa ein Dutzend dieser kleinen selbstgebauten Holzverschläge gibt es, sie kleben wie Schwalbennester in den Ecken der riesigen Säle. Dazwischen trocknet Wäsche auf der Leine, stehen Kochtöpfe auf gemauerten Herdstellen. Da, wo alte Pumpen stehen und wo es in den völlig vermüllten Keller geht, huschen Ratten rudelweise umher. Scheu sind die Tiere nicht. Einige besser gestellte Bewohner wohnen in kleineren abgetrennten Räumen, vermutlich frühere Büroräume. Von irgendwoher kommt Strom, manche Familie hat einen Kühlschrank oder eine Mikrowelle in der Hütte.

Bis jetzt sei noch nie einer gekommen, um sie zu verscheuchen, erzählt Marino. Wenn einer käme, „würde ich gehen“. Manche Bewohner seien angeblich seit sechs Jahren hier. Dass es früher oder später zu einem Zwischenfall kommen würde, war vorhersehbar. In den vergangenen Wochen erschienen mehrere Zeitungsartikel über die Menschen, die hier unter furchtbaren Zuständen hausen. Darin sagen die Bulgaren sogar, dass ihnen der nächtliche Partylärm auf die Nerven gehe. Einer erzählt aber auch, dass die Polizei das Gebäude schon einmal geräumt habe, was diese vehement bestreitet. „Wir haben gar keine Berechtigung, ein Haus zu räumen“, sagt ein Sprecher. „Dazu bedarf es eines richterlichen Beschlusses, und den kann nur der Besitzer erwirken.“ Die denkmalgeschützte Eisfabrik ging mit dem umliegenden Grundstück Mitte der 90er Jahre in den Besitz der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) über. Die verkaufte die Fabrik ohne umliegendes Grundstück an die Bochumer Telamon GmbH weiter, der auch das alte Pumpwerk an der Holzmarktstraße gehört, in dem sich das Kunstzentrum „Radialsystem V“ befindet.

Laut Bezirk ist der private Eigentümer der Eisfabrik verantwortlich

Geschäftsführer Thomas Durchlaub war am Dienstag nicht für den Tagesspiegel zu sprechen. Dass er das Haus nicht sanierte, hat er stets damit begründet, dass dies nicht ohne eine abgestimmte Entwicklung mit dem umliegenden Grundstück gehe. Dieses gehört aber inzwischen der privaten Gesellschaft Lone Star, die die gesamte bundeseigenen TLG kaufte. Dort weist man die Vorwürfe Durchlaubs, wonach er nicht mal eine eigene Zufahrt habe, zurück. Wie es weitergehen soll, erfährt man nicht.

So wird der Bezirk Mitte, der bislang immer darauf verwies, dass der private Besitzer für alles zuständig sei, nicht umhin kommen, sich um die Eisfabrik zu kümmern. Das weiß inzwischen auch Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). Von den Ratten haben er und auch sein Gesundheitsamt zwar angeblich erst durch die Nachfrage des Tagesspiegels gehört – die Eisfabrik, ihr bautechnischer Zustand und ihre Bewohner waren aber schon Gegenstand einer Besprechung im Präventionsrat. „Ich mache mir vor allem Sorgen um die Menschen“, sagt Hanke.

Das tut inzwischen auch Berlins Integrationsbeauftragte Monika Lüke. „Aus meiner Sicht sind die Eigentümer hier in der Pflicht, solche Areale unzugänglich zu machen. Und der Bezirk Mitte ist hier gefordert, da er gesetzlich zur Vermeidung von Obdachlosigkeit verpflichtet ist“, sagte sie dem Tagesspiegel. Ihr Büro habe am 11. September von den Problemen in der Eisfabrik erfahren, von den Sozialarbeitern des Vereins „Südosteuropa Kultur“, der die Anlaufstelle für EU-Wanderarbeiter und Roma betreut.

Die Sozialarbeiter wissen, dass in der Eisfabrik nicht nur Bulgaren leben, sondern auch Wanderarbeiter aus anderen osteuropäischen Ländern. Am heutigen Mittwoch würden die Sozialarbeiter erneut in die Eisfabrik gehen, sagt Lüke. „Ich habe erfahren, dass auch eine Roma-Familie mit kleinen Kindern dort untergekommen sei.“ Auch das Gesundheitsamt von Mitte will nun handeln – schon wegen der Ratten.

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